Dies Domini – 2. Sonntag der Osterzeit/Weißer Sonntag, Lesejahr A
Vor einiger Zeit bin ich mal wieder Bus gefahren. Mit einem Linienbus durch die Stadt. Das mache ich nicht so häufig und deshalb bin ich immer wieder erstaunt darüber, welche Dinge man da erleben und welche Gespräche man da verfolgen darf. Schräg vor mir saß dort ein junges Pärchen, beide vielleicht Mitte 20. Sie unterhielten sich über dies und jenes und plötzlich fragte der junge Mann seine Freundin völlig unvermittelt, ob sie ihn heiraten wolle. Die Frau war erstaunt und antwortete zögerlich, vielleicht wegen der öffentlichen Situation. Dann sagte sie, dass sie ihn zwar liebte, sie aber doch noch gar nicht richtig wüssten, ob sie zusammenbleiben wollten, ob ihre Liebe „für immer“ hielte. Ja, sie würde es sich wünschen, aber sicher wäre sie sich da nicht. Ich war berührt von der Situation, von dem Gespräch, das ich da miterlebt hatte, davon, wie offen die junge Frau ihre Zweifel artikulierte. Ja, sie würde schon gerne, aber…
Heute, am Weißen Sonntag, hören wir im Evangelium des Zweiten Sonntags der Osterzeit des Lesejahres A die Geschichte vom ungläubigen Thomas. Nach Jesu Tod sitzen die Jünger zusammen, ja, sie haben sich regelrecht verschanzt – aus Angst. Die Nachricht von der Auferstehung Jesu war bei ihnen auf große Zweifel gestoßen, denn sie konnten einfach nicht glauben, was ihnen da berichtet worden war. Wie sollte man ein solches Ereignis auch nur irgendwie verstehen können?
Doch Jesus erkennt die Zweifel seiner Jünger und so zeigt er sich ihnen mit seinen Wundmalen:
„Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, dass sie den Herrn sahen.“
Thomas, der Zwilling, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Und so verlässt er sich nicht auf das Zeugnis der anderen. Mehr noch: Er will nicht nur mit eigenen Augen sehen, sondern auch mit seinen Händen spüren, dass es Jesus, der Gekreuzigte, ist, der da vor ihm steht. Er will seine eigenen Erfahrungen machen:
„Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht.“
Thomas hatte seine Fragen. Und er macht seinen Glauben von seinen eigenen Erfahrungen abhängig: Wenn ich nicht fühle, glaube ich nicht!
Und Jesus nimmt Thomas mit seinen Zweifeln ernst. Ein paar Tage später kommt er erneut zu den Jüngern und wendet sich an ihn:
„Streck deinen Finger aus – hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! (…) Weil du mich gesehen hast, glaubst du.“
Durch seine Wundmale „beweist“ Jesus Thomas, dass er Christus, der Auferstandene, ist. Er hilft ihm dadurch auf seinem Weg zum Glauben, aber ganz abnehmen kann er ihm das Wagnis, sich auf ihn einzulassen, dadurch auch nicht.
Ich muss gestehen: Ganz so verkehrt finde ich Thomas‘ Zweifel nicht. Ein paar Zweifel sind nicht so falsch, um sich ein Bild von einer Sache zu machen, von etwas überzeugt zu sein oder gar an etwas zu glauben. Menschen sind immer begrenzt, sie sind immer nur auf dem Weg – und keiner kann die volle Wahrheit erfassen. Wir alle sind auf der Suche. Wer mag es einem Thomas da übel nehme, dass er berechtigte Zweifel an der Auferstehung Jesu hatte, an etwas, das völlig unvorstellbar und für uns einfach nicht zu erfassen ist?
Für die Jünger ging es nach dem Osterereignis schlicht um ihre Zukunft, um den Sinn ihres weiteren Lebens, das mit Jesu Tod so einen harten Einschnitt erfahren hatte. Da kann man doch nicht einfach fraglos alles hinnehmen! Da kann man nicht einfach nur im Gehorsam alles glauben, sondern muss anfangen, es zu verstehen und den eigenen Glauben zu verantworten. Nur dadurch wird der Glaube einer, der in Krisenzeiten wirklich Halt gibt und nicht durch irgendwelche äußeren Einflüsse ins Wanken gebracht werden kann.
Glaube ist also nicht das bloße Fürwahrhalten von Dogmen und anderen Lehrsätzen, sondern Glauben ist Vertrauen in einen unendlichen Gott, der ein bedingungslos liebender Vater ist. Unser Vertrauen in ihn ist somit die einzig angemessene Antwort auf Gottes Angebot. Und das gilt es sich zu „erarbeiten“.
So betrachtet bleibt nicht mehr viel übrig von einem „ungläubigen“ Thomas. Vielmehr ist Thomas der Prototyp des selbstständig denkenden und mündigen Gläubigen, der nicht allem auf den Leim geht, nicht einfach alles nachbetet oder Denken und Wollen aus Angst vor Autoritäten ausschaltet. Und Jesus rügt ihn nicht für seine Zweifel, ganz im Gegenteil: Er hilft ihm auf seinem Glaubensweg und bietet ihm an, sich selber durch Berühren zu überzeugen.
Glaube ist nicht so einfach zu haben, man muss sich vielleicht hier und da überzeugen, dass alles (noch) seine Richtigkeit hat. Unbedingtes Vertrauen in die Liebe Gottes, die den Tod überwindet, ist und bleibt ein Risiko, fernab von einem blinden Glaubensgehorsam. Und auch für die junge Frau im Bus braucht es vielleicht noch ein paar mehr Zeichen, die ihre Zweifel kleiner werden lassen, sodass sie ganz auf die Liebe zu vertrauen lernt.
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Woche,
Ihre Nicole Hoffzimmer, Theologische Assistentin
Katholische Citykirche Wuppertal
Author: Nicole Hoffzimmer
Nicole Hoffzimmer ist katholische Theologin und Liturgiewissenschaftlerin. Ihr Interesse gilt besonders der Verbindung zwischen Kirche und Kunst.
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