Es heißt, der erste Eindruck sei bei einer Begegnung oft der entscheidende. Wenn das stimmt, dann hat der neu gewählte Papst Franziskus einen bleibenden Eindruck hinterlassen: In die schlichte weiße Soutane des Nachfolgers Petri gewandet verzichtete er bei seinem ersten Auftritt im Unterschied zu seinen Vorgängern auf jegliche besondere Insignien. Franziskus trat als Mensch vor die erwartungsvolle Menge. Mehr als Worte sprechen die Bilder: Ein Papst verneigt sich vor dem Gebet des Volkes. Das ist neu. Das enthält eine Botschaft. Der neue Bischof von Rom begegnet dem Volk Gottes auf Augenhöhe, verbunden in gegenseitigem Geben und Nehmen. So sagte er selbst: „Bevor der Bischof das Volk segnet, bitte ich darum, dass Ihr den Herrn bittet, damit ich gesegnet werde. Das Gebet des Volkes, das den Segen für seinen Bischof erbittet.“ Hier stehen nicht mehr Lehrer und Belehrte gegenüber. Hier beginnt eine gemeinsame Weggemeinschaft – oder, um es mit dem neuen Papst zu sagen: „Und jetzt beginnen wir diesen Weg, Bischof und Volk.“
Bischof und Volk – das sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. So sagt Paulus im 2. Korintherbrief: „Unser Empfehlungsschreiben seid ihr; es ist eingeschrieben in unser Herz und alle Menschen können es lesen und verstehen.“ (2 Korinther 3,2) Erst die Einheit von Papst und Volk festigt die Kirche. Dass das keine Einbahnstraße sein kann, versteht sich in einer Gegenwart, in der der Mensch Mündigkeit erlangt hat, von selbst. Das Bild vom Bischof als Hirten, dem die Schafe gehorsam folgen, funktioniert nicht mehr. Papst Franziskus hat hier ein wichtiges Zeichen in Wort und Tat gesetzt. Die katholische Kirche ist keine Herde, die in unmündigem Gehorsam einem heiliggemachten Hirten hinterher trottet, sondern eine Weggemeinschaft, in der es verschiedene Aufgaben gibt. Das ist die eigentliche Hierarchie – eine „heilige Ordnung“ –, bei der es nicht um „Oben“ und „Unten“, sondern um das Zusammenspiel der verschiedenen Aufgaben geht.
Es besteht kein Zweifel, dass sich die katholische Kirche in der Vergangenheit häufig anders dargestellt hat. Auch kann jetzt noch nicht gesagt werden, ob der erste Eindruck, den Papst Franziskus hinterlassen hat, bestätigt wird. Das zeigen allein schon die sehr unterschiedlichen Einschätzungen, was seine Person angeht. So wird er einerseits als gemäßigter Reformer bezeichnet, während man ihm andererseits einen volksnahen Konservativismus bescheinigt. Und während bereits jetzt in Lateinamerika seine umstrittene Rolle während der Militärdiktatur Argentiniens diskutiert wird, sehen andere in ihm den „Kardinal der Armen“. Was auch immer in der Vergangenheit war, man wird genau hinsehen müssen, um die Wahrheit ans Tageslicht zu fördern. Die Wahl zum Papst ist in jedem Fall mehr als der Eintritt in einen neuen Lebensabschnitt. Der neue Name, den sich ein Papst gibt, signalisiert einen Neubeginn. Wohin der Weg der Kirche mit Papst Franziskus führen wird, ist jetzt noch völlig offen. Kirche und Papst sollten diesen Weg aber beginnen – gemeinsam und mutig, weltoffen und mit Gottvertrauen. Der erste Eindruck dieses neuen Papstes ist jedenfalls vielversprechend.
Dr. Werner Kleine, PR
veröffentlicht in der Wuppertaler Rundschau vom 16. März 2013.
Die Rubrik “Auf ein Wort” erscheint in unregelmäßigen Abständen in der Samstagsausgabe der Wuppertaler Rundschau. Autoren sind evangelische und katholische Theologen in Wuppertal, die sich zu aktuellen gesellschaftlichen oder kommunalen Themen äußern. Wir veröffentlichen auf kath 2:30 die Beiträge der katholischen Autoren. Die evangelischen Beiträge finden Sie hier.
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
Lieber Werner,
vielen Dank für diese Einschätzung. Ich habe einen etwas „raueren“ Text geschrieben (http://theosalon.blogspot.de/2013/03/katholische-doppelbindung.html), wobei man eigentlich sofort sieht, dass damit nicht die Person des neuen Papstes kritisiert werden soll. (Mit großem Wohlwollen lese ich heute den Artikel in der Berliner Zeitung mit dem schönen Zitat des neuen Papstes:“Die Religion hat kein Recht dazu, sich in irgendjemandes Privatleben einzumischen. Wenn Gott bei der Schöpfung das Risiko einging, uns die Freiheit zu schenken, wer bin ich, dass ich mich dagegen stellen könnte?“ (http://www.berliner-zeitung.de/papst-benedikt-xvi-/schriften-von-papst-franziskus-vom-reden-und-vom-retten,21725420,22113934.html). Sondern es ist unser/mein Blick auf das, was da geschieht. Anwaltschaft der Armen – das ist auf einmal eine progressive Haltung! Sollte das nicht zum Grundgesetz der Kirche gehören? Betet der Klerus und viele Christen insgesamt nicht täglich das Magnificat mit dem Gedanken: „Er (Gott) stürzt die Mächtigen vom Thron“? Damit man jetzt in Jubel ausbricht, dass der Papst mit einem Reisebus fährt, ein Portmonee hat und die U-Bahn benutzt? (Das tun hunderttausende, und es gibt sogar welche, die sich selbst die U-Bahn nicht leisten können.)Ich könnte verstehen, wenn sich die Armen durch uns gehörig verschaukelt vorkommen würden. Im übrigen ist es auch bemerkenswert, wie schnell der alte Papst der Vergessenheit übergeben wird – wenn sogar Manfred Lütz, der Gralshüter des unbedingten Gehorsams gegenüber dem Lehramt nun vom „frei verantwortetem“ Glauben spricht und feststellt, nach JoPaII und Benedikt hätte man „auf diese Gesten“ gewartet. Und Kardinal Mahoney twittert sinngemäß: Hoffentlich ist die Zeit der roten Schuhe vorbei. Kann man das dem Mann nicht mal sagen, wenn die macht noch mit ihm ist?
Joseph Sayer folgt heute im Kölner Stadtanzeiger einem Reflex, den andere Bischöfe (auch Stefan vesper im ZDK im übrigen) auch schon gezeigt haben, wenn er auf die Frage, ob die strenge Haltung des Papstes beispielsweise in Fragen der Homosexuellen sagt: „Denken Sie daran, dass 870 Millionen Menschen auf der Erde Hunger leiden und viele von ihnen sogar verhungern. Sie haben keine so vernehmbare Lobby wie manche Kritiker, die die katholische Kirche immer so gern als rückständig hinstellen.“ Die ersten Bischöfe bringen sich ja bereits in Stellung: Das Thema sind die Armen – und die lästigen Strukturfragen und theologische Fragestellungen sind nun erledigt (Ackermann zum Beispiel). Die bürgerliche Kirchenlobby vergisst die Armen vor lauter Selbstbezogenheit. Wieso kommt eigentlich niemand auf die Idee, dass man beides zusammen denken könnte? Ja muss?? Und Sayer weiter: „Dass Bergoglio den Papstnamen Franziskus gewählt hat, ist doch Programm! Er stützt sich nicht auf Vorbilder aus der Papstgeschichte, sondern auf den heiligen Franz von Assisi.“ Die eigentliche Überraschung dieser Woche ist, dass absolute päpstliche Potestas und Institutionsskepsis, ja Institutionskritik und Selbstentäußerung problemlos in der Kirche zusammengedacht werden können und niemand auf die Idee kommt, dahinter könnte sich auch ein Problem verbergen.