Dies Domini – 8. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A
Ein Schrecken ergreift die Menschen, wenn sie in Berührung mit dem Göttlichen kommen. Die Heilige Schrift kennt deshalb keine unmittelbaren Gottesbegegnungen. Die Herrlichkeit des Allmächtigen ist zu groß, als dass sie der Mensch ertragen könnte. So muss auch Mose sich von Gott belehren lassen, als er auf dem Sinai die Herrlichkeit Gottes schauen möchte:
Du kannst mein Angesicht nicht sehen; denn kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben. (Exodus 33,20)
In der Heiligen Schrift jedenfalls begegnet Gott dem Menschen deshalb immer in vermittelter Weise. Mal sind es die Engel, hinter denen sich die Herrlichkeit Gottes verbirgt, mal wird die Erscheinung des Höchsten in Form von Naturereignissen geschildert. Niemals aber erscheint der, von dem man sich kein Bild machen darf, als raum-zeitliches Phänomen. Wer auch immer also behauptet, er habe in welcher Weise auch immer, einen mehr oder weniger unmittelbaren Kontakt zu Gott, müsste also entweder mindestens von Sinnen sein; andernfalls sollte er seine Wahrnehmung selbstkritisch überprüfen – wer weiß, was für Stimmen er gehört haben mag …
Der Schrecken hingegen ist ein untrügliches Zeichen für eine Begegnung mit dem Göttlichen. Kein Prophet im Alten Testament, der nicht vom Schrecken, dem φόβος τοῦ θεοῦ (sprich „phobos tou theou“ – Gottesschrecken), gepackt wurde, als er der Nähe Gottes gewahr wurde. Manch einer – wie Jona – ergreift gar die Flucht oder sucht – wie Jeremia mit Blick auf seine Jugend – Ausflüchte. Kein Wunder also, dass diejenigen, die selbst der vermittelten und verborgenen Gegenwart Gottes ausgesetzt sind, erst beruhigt werden müssen. Nicht umsonst lautet der Gruß der Engel: Fürchte dich nicht!
Wenn also die Begegnung mit Gott einen Ausdruck findet, dann ist es der Schrecken. Und vom Schrecken sind viele in diesen Zeiten ergriffen, die bisher noch sicheren Boden unter den Füßen zu haben glaubten. Man brauchte doch nur in den Katechismus schauen, um die sicheren Wahrheiten der katholischen Lehre vor Augen zu haben. Und manch einer kennt den Katechismus besser, als die Heilige Schrift, die doch immerhin das Wort Gottes ist.
Das sichere Haus des Katechismus ist aber papierener als mancher gedacht hat. Seit der Wahl von Papst Franziskus ist kein Buchstabe aus dem Katechismus zurückgenommen worden. Das ist auch nicht zu erwarten. Aber es wird deutlich, dass es nicht genügt, den Katechismus zu zitieren. Meist wird er ja auch zitiert, um das Verhalten anderer zu verurteilen. Zur Ehescheidung etwa heißt es im Katechismus der Katholischen Kirche (KKK):
„Die Ehescheidung ist ein schwerer Verstoß gegen das natürliche Sittengesetz. (…) Das Eingehen einer, wenn auch vom Zivilrecht anerkannten, neuen Verbindung verstärkt den Bruch noch zusätzlich.“ (KKK 2384)
Daraus wird folgert:
„Geschiedene, die zu Lebzeiten des rechtmäßigen Gatten wieder heiraten, verstoßen gegen den Plan und das Gesetz Gottes, wie Christus es gelehrt hat. Sie sind zwar nicht von der Kirche getrennt, dürfen aber die heilige Kommunion nicht empfangen. Sie können ihr Leben dennoch christlich führen, vor allem dadurch, dass sie ihr Kinder im Glauben erziehen.“ (KKK 1665)
Sicher geben diese beiden Beispiele nicht den Gesamtduktus des Katechismus wieder. Aber sie zeigen, dass gerade im Bereich der Morallehre monokausale Begründungen herangezogen werden, die die Lebensumstände und das Sosein der Menschen nicht in Rechnung stellen. Analog zu den Naturgesetzen, die immer und überall gelten, wird auch für den sittlichen Bereich ein natürliches Recht postuliert, das dann ebenfalls immer und überall gelten soll.
Allein phänomenologisch regen sich aber immer mehr Zweifel an der Existenz eines solchen natürlichen Sittengesetzes. Im Bereich der Ehe etwa müsste es durch alle Kulturen und Zeiten hindurch nur die Einehe geben, die doch natürlich erkannt werden müsste. Das ist aber offenkundig nicht der Fall. Gerade der Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen scheint erheblichen soziokulturellen und geschichtlichen Voraussetzungen zu unterliegen. So war die Schaffung eines kirchlichen Eherechtes sicher ein Segen, der in früheren Zeiten vor allem den Frauen zugute kam, die eben nicht einfach aus der Ehe entlassen und ihrem Schicksal überlassen werden konnten. Diese Voraussetzungen haben sich grundlegend geändert. Auch heute noch werden sicher die allermeisten Ehen mit dem Ziel einer lebenslangen ehelichen Gemeinschaft geschlossen.
Dass dieses Ideal für viele, aus welchem Grund auch immer, nicht erreicht wird, ergibt sich allein schon aus der Tatsache, dass jeder Mensch einer biographischen Entwicklung unterworfen ist. Das rechtfertigt sicher nicht eine leichtfertige Aufkündigung des Eheversprechens. Aber machen es sich die Menschen wirklich einfach damit? Wer auch immer das Scheitern einer Beziehung aktiv oder passiv miterlebt hat, weiß, welche dramatischen und bisweilen traumatischen Folgen eine solche Entwicklung für die Beteiligten hat. Nicht immer sind Schuld und Verantwortung für das Scheitern einer Ehe leicht auszumachen. Und selbst wenn – ist es dann angemessen, das derjenige Partner, dessen Ehe unverschuldet gescheitert ist, nun alleine weiterleben soll? Ist ein neuer Partner nicht doch ein Geschenk Gottes, weil es eben nicht gut ist, dass der Mensch allein bleibt (vgl. Genesis 2,18)?
Ein Schrecken erfasst nun in diesen Tagen, die, die bisher davon ausgingen, die Ehe sei vom Himmel gefallen. Jetzt merkte allerdings Kardinal Kasper in einem gleichermaßen viel beachteten wie viel diskutierten Vortrag vor dem Konsistorium an, man dürfe Ehe und Familie nicht romantisieren. Auch wenn die Unauflöslichkeit der Ehe grundsätzlich nicht hinterfragt werden kann, wissen doch eigentlich alle,
„dass es Situationen gibt, in denen jeder vernünftige Versuch, eine Ehe zu retten, dennoch umsonst bleibt. Der Heroismus eines verlassenen Partners, der alleinbleibt und alleine weitergeht, verdient unsere Bewunderung und Unterstützung. Aber viele verlassene Partner hängen um des Wohles der Kinder willen von einer neuen Beziehung und einer zivilen Heirat ab, auf die sie nicht verzichten können, ohne neue Schuld auf sich zu laden. Oft lasen diese Beziehungen sie nach den bitteren Erfahrungen der Vergangenheit neue Freude spüren…“ (Kardinal Kasper – Quelle: Radio Vatikan)
Kardinal Kasper entwirft schließlich fünf mögliche Bedingungen für einen Sakramentenempfang.
Die ehemals starre Haltung der Kirche bricht auf – und Schrecken ergreift die, die nicht glauben können, dass selbst Felsen natürlicher Veränderung unterworfen sind. Es ist vielleicht der Schrecken der Begegnung mit einem Gott, von dem es in der ersten Lesung des 8. Sonntags im Jahreskreis im Lesejahr A heißt:
Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: ich vergesse dich nicht – Spruch des Herrn. (Jesaja 49,15)
Söhne wissen, dass sie ihre Mütter selbst dann noch auf ihrer Seite haben, wenn sie den größten Blödsinn gebaut haben. Väter sind da bisweilen wesentlich strenger. Gott ist unser Vater. Wenn es aber um das menschliche Scheitern geht, verhält er sich offenkundig wie eine Mutter. Wenn aber Gott barmherzig ist, darf die Kirche dann wirklich unbarmherzig sein? Ist die Barmherzigkeit nicht das eigentliche göttliche Recht?
Man sollte sich also davor hüten, allzu schnell ein Urteil zu fällen. Anders als bei den Naturgesetzen, bei denen das Allgemeine immer auch im Speziellen gilt, gilt das gerade im Bereich des menschlichen Lebens nicht. Die menschliche Freiheit macht allgemeingültige Aussagen schwer. Ohne dass damit der Sinn ethischer Regeln in Frage gestellt wäre, ohne die eine Gesellschaft nicht funktionieren kann, gilt doch die Mahnung des Paulus am Ende der zweiten Lesung des 8. Sonntags im Jahreskreis des Lesejahres A:
Richtet also nicht vor der Zeit; wartet, bis der Herr kommt, der das im Dunkeln Verborgene ans Licht bringen und die Absichten der Herzen aufdecken wird. Dann wird jeder sein Lob von Gott erhalten. (1. Korintherbrief 4,5)
Wer auch immer die Unauflöslichkeit der Ehe als Evangelium verkündet, verkündet sicher den Willen Gottes. Dem Willen Gottes entspricht es aber auch, dass der Mensch, der gefallen ist, Barmherzigkeit findet. Das Leben ist eben nicht nur schwarz auf weiß, wie die Buchstaben des Katechismus. Im Gegenteil: Es ist schrecklich bunt.
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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