Dies Domini – Vierter Fastensonntag, Lesejahr A
die Kirche, heißt es, sei zwar in der Welt, aber nicht von der Welt. Sie steht einerseits der Welt gegenüber. Sie muss ihr gegenüber stehen, um den Kontrast deutlich zu machen, der überhaupt erst die Gottesahnung ermöglicht. Die Allgegenwart Gottes ist so alltäglich, dass sich der Mensch an sie gewöhnt. Sie ist so normal und selbstverständlich, dass sie ebenso wenig wahrgenommen wird wie die selbstverständliche Fürsorge von Eltern für ihre Kinder.
Gerade deshalb muss die Kirche andererseits aber auch in der Welt sein. Die Gegenwart Gottes ereignet sich ja alltäglich in der Welt. Eine sich der Welt verweigernde Kirche würde deshalb an dem, den sie verkünden soll, vorbei gehen.
Stattdessen soll die Kirche in der Welt den Blick für die alltägliche Gegenwart Gottes schärfen. Das geht bisweilen nur im Kontrast. Kontrast heißt nicht Protest. Kontrast meint vielmehr den Unterschied zwischen hellen und dunklen Bereichen. Erst durch Kontrast bekommt eine Bild Kontur. Und so braucht auch die Flächigkeit des Alltags den Kontrast, um die Umrisse des Lebens deutlicher hervortreten zu lassen. Die Dunkelheiten des Alltags brauchen den glimmenden Punkt, der die Hoffnung nicht erlöschen lässt; die Inszenierung des schönen Scheins im Scheinwerferlicht der Selbstdarstellung braucht die mahnende Erinnerung an der dunkelerdige Schicksal des Menschen, damit er sich nicht selbst verliert; die Triste Grauheit der vielen Alltage braucht die Lücke, die das Blau des Himmels hinter den Wolken ahnen lässt.
Eine Kirche, die in der Welt den verkündet, der nicht von der Welt ist, geht auf einem schmalen Weg. Es ist eine Gradwanderung, die, wie die Gegenwart immer wieder zeigt, ihre eigenen Gefahren bereit hält. Es sind allerdings bei weitem nicht nur Bischöfe, die den Glanz des Himmels mit irdischen Mitteln nachzustellen versuchen und Hierarchie mit Wahrheit verwechseln. Befremdlich ist manchmal auch die Reaktion vielen Christen, wenn eine der ihren in das Rampenlicht der Öffentlichkeit gerät.
So sang die 25jährige Ordensschwester Cristina Scuccia in der italienischen Ausgabe der Castingshow „The Voice“ den Hit „No one“ von Alicia Keys. Das Video des Auftritts auf YouTube ist mittlerweile über 36 Millionen Mal angeklickt worden. Die Bildregie hat ganze Arbeit geleistet. Die ersten Bilder lassen Schlimmes vermuten. Man sieht die Ordensschwester zuerst im Hintergrund. Dann werden in Großaufnahme Wohlfühlschuhe – wahrscheinlich einer Marke, die einen diabolischen Namen einer Hauptfigur aus Goethes Faust trägt – und eine altbackenen Strumpfhose zu den ersten Tackten der Musik gezeigt. Die Jury, die sich gewollt cool in den Sitzen räkelt, sieht von alldem noch nichts, da sie – wie für diese Castingshow üblich – den Blick zu Beginn auf das Publikum gerichtet hält. Nur die Stimme soll zählen. Erst wenn der Juror votet, dreht sich sein Stuhl zu Bühne.
Das Publikum wird schon nach den ersten Takten von den Sitzen gerissen. Als objektiver Zuschauer fragt man sich warum. So viel ist doch noch gar nicht gesungen worden. Auch die Performance ist eher ungelenk. Es ist die Nonne, die begeistert, eine singende Nonne. Das tut sie sicher in jedem Gottesdienst. Aber dass eine Nonne einen Song einer Soul- und R&B-Sängerin vorträgt, das hat die Welt noch nicht gesehen – außer im Kino bei Sister Act!
Richtig soulig ist der Gesang von Sr. Cristina nicht – jedenfalls nicht, wenn man das Original von Alicia Keys kennt. Es ist der Kontrast, der die Menschen fasziniert. Der Habit ist es, den die Zuschauer – und auch die Juroren – nicht mit dem dargebotenen Genre, aber auch dem Format der Sendung übereinbringen. Kein Wunder: Vor nicht allzu langer Zeit wurde in nicht wenigen Predigten das Castingwesen auf das Schärfste verurteilt. Und jetzt ist die Kirche mittendrin im Casting und stellt sich dem Urteil der Juroren.
Einer von ihnen, der Rapper J-Ax, bekommt sich gar nicht mehr ein. Er ist es allerdings, in dessen Team Sr. Cristina die nächste Stufe der Castingshow bestreiten will. Er bekannte nicht nur:
Hätte ich dich sonntags in der Messe singen gehört, als ich ein Kind war, ich wäre heute Papst.
Er meint auch:
Zusammen sind wir unschlagbar. Wir sind wie der Teufel und das Weihwasser.
Der Kontrast könnte nicht größer sein. Aber dann sprang der selbsternannte Teufel auf die Bühne und schnappte sich die Nonne, um sich danach von den Mitjuroren abklatschen zu lassen. Er hatte den Coup gelandet.
Nicht, dass Sr. Cristina der Erfolg nicht zu gönnen wäre. Befremdlich sind die Reaktionen vieler Christgläubigen, zu denen sogar Bischöfe gehören. Was ist denn hier geschehen? Eine Nonne hat gesungen. Und singende Nonnen sind keine Seltenheit. Manch eine hat sogar schon im Fernsehen mit der Gitarre versucht modern zu wirken, wie weiland Soeur Sourire, die mit ihrem Song „Dominique“ Furore machte, ohne Habit aber alltäglich wurde. Und auch die Mönche vom Kloster Heiligenkreuz haben einen CD-Erfolg verbucht – einen, denn eine Nachfolge-CD floppte.
Sie wolle den Menschen das Evangelium verkünden, sagt Sr. Cristina noch. Von Gott oder dem, was das Evangelium sagt, ist dann doch nicht mehr die Rede. Stattdessen sind ihre letzten Worte:
Ich warte auf einen Anruf des Papstes. (Sr. Cristina)
Auch Ordensschwestern sind also nicht vor Eitelkeit gefeit – und ziehen einen manifesten päpstlichen Anruf der unsicheren Reaktion auf das Wort Gottes vor.
Was bei Sr. Cristina im Vordergrund stand, war die Äußerlichkeit des Habits. Der Habit wurde gewählt. Ohne Habit wäre sie wohl wenig aufgefallen. Aber der Kontrast des Habits ist und bleibt eine Äußerlichkeit. Die Menschen haben noch erfahren, dass sie Jesus geheiratet hat, aber Musik ihre Leidenschaft sei. Wer aber dieser Jesus ist, das haben sie nicht erfahren. So bleibt Jesus ein Phantom, das man nicht greifen kann.
Der Mensch sieht, was vor den Augen ist, der Herr aber sieht das Herz. (1 Samuel 16,7d)
So heißt es in der ersten Lesung vom vierten Fastensonntag im Lesejahr A. Es ist die Aufgabe der Kirche, diese tiefer liegenden Schichten des Alltags auszuleuchten. Das kann nur gelingen, wenn sie sich nicht selbst in Äußerlichkeiten verliert. Der Weg der Christen in der Welt ist, wenn sie ihr Christsein authentisch leben wollen, schmal. Der Habit des Christseins ist auch nur eine Hülle. Und diese Hülle wurde in Italien prämiert. Hoffentlich ist da noch mehr …
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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