Es ist noch nicht allzu lange her, da hatte man als Katholik seinen Platz in der Welt. Die Gesellschaft hatte eine klare Struktur, aber sie war grundlegend christlich. Man war katholisch oder evangelisch. Die Grenzlinien konnten klar gezogen werden. So lebte jeder in seinem Milieu, in dem klare Regeln herrschten. Kritik gab es nicht. Eine kritische Auseinandersetzung war auch nicht nötig. Mit wem und über was hätte der Katholik in seinem Milieu denn auch streiten sollen – außer vielleicht über das Aroma des Weihrauchs.
Nicht erst seit der neuen Sinus-Milieu-Studie, die in diesen Tagen veröffentlicht wurde, dürfte auch dem letzten Katholiken deutlich geworden sein, dass die Zeit der katholischen Milieus vorbei sind. C. Meurer fasst das Ergebnis in einem Beitrag für katholisch.de folgendermaßen zusammen:
Die katholische Kirche und der christliche Glaube spielen im Leben der Menschen eine zunehmend geringere Rolle. Oder wie die Autoren der Studie schreiben: „Die lebensweltliche Einbettung von Religion ist weitgehend verloren gegangen, […] der katholische Glaube und sein Regelwerk tragen nur noch bei wenigen unmittelbar zum Sinn des Lebens bei.“
Das katholische lebensprägende Milieu ist verschwunden. Die Gefahr besteht, dass an die Stelle des alten Milieu ein Gettho tritt, in das sich diejenigen zurückziehen, die mit der Welt von heute überfordert sind. Das aber war nie der Auftrag der Kirche. Katholischsein ist keine Sache der Form, sondern des Inhaltes. Formen sind wandelbar, der Inhalt bleibt. Zu diesem Befund kommt auch C. Meuer in seinem Beitrag:
Quer durch die Milieus sind sich die Katholiken einig, dass sich die Kirche ändern muss. Ebenso wird auch gesehen, dass sie das Potenzial dazu habe. „Sie muss ihre Identität bewahren, aber in der Zeit ankommen“, heißt es beispielsweise aus gehobenen Milieus.
In der zweiten Lesung des heutigen Sonntags wird die Wesensmitte des christlichen Glaubens benannt – der Glaube an Tod und Auferstehung Jesu Christi:
Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift,
und ist begraben worden.
Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift. (1 Korinther 15,3f)
Dabei ist Paulus klar, dass die Auferstehung Christi zuerst einmal eine bloße Behauptung ist, die nachgewiesen werden muss. Es widerspricht jeder menschlichen Erfahrung, dass Tote wieder zum Leben kommt.
Paulus führt diesen Nachweis, indem er insgesamt 513 Zeugen für die Auferstehung benennt:
(Er – der Auferstandene) erschien dem Kephas, dann den Zwölf. Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern zugleich; die meisten von ihnen sind noch am Leben, einige sind entschlafen. Danach erschien er dem Jakobus, dann allen Aposteln. Als letztem von allen erschien er auch mir, dem Unerwarteten, der „Missgeburt“. (1 Korinther 15,5-8)
Dabei gehört der Anfang noch zum ursprünglichen Bekenntnis hinzu. Die Auferstehung Jesu Christi ist keine bloße Behauptung. Sie beruht auf einer realen Erfahrung, die von Zeugen beglaubigt werden kann. Paulus legt Wert darauf, dass diese Zeugen zu seiner Zeit noch befragt werden konnten.
(Kreuzes)Tod und Auferstehung Jesu Christi sind die Basis des christlichen Glaubens schlechthin:
Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos. (1 Korinther 15,14)
wird Paulus wenige Verse nach dem Bekenntnis schreiben.
Es ist aber noch etwas anderes, auf das Paulus Wert legt. Bevor er das frühchristliche Glaubensbekenntnis zitiert, gibt er einen wichtigen Hinweis:
Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe. (1 Korinther 15,3)
Der Glaubensinhalt ist jeder persönlichen Verfügbarkeit enthoben. Die Kirche überliefert, was auch sie empfangen hat. So bleibt das Original immer ein Original und verkümmert nicht zum Plagiat.
Was hat das alles mit der Getthoisierung des Katholizismus zu tun? In der gegenwärtigen Auseinandersetzung ist eine erstaunliche Kritikscheu der Kirche festzustellen. Auf der einen Seite werden eine vermeintliche Pogromstimmung und Katholikenphobie beklagt; andererseits fordern katholizistische Talkshowteilnehmer die Freiheit, die eigenen Meinung zu äußern, während sie andere plakativ angreifen. So beschwerte sich Martin Lohmann, Günther Jauch sei in seiner Talkshow „übergriffig“ geworden, als er die wohlgemerkt rhetorische Frage stellte, wie er – Martin Lohmann – sich verhalten würde, wenn seine Tochter in eine Situation käme wie die Frau, deren Untersuchung die beiden Kölner Kliniken, die sich in katholischer Trägerschaft befinden. Das ist nicht „übergriffig“, sondern hypothetisch. Ein vermeintlich erfahrener Journalist wie Martin Lohmann sollte das erkennen. Stattdessen greift er an anderer Stelle die nordrhein-westfälische Landesministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter, Barbara Steffens mit der polemischen und völlig unbegründeten Frage an, warum sie gegen das Leben sei. „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ (Matthäus 7,1) möchte man da Herrn Lohmann zurufen!
Nein, was katholische Wortführer da in den letzten Tagen abgeliefert haben, hat wenig von der Verkündigung des christlichen Glaubens. Katholisch zu sein, ist in der Gesellschaft gegenwärtig eher eine Diagnose denn ein Bekenntnis zur Glauben an den, der von den Toten auferstanden ist, wie C. Florin in dem Beitrag „Der Katholik für gewisse Stunden“ in der Ausgabe 7/2013 der Zeitschrift „Christ & Welt“ feststellt.
Es besteht kein Zweifel, dass die Kirche gegenwärtig im Fokus der Kritik steht. Es besteht aber auch kein Zweifel, dass diese Kritik zurecht geäußert wird. Die Kirche muss sich deshalb nicht dem Zeitgeist anpassen. Eine Rückbesinnung auf den eigenen Markenkern ist trotzdem nötig. Nicht alles, was da momentan als urkatholisch behauptet wird, ist auch unverzichtbar. Es fällt jedenfalls auf, dass viel über Sex, Verhütung, „Pille danach“ geredet wird. Da gehen innerkirchlich die Emotionen hoch. Der Urgrund des Glaubens ist das nicht. Haben die frommen Katholiken den vielleicht aus den Augen verloren, weil sie einem katholischen Mainstream folgend die Kirchenzucht über das Evangelium stellen? Was empfangen die Menschen von heute, das sie dann überliefern sollen? Führt uns der, der am Kreuz starb wie ein Sünder, aber dennoch von den Toten auferstand, nicht vor Augen, dass der Mensch auch im Scheitern zum Heil berufen ist?
Die Wirklichkeit ist differenzierter, als es die Anhänger vergangener katholischer Milieus wahr haben wollen. Paulus zeigt uns den Weg auf: Rückbesinnung auf die Wurzeln der Überlieferung, Festhalten am eigentlichen Kern des Glaubens, vor allem aber Begründung des Glaubens. Das ist heute mehr denn je notwendig: Nicht behaupten, sondern begründen. Das erfordert aber ein Nachdenken über den eigenen Glauben. Vernunft und Glauben widersprechen sich nie!
Wer diese Auseinandersetzung scheut, verrät den, der dem Menschen den Verstand gegeben hat. Sapere aude!
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Woche,
Ihr
Dr. Werner Kleine, PR
Katholische Citykirche Wuppertal
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
Danke für diese klaren Worte! Man kann es kaum fassen, wie die katholische Kirche sich zur Zeit vor die Wand fährt.