Anmerkungen zu Kardinal Meisners Analyse der Kirchlichkeit und Religiosität
Ein kath.de-Wochenkommentar von Theo Hipp (vom 11.9.2009)
Fromme Gottlosigkeit wirft Kardinal Meisner unserer Zeit vor. Er beklagt damit die Unfähigkeit vieler Christen, über ihre eigene religiöse Kultur Auskunft zu geben und sie weiter zu vermitteln. Er führt dies zurück auf das fehlende persönliche Erleben unter den Vorzeichen des Glaubens. „Ein Christ“, so der Kardinal, „ kann nur nach außen wirken, wenn er sich nach innen hin dem Geheimnis Gottes genähert hat“. Es braucht die persönliche Erfahrung und Überzeugung, dass der Mensch aus der Beziehung zu Gott Impulse und Orientierung für sein Leben schöpft.
Die wichtigen Herausforderungen unserer Zeit, der interkonfessionelle und der interreligiöse Dialog, Zeichen einer wachen und wieder-erwachenden Religiosität, können nicht in der geforderten und erwarteten Breite und Tiefe stattfinden, weil die Christen ihre eigene Sache nicht mehr kennen oder sie nicht überzeugend genug vertreten. So lautet die Mängelanalyse der christlichen Gegenwart aus dem Mund des Kardinals zur Feier des 1200-jährigen Todestages des Heiligen Ludgerus.
Dieser Analyse ist bis hierher nur schwer zu widersprechen. Dennoch bleibt anzumerken, dass die Ursachenfindung nicht oder zumindest etwas einseitig ausfällt. Es bleibt die Frage stehen: Warum hat die Kirche so wenig innere Kraft, Glaubenskraft, um deutlicher zu zeigen, wie Menschen mit Gott in Beziehung kommen können?
Und die Antwort wird lauten müssen, wenn wir in die kirchliche Geschichte und Gegenwart blicken: Weil wir nicht nur von einer frommen Gottlosigkeit, sondern auch von einer kirchlichen Gottlosigkeit reden müssen.
Wie konnte es denn sein, dass beim nationalsozialistischen Überfall auf das christlich-katholischen Polen bei deutschen Kirchenleuten die Rede war von fragwürdigen Sekundärtugenden wie Pflichterfüllung, Opfersinn und Treue zum Vaterland? Wo doch die Priester bei der Eucharistiefeier zum selben Gott in Deutschland wie in Polen mit demselben Wortlaut täglich gebetet haben: Schenke deiner Kirche Frieden. Welche Stimme hatte dieser Gott in jener Situation und von wem wurde sie vertreten? Wie ernst nahm und nimmt die Kirche sich selbst, ihr Gebet und ihren göttlichen Auftrag?
Wie konnte und kann es sein, dass Fragen, die Gott betreffen, im Zweifelsfall mit den Mitteln menschlicher Macht wie Krieg, Gewalt und mitunter fragwürdigen Disziplinierungsmaßnahmen geregelt wurden und mitunter noch werden? Man denke an die päpstlichen und bischöflichen Heere und kriegerischen Aktivitäten und an die Glaubenskriege. Wozu braucht es denn Gott, wenn im Zweifelsfall bei den Gottesvertretern die Methoden genau dieselben sind wie bei jenen, die Gott los geworden sind? Einen Gott, der nur dazu dient, menschliche Machtspiele zu rechtfertigen, braucht niemand.
Die frommen und nach Kardinal Meisner weitgehend gottlosen Gegenwartsmenschen wollen wissen, wie das Göttliche in der Welt wirkt, wie Nicht-Wirtschaftliches in der Wirtschaft, wie Vor-Gesellschaftliches in der Gesellschaft wirkmächtig werden kann, wie Orthodoxie und Orthopraxie zusammen hängen.
Die Kirche schleppt, was die Orthopraxie betrifft, ein beachtliches Bündel Gottlosigkeit in ihrer Geschichte mit sich und es ist diese kirchlich-pragmatische Gottlosigkeit, die die kirchliche Kultur in den Augen der pragmatisch orientierten Gegenwartsmenschen schwächt und die Identifikation mit ihr schwer macht. Hier helfen Mängelrügen und Moralisieren nicht viel weiter.
Der Ausweg daraus kann auch nicht allein die Empfehlung sein, den Katechismus besser zu lernen. Er muss lauten, die Zukunft zusammen mit allen anderen Konfessionen und Religionen als Lernweg zu begreifen, der dazu einlädt, weit über sich selbst und das bisher Gewesene hinaus zu wachsen. Der Ausweg muss Gotteserfahrung derart vermitteln, dass der Friede unter den Menschen die erste und nobelste Wirkung ist, die sich unter Gottesfürchtigen einstellt.
Papst Benedikt XVI. hat diesen pragmatischen Weg in seiner Regensburger Rede ausdrücklich benannt als Weg eines wirksamen Humanismus. Er sagte sinngemäß: Lasst uns versuchen diese Welt zu gestalten, als ob es Gott gäbe.
Damit hat er zweifellos auch für die Kirche einen Lernweg eröffnet, der viel Neuland enthält, so viel, dass es ohne weiteres möglich ist, vorwärts zu kommen ohne Gegenwartsmenschen zu deklassieren und ohne die eigene, in allzu vielem noch unvollkommene Glaubenstradition zu verraten.
Theo Hipp
kath.de-Redaktion
Diesen Wochenkommentar des unabhängigen katholischen Nachrichtenportals kath.de ist am 11.9.2009 erschienen. Wir übernehmen ihn als Gastbeitrag mit freundlicher Genehmigung der kath.de-Redaktion vom 12.9.2009 (zum Originalkommentar auf www.kath.de).
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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