Dies Domini – Erster Fastensonntag, Lesejahr A
die Eintönigkeit des Lebens ist unübersehbar. Alljährlich geben Psychologen kurz vor Weihnachten über Presse, Funk und Fernsehen Tipps, wie man das Fest der Liebe streitminimierend überstehen kann. Zu Karneval ist der Äther voll von Empfehlungen, wie der Kater derjenigen zu bekämpfen ist, die wissen, dass man nicht auf Knopfdruck lustig wird, sondern durch die Kenntnis und physische Anwendung der richtigen Formel, die in der Sprache der Chemiker C2H6O lautet. Und wenn sich dieser Dunst verflüchtigt hat, gilt das mediale Interesse alle Jahre wieder dem Thema Fasten in all seinen Facetten: Heilfasten, Entschlacken, Kopfdruck und Mundgeruch – der Überfluss all dessen verstopft die Ohren. Und wer es hier noch nicht gehört hat, wird sicher von seinen näheren Bekannten über deren Fastenziele informiert. Es gelingt dem Menschen offenkundig nicht, den Mund leer zu bekommen. Wer auf die Aufnahme von Nahrung verzichtet, muss diesen Verzicht offenkundig mit der Anhäufung von Worten kompensieren. Es ist eben nicht leicht, wirklich frei zu werden.
Viele von denen, die in dieser oralen Phase – Fasten hin, Fasten her – hängen geblieben zu sein scheinen, verknüpfen dann auch die genussvolle Aufnahme leiblicher Speise mit der Sünde. Zugegeben: Das geschieht meist mit scherzhaftem Unterton. Und doch ist die Häufigkeit, mit der dieses Spiel der Worte verwendet wird, geeignet, den Genuss im Laufe der Zeit als Sünde zu diskreditieren. Worüber lange genug geredet wird, das schafft eben auch ein Bewusstsein. Nicht umsonst sind die wortvergeudenden Zeitschriften mit den Frauennamen über das Jahr gefüllt mit Abnehmratgebern und Diättipps; in der Fastenzeit aber wird auch dort gefastet. Erstaunlich, wie wenigstens in diesem Bereich die christliche Tradition die säkulare Sphäre durchsäuert wie Sauerteig.
Und so ist auch die Sünde wieder in aller Munde, dieses menschliche Phänomen, das man gerne vermeiden möchte und dem man doch nicht aus dem Weg gehen kann. Die Sünde als solche bezeichnet den Verlust der Einheit von Gott und Mensch. Die im Wort „Sünde“ enthaltene Bedeutung „Absonderung“ macht das deutlich. Der Verlust dieser Ureinheit wird verbunden mit dem sogenannten Sündenfall, von dem die erste Lesung des ersten Fastensonntags im Lesejahr A in einer gekürzten Fassung erzählt (Genesis 2,7-9;3,1-7). Nach der Erschaffung des Menschen lebt der in seiner Zweigestaltigkeit als Mann und Frau in seiner naiv-infantilen Unschuld in einer paradiesischen Empfindung der Ureinheit mit Gott. Gott sorgt für sein Geschöpf; er versorgt es, wie Eltern ihre Kinder versorgen:
Dann legte Gott, der Herr, in Eden, im Osten, einen Garten an und setzte dorthin den Menschen, den er geformt hatte. Gott, der Herr, ließ aus dem Ackerboden allerlei Bäume wachsen, verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten, in der Mitte des Gartens aber den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis von gut und böse. (Genesis 2,8f)
Und tatsächlich scheinen Mensch und Menschin in dieser Geschichte eher Kinder zu sein. Sie sind zwar nackt, schämen sich aber wie kleine Kinder ihrer Nacktheit noch nicht. Und das Paradies selbst scheint eher einem großzügig bemessenem Laufstall zu gleichen, in das Gott die beiden Menschenkinder setzt – die Welt außerhalb des Paradieses, die ja existiert, wie der Fortgang der Erzählung zeigt, ist ihnen noch nicht bekannt. Und so gleichen die beiden in diesem Zustand eher Bruder und Schwester als Mann und Frau. Der Garten Eden ist eine große Spielwiese, in der sie unbeschwert sein können, sie, die gut und böse noch nicht kennen und für die die Welt deshalb noch eine Ureinheit ist.
Die Erkenntnis von gut und böse wird den kindlichen Menschen aber nicht erspart bleiben. In die Mitte des Gartens pflanzt Gott den Baum der Erkenntnis von gut und böse. Von den Früchten des Baumes zu essen, wird von Gott mit einem Verbot belegt – der beste Weg, um Kinder zu animieren, das Verbot zu brechen. Und tatsächlich werden sie die Abwesenheit Gottes nutzen, um die Früchte des Baumes der Erkenntnis von gut und böse zu kosten.
Die Ureinheit von Gott und Mensch erweist sich damit als eine scheinbare. Auch im Paradies waren Gott und Mensch getrennt, wie sonst hätten Mensch und Menschin unbemerkt an den Baum gelangen können. Auch Kinder, deren Urvertrauen intakt ist, wissen, dass Vater und Mutter wiederkommen werden, auch wenn sie nicht unmittelbar da sind. Die Sünde als Zustand der Aufhebung der gott-menschlichen Einheit ist also tatsächlich eine urmenschliche Eigenschaft, die selbst im Paradies gegeben war. Nur hat der Mensch sie nicht als problematisch erlebt.
Das Problem entsteht erst in durch das Erlangen der Fähigkeit, gut und böse zu unterscheiden. Mit dieser Fähigkeit kommt der Mensch auch zum Bewusstsein seiner selbst. Er erkennt sich selbst, seine Nacktheit, seine Unbehaustheit, seine Fehlerhaftigkeit:
Da sah die Frau, dass es köstlich wäre, von dem Baum zu essen, dass der Baum eine Augenweide war und dazu verlockte, klug zu werden. Sie nahm von seinen Früchten und aß; sie gab auch ihrem Mann, der bei ihr war, und auch er aß. Da gingen beiden die Augen auf, und sie erkannten, dass sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz. (Genesis 3,6f)
Der Verlust kindlicher Allmachtsphantasien führt ihm vor Augen, was er ist: Ein Mensch und kein Gott – hineingeworfen in die Schöpfung, ihren Schönheiten und Gefahren ausgeliefert, aber mit Erkenntnisfähigkeit und Verstand ausgerüstet. So kann er sein Leben selbst meistern. Er bedarf der mütterlichen Fürsorge und des väterlichen Schutzes Gottes nicht mehr; er kann sich seinen Lebensunterhalt jetzt selbst im Schweiße seines Angesichtes verdienen. Er kann es nicht nur, er muss es auch, denn er weiß, dass seine Kindheit unwiederbringlich zu Ende gegangen ist.
Die sogenannte „Erzählung vom Sündenfall“ ist tatsächlich eine „Erzählung vom Erwachsenwerden des Menschen“. Und dieses Erwachsenwerden ist gottgewollt. Der Mensch ist von Beginn an von Gott getrennt, diese Sünde ist der Urzustand des Menschen, der in der Schöpfung angelegt ist. Das anzuerkennen gehört zur Mündigkeit des Menschen. Auch das ist von Gott gewollt, denn Gott verhindert die Rückkehr in eine selbstverschuldete Unmündigkeit, indem er das verlorene Paradies versiegeln und mit einem Cherub mit Flammenschwert bewehren wird.
So ist der Mensch: Von Gott getrennt, zu Schuld und Verantwortung fähig, aber mit Verstand und Erkenntnis begabt. Einer Erkenntnisfähigkeit, die ihn seinen göttlichen Urgrund ahnen und sich danach sehnen lässt. Es ist diese Sehnsucht, die auch Jesus – wie das Evangelium vom ersten Fastensonntag im Lesejahr A erzählt – in der Wüste erfasst (vgl. Matthäus 4,1-11). Es ist eine Sehnsucht, deren Befriedigung schnell mit irdischen Gütern erreichbar erscheint. Allerdings ist jede darin enthaltene Allmachtsphantasie doch wieder nur infantil. Erst wer diese Spiel, das von vielen „Erwachsenen“ bis heute gespielt wird, durchschaut, wird entdecken, dass die Sehnsucht nach Einheit ihren Wert in sich hat. Sie darf nicht gestillt werden, weil sie nur so erhalten bleibt.
Fasten heißt deshalb: Die Sehnsucht erleben. Wer diese Sehnsucht aber durch äußerliche Anerkennung kompensiert, weil er lobheischend sein Fasten hinausposaunt, ist schon gesättigt. Fastet deshalb, aber redet nicht darüber. Und stillt nicht eure Sehnsucht, denn nur so werdet ihr weiter erkennen.
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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