Gedanken zur Bedeutung von Tod und Nahtoderfahrungen
Der November steht vor der Tür. In unseren Breiten ist er der traditionelle Monat des Totengedenkens. Die früh einsetzende Dunkelheit und das im Allgemeinen trübe Wetter tragen ein Übriges zu dieser Charakterisierung bei. Die Umstände, die den Monat November prägen, führen den Menschen in der nördlichen Hemisphäre wie von selbst vor die Erkenntnis der eigenen Vergänglichkeit.
Wie schön wäre es, die Antwort auf die Frage, ob nach dem Tod noch etwas kommt, zu finden. Ist dann wirklich alles aus? Oder gibt es ein Leben nach dem Tod? Und wenn ja, wie sieht das aus? Einen Hinweis auf eine mögliche Antwort sehen viele Menschen in den sogenannten Nahtoderfahrungen. Der Wuppertaler Journalist Øle Schmidt berichtet in seinem Weblog www.plan-a.li in der lesenswerten Reportage „Der Tod war die schönste Erfahrung meines Lebens!“ mit ebenso sensiblen wie beeindruckenden Worten von Peter, der eine solche Erfahrung gemacht hat. Die Reportage von Øle Schmidt ist auch desillusionierend, denn sie offenbart, dass Nahtoderfahrungen nichts beweisen:
Mystische Einheitserfahrung oder Erfahrung göttlicher Potenz? Übergang in die nächste Inkarnation oder Übergang ins nächste Level, diesseits? Ein astraler Ausritt aus dem Körper oder etwa doch nur, ganz profan, eine Überdosis Endorphine in eben diesem Körper, wie Schulmediziner felsenfest glauben? Allein die unterschiedlichen Deutungen einer Nahtoderfahrung zeigen, wie sehr Auslegungssache ist, was leichtfertig Realität genannt wird.
Fest steht, dass die nahe dem Tod gemachten Erfahrungen immer noch Erfahrungen vor dem eigentlichen Tod sind. Der Betroffene schmeckt vielleicht den Tod. Er durchlebt ihn aber noch nicht. Egal ob es ein Licht am Ende eines langen Tunnels ist oder das mit dem Leben versöhnende Fühlen einer Ureinheit mit dem Sein, wie Peter es in der Reportage von Øle Schmidt schildert – es bleiben Erfahrungen und Erlebnisse vor dem eigentlichen Schritt aus dieser Welt. Wer den nahen Tod erlebt balanciert eben auf der Nulllinie zwischen den Leben, aber er überschreitet sie noch nicht.
Auch wenn wir gerne Sicherheit hätten und Beweise für das Leben nach dem Tod ersehnen – aus rein innerweltlicher Sicht bildet der Tod eine Erkenntnisgrenze. Nicht umsonst schreibt Paulus deshalb im ersten Korintherbrief:
Stückwerk ist unser Erkennen, Stückwerk unser prophetisches Reden;wenn aber das Vollendete kommt, vergeht alles Stückwerk.Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte wie ein Kind und urteilte wie ein Kind. Als ich ein Mann wurde, legte ich ab, was Kind an mir war.Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin. (1 Korinther 13,9-12)
Paulus schließt dann mit dem berühmten Satz: „Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“ (1 Korinther 13,13) Da erstaunt es wenig, wenn Peter in Schmidts Reportage mit voller Gewissheit über seine Grenzerfahrung feststellt:
Das war kein Traum! Es floss Liebe. Entweder war das eine ganz vorzügliche Droge, oder es war wirklich ein Übergang.
Peter und Paulus wissen um die Bedeutung des Todes als Übergang. Aber ihre Schlussfolgerung ist unterschiedlich. Die Sehnsucht des Paulus drängt auf das Leben nach dem Tod:
Weil wir aber zuversichtlich sind, ziehen wir es vor, aus dem Leib auszuwandern und daheim beim Herrn zu sein. (2 Korinther 5,8)
Peter hingegen wird von den Ärzten nicht nur klinisch in das diesseitige Leben zurückgeholt:
Ich wollte wieder zurück! Der Tod war das Schönste, was ich bislang in meinem Leben erfahren habe.
Wer dem Tod begegnet, lernt ihn offenbar kennen – und verliert den Schrecken. Auch wenn Nahtoderfahrungen nichts über ein Leben nach dem Tod sagen können – Peters Erfahrung zeigt, dass der Tod nicht bloß das Ende des Lebens ist. Im Tod wird das Leben offenkundig auf den Punkt gebracht. Der Tod scheint der Schritt zu sein, der vom Leben trennt. Oder er ist, wie Øle Schmidt meint, eine „Impfung mit Urvertrauen“. Also: Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel? (1 Korinther 15,55)
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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