Dies Domini – Palmsonntag, Lesejahr A
Das Kreuz war eine grausame Alltäglichkeit. Und der Mensch gewöhnt sich schnell an Alltägliches. Der Kreuzweg Jesu wird also von den meisten, an denen er vorbei führte, kaum mit besonderer Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen worden sein. Vorbei an Händlern und Feilschern wird sein Weg geführt haben. Das Alltagsgeschäft ging weiter, höchstens gestört durch den Pulk, den vor allem das römische Hinrichtungskommando bildete. Flüche, Geschimpfe, Spott, durch den man das offenkundig Grausame auf Distanz hält – und wieder der normale Alltag. Gott sei Dank, der Tod ist vorübergegangen.
Nein, der Kreuzweg Jesu war nicht andächtig. Und als Heilsereignis wurde er auch nicht wahrgenommen. Der Schrecken des Kreuzes fuhr den seinen derartig in die Glieder, dass sie sich davon machten. Nicht nur einer hatte ihn verraten. Fast alle hatten sich auf und davon gemacht. Der Kreuzestod ist grausam und brutal. Schon die der Kreuzigung vorausgehende Geißelung überlebten viele Delinquenten nicht. Wessen Lebenshauch danach noch nicht erloschen war, der wurde an das Patibulum gebunden – jenem Querbalken des Kreuzes, das in der Mitte eine Aussparung hatte, die passgenau auf den Zapfen auf dem Längsbalken zugeschnitten war, der an der Hinrichtungsstätte fest im Boden verankert war. An der Hinrichtungsstätte angekommen wurde der Delinquent seiner Kleider beraubt. Das Patibulum wurde am Längsbalken hochgezogen und oben auf dem Längsbalken befestigt. Nicht immer wurden die Gekreuzigten auch an das Kreuz genagelt, häufig aber doch. Dann trieb man die Nägel durch die Handwurzeln und Fersen, jene Körperstellen mit einer besonderen Nervendichte. Der Schmerz dürfte vielen die Sinne geraubt haben.
Der Tod am Kreuz trat langsam ein. Der Todeskampf konnte sich über Tage hinziehen. Die Römer verstanden es, ihn zu verlängern: durch „Erfrischungen“, wie den Essigtrunk, aber auch durch das Sedile – einen angeschrägten Sitz auf dem Längsbalken, auf den sich der Delinquent hochdrückte, um die Arme zu entlasten, von dem er aber doch immer wieder hinunterrutschte.
Wenn der Tod endlich eintrat, ließ man die Leichen an den Kreuzen hängen – zur Abschreckung, aber auch, um die Toten über den Tod hinaus zu demütigen. Der Gekreuzigte wurde seiner Menschlichkeit konsequent beraubt. Dieser Schrecken des Kreuzes saß tief. So tief, dass man davon überzeugt war, dass ein Mensch, der am Kreuz starb, nur von Gott verlassen sein konnte. Wie konnte Gott zulassen, dass einer der seinen einen solchen Tod starb.
All das verbirgt sich hinter den lakonischen Worten der Matthäuspassion, mit der am Palmsonntag im Lesejahr A die Heilige Woche eröffnet wird:
Dann führten sie Jesus hinaus, um ihn zu kreuzigen. (Matthäus 27,31b)
In der Tat: An einen Sohn Gottes zu glauben, der am Kreuz stirbt, ist eine Torheit und ein Ärgernis. Und dieses Ärgernis besteht auch in der Gegenwart, wenn das Kreuz aus der alltäglichen Verborgenheit herausgeholt wird.
Seit Beginn der Fastenzeit 2014 zeigt die Katholische Citykirche Wuppertal die TalPassion. Die Wuppertaler Künstlerin Annette Marks hat acht Bilder gemalt, die biblische Passions- und Auferstehungsszenen zeigen. Die Originale hängen vom Aschermittwoch bis Pfingsten 2014 in der Laurentiusbasilika in Wuppertal-Elberfeld. Großformatige Reproduktionen der Bilder werden in der Innenstadt Wuppertal-Elberfelds gezeigt. Sie ergeben dort einen gehbaren Kreuzweg von 2,5 Kilometer Länge. Mitten im geschäftlichen Trubel, zwischen Passanten, Beamten, Handwerkern und Touristen ist der Kreuzweg präsent und fordert heraus. Dieser Kreuzweg fordert tatsächlich heraus. Er ist zum Ärgernis geworden, vor allem für die, die mit Gott ihre Schwierigkeiten haben. Vor allem die Kreuzigungs- und Auferstehungsszene erregt bei manchen Widerspruch, denn beide Szenen hängen am städtischen Verwaltungsgebäude in Wuppertal-Elberfeld. Auf Facebook, in Mails, Leserkommentaren und Briefen wird die staatliche Neutralität wird angemahnt und die Trennung von Kirche und Staat wird beschworen. Vor allem wird polemisch eingewendet, die Kirche würde sicher protestieren, wenn man dort eine Darwin-Bild aufhängen würde. Religion sei schließlich Privatsache.
Bisweilen erscheint die Kritik bei näherem Hinsehen als oberflächlich begründet, denn ein Verwaltungsgebäude kann doch nie in dem Sinne neutral sein, dass dort keine Meinungen und Bekenntnisse geäußert werden dürften. Jeder politische Diskurs müsste ja sofort verstummen. Wer eine solche Neutralität befürwortet, befürwortet letztlich eine diskussionslose Diktatur. Gerade deshalb dürfen und sollen natürlich auch andere Gruppierungen ihre Ansichten dort veröffentlichen. Und wahrlich: Wer glaubt, gestandene Katholikinnen und Katholiken heute noch mit Darwin erschrecken zu können, kommt mindestens 100 Jahre zu spät. Tatsächlich kann auch kein aufrechter Demokrat ernsthaft wollen, dass sich die Religion ins Private zurückzuziehen hat. Wenn Religion sich der öffentlichen Diskussion entzieht, ist dem Fanatismus mit all seinen Begleiterscheinungen Tür und Tor geöffnet. Vere: sapere aude – habt den Mut, den Verstand wirklich zu gebrauchen!
Das alles ist also wohl eher vorgeschoben. Das Ärgernis des Kreuzes sitzt offenkundig tiefer. Die öffentliche Sichtbarmachung des Kreuzes, sein Herausheben aus der alltäglichen Gewohnheit verstört offenkundig den als Vernunftgebrauch getarnten Selbstbezug. Wer die Vernunftstolzen mit Verstand stört, wird diffamiert – als archaisch und unvernünftig. Die Kreuzesnachfolge ist auch heute keine Sache der frommer Andacht. Sie ist und bleibt ein Politikum.
Nein, der Kreuzweg ist keine Maßnahme, mit der man begeistern kann. Ein Kreuzweg ist kein Mittel modernen Marketings. Zu grausam ist das Kreuz. Und es hat seinen Schrecken bis heute nicht verloren. Das Kreuz ist und bleibt ärgerlich. Das Ärgernis wird auch durch den Glauben an die Auferstehung nicht aufgehoben. Von der Auferstehung her wird allerdings offenbar, dass selbst die, die ihre Menschlichkeit spätestens am Kreuz verloren haben, in Gott ihr letztes Ziel haben. Aber das Kreuz macht weiter Ärger – bis auf den heutigen Tag.
Es ist also keine alte Geschichte, die am Palmsonntag im Lesejahr A verkündet wird. Sie ist aktuell. Sie ist gegenwärtig – so gegenwärtig wie der, der am Kreuze starb und vom Tod auferstand.
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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