Dies Domini – 4. Sonntag der Osterzeit, Lesejahr B
Starke Worte sind oft einsilbig in der deutschen Sprache. Herr, Gott, gut – Lust, Last, Leid – Kampf, Hass, Mut. Bereits wenige Buchstaben wecken den affektiven Impuls. Es sind Worte, die eine Haltung, Zustimmung oder Widerstand erfordern. Kurz und knapp lösen sie eine Kette von Assoziationen aus, eine innere Interaktion. Es sind Worte der Leidenschaft, die mit nur einem Vokal und ein paar Konsonanten fast archaisch daher kommen. Aber so unkomplex ihre Phonetik ist, so komplex ist doch ihre Wirkung. Ein Wort, ja eine Silbe genügt, um die Dinge zurecht zu rücken, die Sicht auf die Welt zu verändern und die Emotionen zu schüren. Lob, Huld, hold, schlecht, arg, krank – Welten und Stimmungen eröffnen sich mit der Macht eines einzigen kurzes Lautes.
„Macht“ ist auch so ein Wort, das der Sphäre der Einsilbigen angehört. Die Haltung zu diesem Wort ist ambivalent. Es wird allgemein als ungehörig empfunden, wenn jemand offen nach Macht strebt. Gleichwohl ist Macht notwendig, um Dinge in Bewegung zu setzen. Kaum einer brüstet sich damit, Macht zu haben. Im Gegenteil bescheiden sich selbst Entscheidungsträger in der Regel eine charakterliche Demut und weisen den Besitz von Macht von sich. So berichtet das Kölner Domradio über den Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki:
„Mit Vokabeln wie ‚Beliebtheit‘ oder ‚Macht‘ habe er [der Kölner Erzbischof] so seine Schwierigkeiten. Natürlich habe er Entscheidungskompetenz und müsse die gerade auch in Kernbereichen geltend machen, räumte Woelki ein und verwies auf Gegenwind, den er bereits mit einigen Beschlüssen ausgelöst habe. Generell bekennt er sich aber zu einem ‚partizipativen Leitungsstil‘, um möglichst viele Leute mitzunehmen. ‚Ich habe bisher keine Entscheidung treffen müssen, die nicht von der Mehrheit der Beratungsgremien mitgetragen wurde.'“ (Quelle: domradio.de, 22.4.2015)
Die Bescheidenheit schmeichelt dem Publikum, das solche Äußerungen gerne hört. Und in der Tat: Entscheidungsträger, die sich in ihrer Macht selbst bescheiden, wissend, dass sie die Entscheidung doch treffen müssen, erweisen sich als weise. Was nützte ihre Macht, wenn sie die Herzen der Menschen nicht gewinnen. Der Mächtige, der sich an seiner Macht berauscht, wird zum Diktator, dessen Tyrannei auf Hass und Angst gründet. Seine Macht wird zum Fluch. Die Macht derer, die sie in aller Demut und Bescheidenheit ertragen, kann hingegen zum Segen werden, wenn man sie annimmt wie eine Leihgabe und nicht wie einen Besitz. Genau daran muss sich Pilatus erinnern lassen, der Jesus mit seiner Macht über dessen Leben und Tod einschüchtern will, dabei aber nur seine eigene Ängstlichkeit kaschieren möchte:
Er [Pilatus] ging wieder in das Prätorium hinein und fragte Jesus: Woher stammst du? Jesus aber gab ihm keine Antwort. Da sagte Pilatus zu ihm: Du sprichst nicht mit mir? Weißt du nicht, dass ich Macht habe, dich freizulassen, und Macht, dich zu kreuzigen? Jesus antwortete: Du hättest keine Macht über mich, wenn es dir nicht von oben gegeben wäre; darum liegt größere Schuld bei dem, der mich dir ausgeliefert hat. (Johannes 19,9-11)
Macht ist göttlich. Gott allein ist mächtig. Alle Macht kommt von ihm her. Von Pilatus heißt es, dass er Jesus im Anschluss an diese Äußerung freilassen möchte (vgl. Johannes 19,12). Der Grund hierfür dürfte der Schrecken sein, der ihn befällt. Es ist weniger der Schrecken angesichts der Äußerung Jesu, seine Macht sei von „oben“. Darunter hätte man Pilatus auch den Kaiser verstehen können. Nein, es ist vielmehr der irritierende Satz, dass die größere Schuld bei dem, der Jesus ausgeliefert hat, liegt. Der Satz ist im Singular formuliert (ὁ παραδούς μέ σοι/sprich: ho paradoús mé soi – der mich dir Ausliefernde). Er kann sich eigentlich nicht auf die jüdischen Ankläger, also die Hohenpriester und ihre Gefolgsleute, beziehen. Es ist einer, ein Einzelner, der Jesus ausliefert und der die Verantwortung dafür trägt.
Die Antwort bleibt hier offen. Die Reaktion des Pilatus aber irritiert. Seine Macht wird gerade von dem aus, der Jesus an ihn ausgeliefert hat, in Frage gestellt.
Für die Macht des Pilatus wird das griechische Wort ἐξουσία (sprich: exousía) verwendet. Derselbe Begriff findet sich auch am Ende des Evangeliums vom vierten Sonntag der Osterzeit im Lesejahr B, wenn Jesus über seine Hingabe spricht:
Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es aus freiem Willen hin. Ich habe Macht (ἐξουσία), es hinzugeben, und ich habe Macht (ἐξουσία), es wieder zu nehmen. Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen. (Johannes 10,17f)
Es ist aufschlussreich, dass sowohl in der Pilatusszene als auch hier die Lebenshingabe Jesu, also sein Sterben, in Verbindung mit dem Begriff Macht/ἐξουσία steht. Dabei definiert Jesus selbst das Wesen der Macht/ἐξουσία. Sie beruht auf seinem Handeln „aus freiem Willen“. Wer Macht hat, handelt frei. Niemand zwingt ihn. In dieser Macht gibt Jesus sein Leben hin – aus freiem Willen. Es gibt keinen anderen, der diese Macht über sein Leben hat. Niemand kann es ihm entreißen.
Jesus selbst beschreibt den Urheber dieser seiner Macht. Es ist der Vater selbst. Er handelt im Auftrag seines Vaters. Gott selbst ist die Macht, in der Jesus den Auftrag seiner Lebenshingabe erfüllt. Jesus und der Vater sind dabei in Liebe verbunden. Wenige Verse später wird Jesus deshalb sagen:
Ich und der Vater sind eins. (Johannes 10,30)
Jesus handelt also nicht nur im Auftrag des Vaters; der Vater handelt in ihm selbst. Von hier aus wird klar, warum Jesus sein Leben hingibt, um es wieder zu nehmen (vgl. Johannes 10,17): Sein Sterben und seine Auferweckung sind Zeichen der göttlichen Macht. Nur Gott hat die Macht, Leben aus dem Tod zu wirken. Tod und Auferstehung sind Zeichen der Macht Gottes – wohlgemerkt Auferstehung und Tod. Jesus nimmt ihn aus freiem Willen, ohne äußeren Zwang in der Macht Gottes an. Genau darauf deutet die irritierende und rätselhafte Antwort auf die Frage des Pilatus hin. Es sind nicht Menschen, die die Verantwortung für die Auslieferung tragen. Es ist der eine: Gott selbst trägt die Schuld (ἁμαρτία/sprich: hamartía) für die Lebenshingabe Jesu. Allein in seinem Auftrag nimmt das Geschehen seinen Lauf. Da Ziel wurde bereits in Johannes 10,10 formuliert, einen Vers vor dem Beginn des Evangeliums vom vierten Sonntag der Osterzeit im Lesejahr B:
Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben. (Johannes 10,10)
Das Leben in Fülle ist das Ziel: die Menschen sollen verstehen, dass sie zu einem Leben in Fülle geschaffen sind und nicht zu einem Leben in einer in sich selbst verkrümmten Angst. Der Mensch soll sich weiten und nicht selbst einengen. Die Enge entsteht durch die Angst vor der Sünde, der Absonderung, der Trennung von Gott und der damit verbundenen Straffurcht. So ein Mensch handelt nicht aus freiem Willen, sondern aus Zwang. Er wird verführbar für diejenigen, die Macht zu haben glauben, aber doch nur ihr eigenes Ego durch die Unterdrückung der Machtlosen definieren können. Und doch entlarven sie sich genau hierdurch als Scheinmächtige, deren vermeintliche Macht selbst durch Angst vor Machtverlust geprägt ist. Jesus selbst entlarvt ihre Gesinnung:
Der bezahlte Knecht aber, der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören, lässt die Schafe im Stich und flieht, wenn er den Wolf kommen sieht; und der Wolf reißt sie und jagt sie auseinander. Er flieht, weil er nur ein bezahlter Knecht ist und ihm an den Schafen nichts liegt. (Johannes 10,12f)
Nur wer im Auftrag Gottes handelt, hat wirklich Macht. So erscheinen denn auch im Johannesevangelium alle, die an dem Heilsdrama um Kreuzestod und Auferstehung Jesu mitwirken, letztlich als mächtige Werkzeuge Gottes. Auch Pilatus hat seine Macht nicht aus sich selbst. Es ist letztlich Gott, der hier handelt. Er trägt die Schuld (ἁμαρτία) für das Geschehen – eine Schuld, die Not-wendig ist, weil sie den Menschen aus der Not der selbstverschuldeten Unmündigkeit befreit: Ein Gott, der die Schuld kennt und trägt, ermächtigt den Menschen zu einem Leben in Fülle, weil die Schuld ihre Macht der Gottverlassenheit verloren hat. Gott gibt dem Menschen die Macht, dieses Leben zu gestalten.
Der Grad der Macht ist schmal. Macht an sich ist nicht schlecht. Macht ist eine Kraft, die wirkt. Wer in der Welt wirken will, ja wer das Gute in der Welt bewirken will, kann es nur mit Macht tun. Macht ist nichts Verwerfliches. Macht wirkt. Die eigene Macht zu verleugnen, bedeutet auch, die eigene Verantwortung zu leugnen. Das Wesen der von Gott gegebenen Macht aber ist die Liebe. Wer diese Macht missbraucht, wird das Leben verlieren. Wer aber in dieser Liebe sein Leben mit Macht hingibt, wird es gewinnen. So ein Segen: May the force be with you! Möge die Macht mit dir sein!
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
[…] auf den Punkt. Die, die an einen Gott glauben können, haben einen Adressaten für ihre Anklage: Gott ist schuld. Er möge sich erklären. Er möge dem Sinnlosen Sinn geben. Aber der so Angeklagte schweigt nur […]