Dies Domini – 4. Fastensonntag, Lesejahr C
Unverhoffte Geschenke nähren das Misstrauen. Die Sache muss einen Haken haben. Nichts ist umsonst in einer Welt, in der alles nur auf Leistung und Gegenleistung beruht. Der Vorbehalt erwacht, bevor die Hände sich öffnen können. Sich zu öffnen, macht wehrlos. Und Wehrlosigkeit bedeutet Gefahr. So ausgeliefert steigt die Ohnmacht angesichts der vermuteten Hinterabsichten des vermeintlich selbstlos Schenkenden. Man hat da so seine Erfahrungen – vor allem mit sich selbst. Man weiß doch aus eigener Erfahrung, dass man nicht einfach so etwas schenkt. Wenigstens dankbar sollten die Beschenkten doch sein. Man hat die Enttäuschung doch mehr als einmal am eigenen Leib erfahren, wenn die Reaktion der Beschenkten nicht so ausfiel, wie man sich das erhofft hat. Auch Schenken ist eben ein Geschäft.
Das Misstrauen hat der Menschheit letztlich das Überleben gerettet. Auch wenn man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul schauen soll, so mahnt doch das Geschenk an sich zur Vorsicht. Haben nicht die Danaer den Trojanern ein hölzernes Pferd geschenkt, das den Untergang Trojas einleitete? Je wertvoller das Geschenk, desto größer muss das Misstrauen sein. Geschenke können in den Untergang führen.
Der Überlebensinstinkt nährt das Misstrauen. Nichts ist umsonst im Leben, das lehrt doch jede Erfahrung. Da kann noch so viel von vorbehaltlosem Vertrauen geredet werden, das erst echte Kommunikation erübrigt. Wer freilich zuerst die Deckung herunter nimmt, darf sich nicht wundern, wenn er sich einen harten Schlag einfängt. Und das Leben lehrt doch immer wieder, dass selbst Gott einen harten linken Haken hat.
Alles Beten scheint doch letztlich nicht zu helfen. Unfall, Not, Krankheit und Tod befallen Fromme wie Unfromme. Und gibt es nicht jene Gottesverächter, die allem äußeren Anschein nach ein glückliches Leben führen. Nützt es da überhaupt, Gott zu vertrauen?
Wer nach dieser Maxime lebt und ein frommes Lebens führt, wird ständig von Gott enttäuscht werden. Die Symptome dieser spirituellen Kränkung sind meist eindeutig. Sie liegen in der Abwertung von allen und allem, was nicht der eigenen Lebenssicht entspricht. Die, die nicht dem eigenen Lebensentwurf entsprechen, werden dann schon sehen, was sie davon haben. Früher oder später wird Gott über sie richten (natürlich nicht über einen selbst, denn man weiß ja, dass man gerecht ist!). Und natürlich weiß man, wie Gott das machen wird. Man kennt sich ja aus. Und weil der Fromme sich selbst gerecht spricht, muss Gott doch diesem Urteil entsprechend handeln.
Nun ist Gott aber kein Mensch. Gott ist! Ihn nach Menschenart zu denken, zeugt nicht nur von wenig Gottvertrauen, sondern von einem tiefen Misstrauen in die Größe Gottes. Es kann doch nicht sein, dass Gott sich selbst einfach so ohne Vorbehalt und Vorbedingung hingibt. Einfach so. Ohne Hintergedanken. Wo kommt man denn da hin? Das würde ja bedeuten, dass das ganze Beten sich gar nicht lohnen würde. Dieses auf Leistung und Gegenleistung beruhende Geschäft mit der Erlösung …
Tatsächlich sitzt das Gottmisstrauen tief im Menschen. Die einen erwarten gar nichts mehr von Gott und wenden sich ab. Gott ist für sie gestorben. Die anderen sonnen sich wohlig im Glanz selbsternannten Ausgewähltseins und müssen doch permanent inständig um Gnade beten. Das ist der Boden, auf dem die Neurosen blühen, die in der Geschichte der Christenheit immer neue dornenreiche Varianten entwickelt hat. Dabei steht am Anfang eine Verheißung vorbehaltlosen Beschenktseins aller, die wohl zu schön ist, als dass man das viel beschworene Geschenk der Liebe Gottes ohne Misstrauen annehmen könnte. Es ist jenes Geschenk, von dem Paulus in der zweiten Lesung vom vierten Fastensonntag im Lesejahr C spricht:
Wenn jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden. Aber das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat. Ja, Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und uns das Wort von der Versöhnung zur Verkündigung anvertraute. Wir sind also Gesandte an Christi statt, und Gott ist es, der durch uns mahnt. Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen! Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden. (2 Korinther 5,17-21)
Es entspricht der Eigentümlichkeit des Paulus, dass er die Dinge in einer eigenen Weise auf den Punkt bringt und dabei gleichzeitig die Komplexität der Dinge um so offenkundiger wird. Diese besondere Eigentümlichkeit ist schon zu neutestamentlichen Zeiten erkannt worden, heißt es doch im 2. Petrusbrief, der im Angesicht der Erwartung der Wiederkunft des vom Kreuzestod auferstandenen Jesus Christus schreibt:
Weil ihr das erwartet, liebe Brüder, bemüht euch darum, von ihm ohne Makel und Fehler und in Frieden angetroffen zu werden. Seid überzeugt, dass die Geduld unseres Herrn eure Rettung ist. Das hat euch auch unser geliebter Bruder Paulus mit der ihm geschenkten Weisheit geschrieben; es steht in allen seinen Briefen, in denen er davon spricht. In ihnen ist manches schwer zu verstehen und die Unwissenden, die noch nicht gefestigt sind, verdrehen diese Stellen ebenso wie die übrigen Schriften zu ihrem eigenen Verderben. (2 Petrus 3,14-16)
Man muss gerade bei den Paulusbriefen also genau hinschauen, um die gleichermaßen komplexe wie schöne Gedankenführung nachvollziehen zu können. Gerade der Text der zweiten Lesung vom vierten Fastensonntag im Lesejahr C ist dabei zu Missverständnissen angetan. Der Grund dafür liegt in der paulinischen Bitte in V. 20:
Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen! (2 Korinther 5,20)
Das Missverständnis liegt in der Rolle des Paulus und dem damit in Zusammenhang gesetzten Versöhnungsappell. Nicht selten wird hieraus eine einseitige klerikal intendierte Aufforderung an die Gemeinde gefolgert: Die Gemeinde muss umkehren und kann dies nur mit klerikal vermittelter Hilfe. Die Gemeinde ist erlösungs- und versöhnungsbedürftig. Versöhnung und Erlösung kann aber nur mithilfe klerikal vermittelter Hilfe bewirkt werden. Das Vertrauen in Gottes vorbehaltlose Güte und Gnade erhält allein schon in der Notwendigkeit dieser Art sakraler Mediennutzung einen herben Dämpfer.
Tatsächlich hat Paulus solches gar nicht im Sinn. Der gesamte Duktus des zweiten Korintherbriefes steht dem entgegen, dem es um die wechselseitige Verwiesenheit von Paulus als Gründer der korinthischen Gemeinde und der Gemeinde selbst geht. Paulus kann vor Gott nicht ohne die Gemeinde bestehen, die Gemeinde umgekehrt aber auch nicht ohne ihn. Diesen Gedanken führt er bereits am Beginn des Schreibens aus:
Und wenn wir euch schreiben, meinen wir nichts anderes, als was ihr lest und versteht; ich hoffe, ihr werdet noch ganz verstehen, was wir meinen und was ihr zum Teil schon verstanden habt, nämlich dass ich am Tag Jesu, unseres Herrn, auf uns stolz sein dürft, so wie wir auf euch. (2 Korinther 1,13f)
Im Hintergrund des 2. Korintherbriefes schwelt ein Konflikt zwischen Paulus und der Gemeinde. Es ging ums Geld, näherhin um die Kollekte für die Jerusalemer Urgemeinde, zu der Paulus sich im Rahmen des Apostelkonzils in Jerusalem verpflichtet hatte. Paulus’ Heidenmission wurde abgesegnet, freilich unter einer Bedingung:
Nur sollten wir an ihre Armen denken; und das zu tun, habe ich mich eifrig bemüht. (Galater 2,10)
Im Zusammenhang seiner Heidenmission startete Paulus deshalb eine breit angelegte Kollektenkampagne in den von ihm gegründeten Gemeinden. In manchen Gemeinden erfuhr er hier viel Unterstützung. So schreibt er selbst an die Korinther:
Brüder, wir wollen euch jetzt von der Gnade erzählen, die Gott den Gemeinden Mazedoniens erwiesen hat. Während sie durch große Not geprüft wurden, verwandelten sich ihre übergroße Freude und ihre tiefe Armut in den Reichtum ihres selbstlosen Gebens. Ich bezeuge, dass sie nach Kräften und sogar über ihre Kräfte spendeten, ganz von sich aus, indem sie sich geradezu aufdrängten und uns um die Gunst baten, zur Hilfeleistung für die Heiligen beitragen zu dürfen. Und über unsere Erwartung hinaus haben sie sich eingesetzt, zunächst für den Herrn, aber auch für uns, wie es Gottes Wille war. (2 Korinther 8,1-5)
Demgegenüber misstraute man in Korinth aber offenkundig der Lauterkeit seiner Motive. Nicht umsonst betont Paulus:
Denn das ist unser Ruhm – und dafür zeugt auch unser Gewissen -, dass wir in dieser Welt, vor allem euch gegenüber, in der Aufrichtigkeit und Lauterkeit, wie Gott sie schenkt, gehandelt haben, nicht aufgrund menschlicher Weisheit, sondern aufgrund göttlicher Gnade. (2 Korinther 1,12)
Die Wendung der Einheitsübersetzung „wie Gott sie schenkt“ wird im griechischen Urtext eher lapidar als Genitiv τοῦ θεοῦ (gesprochen: toû theoû – „Gottes“) angegeben. Aufrichtigkeit und Lauterkeit des Apostels sind göttlichen Ursprungs. Er hat sie eben nicht einfach aus sich heraus. Gott bürgt selbst für ihn. Das ist einfach behauptet, hat aber Konsequenzen; denn wer so redet, muss sich gewahr sein, dass seine Gesinnung eines Tages offenbar werden wird:
Denn wir alle müssen vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder seinen Lohn empfängt für das Gute oder Böse, das er im irdischen Leben getan hat. (2 Korinther 5,10)
Das ist eine bemerkenswerte Redeweise über das göttliche Gericht. Es besteht im Offenbarwerden (φανεροῦν – gesprochen: phaneroûn), also einer unleugbaren letzten und endgültigen Erkenntnis des Menschen selbst in all seinen Dimensionen und Intentionen. Diesem Offenbarwerden kann sich niemand entziehen. Es blüht im wahrsten Sinn des Wortes „allen“. „Alle“ – das bedeutet eben: ohne Ausnahme. Und das Urteil des Gerichtes ist in jedem Fall das Empfangen eines Lohnes für jeden (κομίσηται ἕκαστος – gesprochen: komístai hékastos); von Strafe ist nicht die Rede. Freilich ist der Lohn nicht für alle gleich. Er wird bemessen nach dem, was er im irdischen Leben (wörtlich: durch den Leib – διὰ τοῦ σώοματος/gesprochen: dià toû sómatos) getan hat.
Wie Paulus sich das vorstellt, hat er bereits im 1. Korintherbrief in bildlicher Sprache ausgeführt:
Ob aber jemand auf dem Grund mit Gold, Silber, kostbaren Steinen, mit Holz, Heu oder Stroh weiterbaut: das Werk eines jeden wird offenbar werden; jener Tag wird es sichtbar machen, weil es im Feuer offenbart wird. Das Feuer wird prüfen, was das Werk eines jeden taugt. Hält das stand, was er aufgebaut hat, so empfängt er Lohn. Brennt es nieder, dann muss er den Verlust tragen. Er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durch Feuer hindurch. (1 Korinther 3,12-15)
Auch hier ist klar, dass sich niemand dem Gericht entziehen kann. Das Gericht Gottes aber ist kein Strafgericht, sondern richtet die letzte, die göttliche Gerechtigkeit auf. Selbst bei einem, der in seinem irdischen Leben bildlich gesprochen aufgrund seiner nicht an Gottes Willen orientierten Lebensweise nur eine Strohhütte zuwege gebracht hat, bleibt immerhin noch das Fundament stehen:
Denn einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus. (1 Korinther 3,11)
Es sind genau diese Hintergedanken, die in die Komplexität der zweiten Lesung vom vierten Fastensonntag im Lesejahr C einbezogen werden müssen, um ihre wahre Tiefe zu erfassen. Diese christliche Erkenntnis ist radikal neu. Sie ist neu, weil das Christusgeschehen alles bisher da Gewesene auf den Kopf stellt. Wer sich auf dieses Geschehen ohne Vorbehalte einlässt, der wird die Neuheit voll und ganz erkennen:
Wenn jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden. (2 Korinther 5,17)
Neue Schöpfung – das ist genau Ausdruck dieser radikalen Neuheit. Neue Schöpfung – das bedeutet: von Grund auf, völlig, ganz. Das Alte ist vergangen, die bisherigen Erfahrungen sind nichts mehr wert. Es ist eine neue Weise des Seins. Es ist klar, dass das nicht aus menschlichem Sinnen und Trachten entstehen kann:
Aber das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat. (2 Korinther 5,18)
Die Versöhnung ist das Zeichen der Neuheit des Seins, der Verzicht auf das Aufrechnen und Vorhalten. Die kleine Wendung „der uns durch Christus mit sich versöhnt hat“ deutet an, dass es um keinen Zustand geht, der exklusiv dem Paulus gilt. Die Versöhnung in Christus gilt allen, die sich auf die Neuheit des Seins in Christus einlassen. Folglich ist diesen allen – nicht exklusiv dem Paulus – der Dienst der Versöhnung aufgetragen. Die Christusfolgerinnen und –folger sollen sich durch die Grundhalten des Versöhnens und Versöhntseins auszeichnen; sie rechnen nicht auf, karten nicht nach, sind nicht berechnend.
Daran erinnert Paulus im folgenden Vers:
Ja, Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und uns das Wort von der Versöhnung zur Verkündigung anvertraute. (2 Korinther 5,19)
Gott rechnet den Menschen ihre Verfehlungen nicht an. Die Einheitsübersetzung formuliert schon allgemein. Der griechische Urtext ist noch allgemeiner. Dort heißt es: μὴ λογιζόμενος αὐτοῖς (gesprochen: mè logizómenos autoîs – nicht anrechnend ihnen). Das Versöhnungsangebot Gottes gilt weltweit. Es ist universell. Es kennt keine Grenzen und keine Vorbedingungen. Die Verfehlungen der Menschen werden nicht angerechnet. Sie sind null und nichtig.
Wie kommt Paulus zu dieser verwegenen Schlussfolgerung, die ihn dazu motiviert, die Korinther angesichts der eigenen Versöhnungsbereitschaft, die er im 2. Korintherbrief kundtut, ihrerseits zur Versöhnung zu mahnen (vgl. 2 Korinther 5,20)? Den Grund gibt er in V. 21 an:
Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden. (2 Korinther 5,21)
Das ist ein ebenso theologisch genialer, wie für moderne Ohren rätselhafter Satz. Er ist theologisch genial, weil er das ganze Evangelium, die ganze frohe Botschaft, den ganzen Erlösungsgedanken in einen einzigen Satz fasst, der ob seiner Komplexität aber gerade rätselhaft klingt. Das Rätsel aber lässt sich lösen, wenn man genau hinschaut:
Er hat den, der keine Sünde kannte – Paulus spricht von Jesus Christus selbst. Er kann keine Sünde kennen, weil Gott in ihm ist. Sünde ist keine Tat, sondern ein Zustand – nämlich der Zustand des „Von-Gott-Getrennt-Seins“. Genau dieser Aspekt schwingt in der Fortführung mit:
Für uns zur Sünde gemacht – das ist mit Blick auf Deuteronomium 21,23 eine Umschreibung des Kreuzestodes: Der ans Holz Gehenkte erweist sich in sich als Gottverlassener. Weil Sünde der Gottverlassenheit entspricht, kann Paulus sagen, dass Jesus zur Sünde gemacht wurde. Er befindet sich im Zustand der Gottverlassenheit – für uns!
Das „für uns“ ist die entscheidende Wendung. Es geht um uns Menschen – näherhin: alle Menschen. Denn:
Damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden – die Gerechtigkeit Gottes ist das Ziel für alle Menschen. Gott richtet die letzte Gerechtigkeit auf, die – wie es in 2 Korinther 5,10 hieß – in einem Lohn besteht. Es geht nicht um Verurteilung, sondern um Heil – Heil für alle. Dass das kein oberflächliches Heil im sinne einer banalen Allversöhnung ist, zeigt das Wort „Gerechtigkeit“ (δικαιοσύνη – gesprochen: dikaiosyne). Aber es gilt doch die Zusage, dass allen nicht nur Gerechtigkeit widerfahren wird, sondern alle letztlich auch gerecht gemacht werden. Dass da bei einigen viel Aufbauarbeit an den verbrannten Strohhütten zu leisten sein wird, steht außer Zweifel. Und doch gilt die Verheißung. Sie ist vorbehalt- und bedingungslos.
Tatsächlich aber haben sich die Christusfolgerinnen und –folger immer wieder schwer mit diesem unverhofften Geschenk getan. Menschen rechnen gerne auf. Und weil sie nicht aus ihrer Haut können, denken sie, Gott wäre wie sie. Wie armselig ein solcher Gott wäre. Der Mensch aber erkennt seine kleine und schwache Natur. Und er findet Begriffe, sich das Leben vor dem gütigen Gott richtig schwer zu machen. Augustinus spricht dann von der Erbsünde, Anselm von Canterbury von der unendlichen Beleidigung Gottes durch die Sünden der Menschen, für die Satisfaktion zu leisten sei. Und immer geht es um die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen, die er nur erlangen kann, wenn ein klerikaler Gnadengeber – eben ein Sacerdos (wörtlich: Geber des Heiligen) – durch eine entsprechende Leistung, die in sich wieder eine entsprechende Gegenleistung erfordert, das Heil schenkt. In dieser Sicht befreit dann erst die Taufe von der Erbsünde und macht die Beichte rein. Die so an sakraler Sepsis leidenden Herzen der Glaubenden können der freien Gnadengabe Gottes nur misstrauen. Sie können nicht wirklich feiern wie der jüngere Sohn im Evangelium vom vierten Fastensonntag im Lesejahr C. Als der vom Vater sein Erbteil verlangte, war dieser für ihn eigentlich gestorben. Und so ging er mit dem Geld um: Vom Vater hart verdient, wird es gedankenlos verprasst. Erst am Tiefpunkt, dem Grund des Schweinetrogs, als selbst der Ferkelfraß vertilgt ist und der Magen immer noch knurrt, kommt die Einsicht. Es ist keine Einsicht aus Erkenntnis. Es ist der blanke Hunger, der banale physische Schmerz, der den Gedanken hervorbringt, dass es bessere Zeiten gibt. Umkehr geschieht nicht aus Erkenntnis, sondern aus somatischem Leiden. Der Vater aber sieht ihn schon von weitem.
Man hätte es dem Vater nicht verdenken können, wenn er sich von diesem verkommenen Spross losgesagt hätte. Aber er hat es wohl kommen sehen. Mehr noch: Er hat ihn kommen sehen. Er hat Ausschau haltend den verkorksten Sohn nie wirklich aus dem Blick gelassen. Und jetzt, wo die Zeit endlich reif ist, läuft er ihm entgegen, nein: er rennt, fällt ihm um den Hals und küsst ihn.
Hat der Sohn das verdient? Mit Sicherheit nicht. Und das Fest, das jetzt gefeiert wird, erst recht nicht. Das weiß auch der ältere Sohn, der brave, der immer alles getan hat, um lieb Kind zu sein. Der liebe Jung ist gar nicht mehr lieb. Er ist neidisch. Und in diesem Neid möchte er den jüngeren bestraft sehen, ihn verloren geben. Der Vater aber lädt ihn zum Fest ein. Wird er mitfeiern können – umsonst, geschenkt, unverdient? Oder wird er sich über die Erkenntnis, dass man sich Liebe mit noch so viel Arbeit nie verdienen kann, grämend vom Fest entfernen und zum verlorenen Sohn werden?
Das Gottmisstrauen ist stark bei manchen Frommen. Gibt Gott wirklich umsonst? Da gibt es doch einen Haken! Ja, den gibt es. Der harte Haken Gottes ist die Liebe, die ihn nicht vom Menschen lässt. Von keinem!
Liebe kann man sich nicht verdienen. Liebe ist kein Geschäft. Liebe ist immer umsonst – geschenkt. Misstrauen ist kein Boden, auf dem die Liebe gedeiht. Wehe denen, die sich zwischen die Liebe Gottes und die Geliebten stellen wollen. Vermittelte Liebe ist Kuppelei. Gott aber beruft keine Kuppler, sondern zum Fest der Liebe. Feiert endlich! Ihr lebt doch schon!
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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