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kath 2:30 Dies DominiDies Domini – Pfingsten, Lesejahr B

Die Sucht nach Relevanz treibt viele an den Rand der eigenen Originalität. Der Trend ersetzt die eigene Haltung. Der Shitstorm tritt an die Stelle der Argumentation. Wo früher Komödien und Tragödien, Dramen und Romane Geschichten erzählten und in ihrer Kunstfertigkeit die Leserin und den Hörer einbezogen, Jahrhunderte überbrückten und die alten Mythen gegenwärtig lebendig machten, da stellen heute Schauspieler die Gegenwart reißerisch dar. Was eben noch in den Nachrichten vermeldet wurde, kann man anschließend als Spielfilm sehen und dann gibt es den großen Tratsch der Talkshows, die zwar Unterhaltung, aber wenig Erkenntnis bieten. Viel Circenses, wenig panem. Emotion geht vor Information. Der Mensch lässt sich gerne verführen. Schließlich ist Denken anstrengend. Das Gehirn braucht einfach viel zu viel Energie. Wer etwas sein will, der erschafft sich einen Avatar, denn dem Original kann das Selbst nicht vertrauen. Und so verwechselt mancher im Rausch der lustvollen Empörung das medial vermittelte second life mit dem realen Leben, weil die Illusion des virtuellen Adventures von den Herausforderungen des wahren Lebens so schön ablenkt.

Wer in diesem Reigen narzisstischer Eitelkeiten nicht untergehen möchte, braucht bloß das Copy-Paste-Spiel beherrschen. Das Plagiat tritt an die Stelle des Originals. Man spielt nach, was gerade im Trend ist. Man kleidet sich wie diejenigen, die die Medien gerade eben zu Stars erklären. Und wer einen hippen Titel für Veranstaltungen sucht, der braucht bloß in den aktuellen Charts nach angesagten Musikstücken zu suchen, die irgendwie thematisch passen. Dann ist man nah dran am state of the art, dann trifft man den Puls der Zeit, dann muss doch auch der letzte merken, wie aktuell man ist.

Leider bleibt ein Plagiat ein Plagiat. Kopien sind einfach nicht originell. Pubertierende mögen das noch nicht wahrnehmen, wenn sie als Ministars durch die Welt stacksen und dabei hart an der Lächerlichkeit vorbeischrammend ein gefasstes Mitleid in der Erfahrung erregen, dass auch diese Phase vergehen und einen gereiften Menschen hervorbringen wird – ein echtes Original, dass sich in vielen schmerzhaften Niederlagen der schamhaften Selbsterkenntnis bewährt hat.

Das Plagiat ist ein Zeichen noch nicht vorhandener oder längst verlorener Originalität. Es steht für die Unfähigkeit eigener Kreativität und Schaffenskraft. Die Sucht nach Relevanz aber lässt die Schranken fallen. Wie jede Sucht ist aber auch hier der Blick auf die Wirklichkeit des Lebens verstellt. Die Sucht nach Relevanz geht mit einem Realitätsverlust einher. Und die Sucht steigert sich, weil die Realität immer weniger zu ertragen ist. Das Plagiat wird zum Symptom einer Haltung, die längst nicht mehr aufrecht steht, sondern am Boden liegt. Weil man dabei sein möchte, möchte man so sein wie alle. Weil man Anerkennung will, sucht man sie in dem, was schon alle kennen. Dumm ist nur, dass gerade darin die Relevanz verloren geht, denn das Original ist immer besser als die Kopie.

Erschreckt nimmt man angesichts des allgemeinen Zeitgeistes, der im Plagiat eine Art kulturelles Gemeingut und ein Kavaliersdelikt sieht, zur Kenntnis, dass auch die Kirche längst von einer selbstvergessenen Sucht nach Relevanz befallen ist. Man kann es unter anderem an den Titeln von Veranstaltungen erkennen, die gerne Musiktitel der Gegenwart oder wenigstens der jüngeren Vergangenheit kopieren, die es in die Charts geschafft haben. Vor kurzem veranstaltete etwa das Erzbistum Köln ein Forum Evangelisierung mit dem wenig originellen, weil kopierten Titel „Zeit, dass sich was dreht“. Es ist nicht bekannt, ob man Herbert Grönemeyer um sein Einverständnis gebeten hat. Aber offenkundig wollte man den Geist des Sommermärchens der FIFA Fußballweltmeisterschaft beschwören, der 2006 das Bild Deutschland in der Welt positiv verändert hatte. Aber so, wie viele Helden von damals die Trittfestigkeit der bestollten Fußballschuhe längst gegen die lederbesohlten Schuhe für das Paket der Eitelkeiten gealterter Sportler vertauscht haben und Worthülsen über ein Spiel kopieren, die schon herhalten mussten, als der Kaiser noch ein Libero war, so ist er der Titel von Herbert Grönemeyer einfach zu oft kopiert worden, dass selbst die Kopie an sich schon nicht mehr originell ist. Was soll man einer Institution zutrauen, die in einem abgedroschenen Claim eine Veränderung fordert, für den sie im ureigenen Portfolio doch den Slogan des ecclesia semper reformanda (die Kirche muss sich ständig erneuern) besitzt, dem man immer wieder entzückt huldig, dessen Umsetzung man aber fürchtet. Bekenne den Wandel, aber lass alles beim Alten, denn es könnte sich etwas verändern – und das hätte schließlich für alle unabsehbare Konsequenzen. Und so flöten die spitzen Lippen gerne Melodien, die das Herz erfreuen und den Verstand betören, auf dass das Placebo den Menschen in einen warmen und weichen Schlaf hüllt.

Nicht umsonst wird deshalb wohl das Herz so oft besungen. Denn wenn das Herz regiert, braucht es den Kopf nicht. Das Herz will den Selbstbetrug der Liebe. Man muss nicht mehr denken, wenn das Herz so schön fühlt. Nicht umsonst steigt in diesen Tagen der Song „Herz über Kopf“ des Singer-Songwriters Joris in die Charts auf. Das Lied besingt einen Menschen, dem ein hormoneller Schwall die Sinne vernebelt, der die längst besiegelte Trennung im Rausch des Triebes vergisst:

Und immer wenn es Zeit wird zu gehn, vergess ich was mal war und bleibe stehn. (Joris, Herz über Kopf)

Wie im Märchen, wo am Ende die Hochzeit, nicht aber der gelebte Alltag steht, wünscht man auch hier den beiden eine gute Nacht und ein nicht allzu schmerzhaftes Erwachen, wenn die eben noch Fliegenden im Licht des anbrechenden Tages ernüchtert auf dem harten Boden der am Vorabend vor Trunkenheit geleugneten Erkenntnis aufprallen:

Der Zug ist abgefahr’n, die Zeit verschenkt, fühlt sich so richtig an, doch ist so falsch. (Joris, Herz über Kopf)

Was aber in den Charts steht, ist trendy; was trendy ist, ist relevant. „Die Jugendlichen werden uns lieben, wenn wir das kopieren“ – das muss sicher jemand aus dem Team derer gedacht haben, die die Auftaktveranstaltung des Erzbistums Köln für den Weltjungendtag in Krakau vorbereiten. Den muss man doch nehmen! Und so heißt die Veranstaltung, die sich mit dem Motto des Weltjugendtages

Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen. (Matthäus 5,8)

beschäftigt, nun total originell einen aktuellen Musiktitel mit jungspundigem Inhalt zitierend „Herz über Kopf“. Das ist total hipp – trägt aber einige merkwürdige Assoziationen ein, die Joris sicher im Hinterkopf hatte, die aber hier unpassend erscheinen. Denn wer denkt bei „Herz über Kopf“ nicht an „Hals über Kopf“. Hinter der alten Redewendung steht die Beobachtung eines Menschen, der den Kopf voran, so dass der Hals über dem Kopf ist, über eine Mauer stürzt – mit meist tödlichem Ausgang. Die Redewendung trägt eine negative Assoziation ein, die Joris gerade will. Hals über Kopf ist nicht gut. Hat man das im Planungsteam bedacht?

Herz über Kopf – das hört sich doch auf den ersten Blick charmant an. Immer dieses Rationale; immer das Informative. Das Gefühl ist doch das, was zählt. Wenn es schön und kuschelig ist, dann ist es doch gut, dann ist der Zweifel besiegt und das lästige Fragen hat keinen Platz. Feel good! Don’t worry, be happy! – die Titel hätte man auch nehmen können. Aber nein, das ist zu platt. Herz – das passt doch gut zur Botschaft der Bibel. Das sagt Jesus doch selbst:

Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen. (Matthäus 5,8)

Leider haben die veranstaltungsplanenden Plagiatoren übersehen, dass es hier gar nicht ums Gefühl geht. Das Herz ist in der biblischen Sprache der Sitz der Erkenntnis, freilich einer Erkenntnis, die nicht rein rational ist, sondern auch die Intuition, den Instinkt umfasst – aber eben nicht exklusiv. Es ist eine rational erprobte und bewährte Erkenntnis. Gefühl, Instinkt und Verstand kommen im biblischen Bild des Herzens zueinander. Nicht umsonst bittet der israelitische König Salomon, nachdem Gott ihm im Traum erscheint und ihm die Erfüllung einer Bitte gewährt:

Du hast deinem Knecht David, meinem Vater, große Huld erwiesen; denn er lebte vor dir in Treue, in Gerechtigkeit und mit aufrichtigem Herzen. Du hast ihm diese große Huld bewahrt und ihm einen Sohn geschenkt, der heute auf seinem Thron sitzt. So hast du jetzt, Herr, mein Gott, deinen Knecht anstelle meines Vaters David zum König gemacht. Doch ich bin noch sehr jung und weiß nicht, wie ich mich als König verhalten soll. Dein Knecht steht aber mitten in deinem Volk, das du erwählt hast: einem großen Volk, das man wegen seiner Menge nicht zählen und nicht schätzen kann. Verleih daher deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht. Wer könnte sonst dieses mächtige Volk regieren? (1 Könige 3,6-9)

Drei Eigenschaften des Herzens werden hier genannt: Aufrichtigkeit, Hören und Verstehen. Mit diesen Eigenschaften kann ein König sein Volk regieren. Verstehen, Hören und Aufrichtigkeit – das hört sich wenig nach Gefühl, sondern mehr nach Einsicht und Verstand an. Das ist wenig romantisch, aber wahrhaftig. Das biblische Herz ist rational. Nicht umsonst heißt es in der Pfingstsequenz, die am Pfingstsonntag vor dem Evangelium angestimmt wird:

Komm herab, o Heil’ger Geist, der die finstre Nacht zerreisst, strahle Licht in diese Welt.
(…)
Höchster Tröster in der Zeit, Gast, der Herz und Sinn erfreut, köstlich Labsal in der Not,
(…)
Komm, o du glückselig Licht, fülle Herz und Angesicht, dring bis auf der Seele Grund.

Das Herz als Personmitte des Menschen wird zum Sitz des Heiligen Geistes. Er ist Gast im Menschen. Er nimmt in ihm Wohnsitz. Es ist der Geist von dem Paulus in der zweiten Auswahllesung vom Pfingstsonntag im Lesejahr B sagt:

Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung. (Galater 5,22f)

Selbstbeherrschung ist das Gegenteil von Suchtverhalten. Selbstbeherrschung steht für eine Reife. Nicht ohne Grund mahnt Paulus daher mit Blick auf die intensive und ekstatische Emotionalität der Zungenredner im 1. Korintherbrief:

Seid doch nicht Kinder an Einsicht, Brüder! Seid Unmündige an Bosheit, an Einsicht aber seid reife Menschen! Im Gesetz steht: Durch Leute, die anders und in anderen Sprachen reden, werde ich zu diesem Volk sprechen; aber auch so werden sie nicht auf mich hören, spricht der Herr. So ist Zungenreden ein Zeichen nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen, prophetisches Reden aber ein Zeichen nicht für die Ungläubigen, sondern für die Glaubenden. Wenn also die ganze Gemeinde sich versammelt und alle in Zungen reden und es kommen Unkundige oder Ungläubige hinzu, werden sie dann nicht sagen: Ihr seid verrückt! Wenn aber alle prophetisch reden und ein Ungläubiger oder Unkundiger kommt herein, dann wird ihm von allen ins Gewissen geredet und er fühlt sich von allen ins Verhör genommen; was in seinem Herzen verborgen ist, wird aufgedeckt. Und so wird er sich niederwerfen, Gott anbeten und ausrufen: Wahrhaftig, Gott ist bei euch! (1 Korinther 14,20-25)

Der Glaubende strebt bei Paulus nicht nach schönem Gefühl, sondern nach Einsicht. Wenige Verse zuvor fragt er deshalb:

Was nützt es euch, Brüder, wenn ich komme und in Zungen vor euch rede, euch aber keine Offenbarung, eine Erkenntnis, keine Weissagung, keine Lehre bringe? (1 Korinther 14,6)

Statt aber eine vernünftige Lehre vorzulegen, statt die Auseinandersetzung mit Verstand zu suchen, statt anstelle emotionaler Manipulation die ehrliche Überzeugung anzustreben, trifft auf viele kirchliche Versuche, doch noch irgendwie relevant zu sein, die Mahnung des Predigers zu, die er im Hebräerbrief an die Gemeinde richtet:

Obwohl ihr der Zeit nach schon Lehrer sein müsstet, braucht ihr von neuem einen, der euch die Anfangsgründe der Lehre von der Offenbarung Gottes beibringt; Milch habt ihr nötig, nicht feste Speise. Denn jeder, der noch mit Milch genährt wird, ist unfähig, richtiges Reden zu verstehen; er ist ja ein unmündiges Kind; feste Speise aber ist für Erwachsene, deren Sinne durch Gewöhnung geübt sind, Gut und Böse zu unterscheiden. (Hebräerbrief 5,12-14)

Der Kirche von heute fehlen diese Typen, Originale, die selbstbewusst auf vermeintlich originelle Kopien verzichten, weil sie wissen, dass sie immer neue Wege finden müssen, das eine originäre Wort Gottes zu verkünden; das Wort dessen, den der Antwortpsalm am Pfingstsonntag im Lesejahr B preist:

Sendest du deinen Geist aus, so werden sie alle erschaffen,
und du erneuerst das Antlitz der Erde. (Psalm 104,30)

Wer von diesem Geist beseelt ist, erlangt nicht nur Erkenntnis. Es ist ja der schöpferische Geist Gottes, der im Menschen wohnt. Diese Schöpfungskraft wirkt im Menschen. Deshalb schließt der Antwortpsalm mit den Worten:

Möge ihm mein Dichten gefallen.
Ich will mich freuen am Herrn. (Psalm 104,34)

Die Trägerinnen und Träger des Geiste sind Dichter. Sie sollen Autoren sein, keine Plagiatoren. Es ist dieser Geist, der originär durch die Glaubenden sprechen soll, wie es im zweiten Auswahlevangelium vom Pfingstsonntag im Lesejahr B heißt:

Wenn aber der Beistand kommt, den ich euch vom Vater aus senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, dann wird er Zeugnis für mich ablegen. Und auch ihr sollt Zeugnis ablegen, weil ihr von Anfang an bei mir seid. (Johannes 15,26f)

An dem, was gesagt wird, kann man also erkennen, wes Geistes Kind jemand ist – das eines Schlagersängers oder das des himmlischen Vaters. Welche Botschaft trägt die Kirche heute in die Welt, wenn das Bibelzitat als Kleingedrucktes unter einem fetten Songtitel-Zitat steht. Merkwürdig, dass die Verkünder heute so wenig Zutrauen in die Originalität der eigenen Botschaft haben.

Eine Sucht kann nur besiegt werden, wenn der Kopf über den Drang siegt. Der Mensch muss das Haupt erheben und dem Leben entgegensehen. Kopf über Hals und Herz – so ist der Mensch geschaffen worden. Und so fordert es auch der Psalmist:

„Ich unterweise dich und zeige dir den Weg, den du gehen sollst.
Ich will dir raten; über dir wacht mein Auge.
Werdet nicht wie Ross und Maultier,
die ohne Verstand sind.
Mit Zaum und Zügel muss man ihr Ungestüm bändigen,
sonst folgen sie dir nicht.

Wer sich unter die Knechtschaft des Plagiates begibt, hat seinen Originalität längst verloren. Kopien sind langweilig. Der Geist des Lebens aber macht gierig auf Neues. Was würde wohl geschehen, wenn die Verkünder Raum gäben diesem Geist, der stets das Neue schafft und nicht kopiert?

Dr. Werner Kleine

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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