Gottes Gegenwart ist alltäglich. Wer die Augen öffnet, kann sie überall entdecken. Zweifelsohne braucht man dafür schon einen besonderen Sensus, denn sie erschließt sich nicht notwendigerweise. Es ist durchaus verständlich, wenn viele auch ohne die Vergegenwärtigung Gottes in der Welt zurecht kommen. Es liegt in der Natur der Schöpfung, dass man in ihr leben kann, ohne permanent Gott darin zu entdecken. Die Schöpfung selbst verdankt sich ja aus christlich-jüdischer, aber auch muslimischer Perspektive einem Schöpfungsakt des Allmächtigen. In seiner Allmacht hat er sich aber nicht einfach ein nettes Spielzeug gemacht. Gott spielt nicht mit der Schöpfung. Er liebt sie. Weil Liebe nie für sich bleiben kann, fließt die Liebe Gottes in die Schöpfung über. Wo Liebe ist, da muss Freiheit sein. Der Mensch ist frei, Gott in der Schöpfung zu erblicken – oder eben nicht. Wenn Gott dem Menschen Freiheit gibt, dann kann er es dem Menschen nicht übel nehmen, wenn dieser von der Freiheit Gebrauch macht.
Gottes Gegenwart ist alltäglich. Der Alltag besteht aus Gewohnheiten. Gottes Gegenwart ist zur Gewohnheit geworden. Woran man gewöhnt ist, das verliert den Charakter des Besonderen. Gottes Gegenwart ist eben nicht außergewöhnlich. Außergewöhnlich ist es, wenn diese Gegenwart plötzlich offenbar wird. Außergewöhnlich ist das vor allem dann, wenn sich dieses Offenbarwerden im Alltäglichen ereignet.
Von solchen außergewöhnlichen Vergegenwärtigungen Gottes erzählen auch die drei Texte, die die Leseordnung der Katholischen Kirche für den 16. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres C vorsieht. Die alttestamentliche Lesung (Genesis 18,1-10a) erzählt von der Begegnung Abrahams mit Gott bei den Eichen von Mamre. In der Gestalt von drei Männern ist er bei Abraham zu Gast und verheißt ihm die Geburt eines Sohnes mit seiner betagten Frau Sara. Es ist fast schade, dass die Leseordnung die im Fortgang der Geschichte geschilderte Reaktion der Sara nicht beinhaltet. Sara lacht still in sich hinein, weil sie wegen ihres Alters nicht glauben kann, was sie hört. Das Kind wird später Isaak heißen, was so viel wie „und er (Gott) lachte“ heißt. Sara hat noch Angst, zu ihrem Lachen zu stehen (vgl. Genesis 18,15). Aber Gott lächelt den Unglauben weg.
Die zweite Lesung, die aus dem Kolosserbrief stammt (Kolosserbrief 1,24-28), führt zu der Erkenntnis, dass Christus in der Mitte der gemeindlichen Gemeinschaft gegenwärtig ist. In ihm ist Gott da. Er wohnt unter den Menschen – im Alltag. Weil das Alltägliche gewöhnlich ist, muss es erst offenbar gemacht werden. Die Christgläubigen erkennen dieses Geheimnis des Alltags:
Jenes Geheimnis, das seit ewigen Zeiten und Generationen verborgen war. Jetzt wurde es seinen Heiligen offenbart; Gott wollte ihnen zeigen, wie reich und herrlich dieses Geheimnis unter den Völkern ist: Christus ist unter euch, er ist die Hoffnung auf Herrlichkeit. Ihn verkündigen wir; wir ermahnen jeden Menschen und belehren jeden mit aller Weisheit, um dadurch alle in der Gemeinschaft mit Christus vollkommen zu machen. (Kolosserbrief 1,26-28)
Das Evangelium des 16. Sonntags im Jahreskreis des Lesejahres C ist an sich schon so bekannt, dass es selbst schon fast alltäglich ist: Maria und Marta empfangen Jesus. Viele hören schon gar nicht mehr richtig zu, wenn dieses Evangelium (Lukas 10,38-42) verkündet wird, denn das Ergebnis scheint klar zu sein: Marta, die sich darüber beschwert, dass Maria den Worten Jesu lauscht anstatt ihr bei der Bewirtung zu helfen, wird Jesus getadelt. Oft wird daraus gefolgert, dass es vor allem auf die Kontemplation, das Gespräch mit Jesus ankomme. So führt es auch jetzt wieder der Autor der Betrachtungen zum Sonntagsevangelium in der Kölner Kirchenzeitung vom 19. Juli 2013 aus, der immerhin feststellt, dass es nicht darum gehe
„Aktion und Kontemplation gegeneinander auszuspielen“
dann aber folgert:
„Wir müssen uns nur immer wieder klar machen, wann für uns das eine dran ist und wann das andere. Immer wieder (…) sind wir eingeladen, uns mit Maria dem Herrn zu Füßen zu setzen, sein Wort zu hören und ihm wirklich zu begegnen, um dann im Alltag das, was wir von seinem Wort verstanden haben, in die Tat umzusetzen. „(T. Hopmann, In Ruhe die Worte des Herrn bedenken, in: Kirchenzeitung Köln, 19. Juli 2013, S. 13)
Das Problem an diesen Engführungen, die letztlich das Alltägliche gegenüber der Kontemplation ausspielen, ist die unkorrekte Wiedergabe des Textes durch die Einheitsübersetzung. Im Original heißt es nämlich nicht „Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden“, sondern – wörtlich – „Maria hat sich also den guten Teil gewählt, der ihr nicht genommen werden soll“. Das ist eine feine Nuance anders, die aber eben die Wertung nicht enthält.
Vollends auf den Kopf gestellt wird die vermeintliche Zurechtweisung Martas, wenn man einen Blick in das Johannesevangelium wirft. Dort geht es im 11. Kapitel um den verstorbenen Bruder Marias und Martas, Lazarus. Maria, die im Lukasevangelium eben noch zu den Füßen Jesu saß und seinen Worten lauschte, scheint nicht viel davon verstanden zu haben, denn sie bleibt trauernd zu Hause. Die Kontemplation führt bei ihr offenkundig nicht zum Glauben, sondern zur Depression. Anders dagegen Marta. Sie ist und bleibt die Aktive. Sie ergreift die Aktion und wendet sich an Jesus:
Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. (Johannes 11,21)
Jesus verheißt ihr die Auferstehung ihres Bruders, die Marta gläubig bekennt:
Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am Letzten Tag. (Johannes 11,24)
Darauf entspinnt sich ein kurzer Dialog zwischen Jesus und Marta, der in einem Glaubensbekenntis mündet:
Jesus erwiderte ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaub, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das?
Marta antwortete ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Messias bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll. (Johannes 11,25-27)
Lazarus wird schließlich wieder zum Leben erweckt. Auch, weil Marta, die Aktive nicht locker gelassen hat. Ihre Aktion ist in sich kontemplativ. Deshalb brauchte sie nicht zu den Füßen Jesu zu sitzen, weil sie ihn schon erkannt hatte. Maria war (und ist) noch nicht so weit. Sie musste noch hören, und sie muss weiter lernen. Das soll ihr nicht genommen werden. Marta aber hatte damals, als Jesus in Betanien zu Gast war, längst schon verstanden, was Theresia von Avila sagt:
Gott ist auch zwischen den Kochtöpfen!
Wer Gott nur in der Kontemplation sucht, wird die entscheidende Stunde möglicherweise verpassen. Wer aber im Alltäglichen Gott gegenwärtig weiß, der ist ein echter Mystiker. Es gilt bloß, den Blick zu schärfen: Gott ist der „Ich bin da!“.
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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