Dies Domini – 28. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
Worte werden erst im Hören wirksam. Das Wort allein ist nur Laut. Erst wenn es gehört und interpretiert wird, sich in der Hörerin und dem Hörer inkarniert, Fleisch wird, also neu Gestalt annimmt, kommt das Wort zu sich selbst und wird, was es ist: Wort!
Es liegt im Wesen des Wortes, dass es wirkt. Wort sind performativ. Sie ändern und verändern. Sie erzeugen neue Haltungen oder bestätigen alte. Sie stellen in Frage und festigen. Das ist die schöpferische Kraft der Worte. Der Mensch bedeutet die Laute. Erst die Bedeutung erhebt das Wort aus dem Geräusch und macht aus weißrauschendem Gebrabbel wirksame Botschaft. Sprechen, Hören, Deuten sind die Dimensionen der Worte. In diesen drei Dimensionen wirkt sich das Wort zur gestaltenden Botschaft aus. Ohne Sprecher keine Worte; ohne Hörer keine Wirkung; ohne Deutung keine Verinnerlichung.
Das Wort ist komplex; noch komplexer ist die Wirkung der Worte. Auf dem Weg vom Mund zum Ohr kann viel passieren und noch mehr schiefgehen. Konflikte haben hier ihre Ursache. Ein uneindeutiges Wort ist offen für viele Interpretationen. Auch bei klaren Botschaften ist noch lange nicht gesagt, ob der Hörer das Gesagte auch im Sinn der Sprecherin versteht. Und selbst wenn Gemeintes und Verstandenes in großer Nähe zueinander sind, ist noch lange nicht gesagt, ob die Hörerin im Sinne des Sprechers handelt. Die Macht der Worte ist schwer zu beherrschen. Es ist eine göttliche Macht, die dem Menschen gegeben ist. Vielleicht tut der Mensch sich gerade deshalb schwer mit der Macht der Worte, weil sie eigentlich zu groß für ihn ist. Der Mensch erschafft mit seinen Worten nur allzu oft Wirklichkeiten, derer er nicht mehr Herr wird. Er sollte vorsichtiger mit der Macht der Worte umgehen, kann aber nur selten der Versuchung widerstehen.
Die Rhetorik lebt vom Spiel mit der Worte Macht. Immer wieder werden Schlagworte gesucht und gefunden, deren rhetorische Valenz so mächtig ist, dass sie an die Stelle von Argumenten treten kann. Das Spiel mit solchen rhetorischen Valenzen ist auch in der Kirche allgegenwärtig. Wer von der „Identität der Gemeinde“ spricht, bemüht gleich zwei rhetorisch hochvalente Begriffe, der Inhalt meist so unklar ist, dass zwar alle zu wissen meinen, worum es geht, aber nur in den seltensten Fällen eine kohärente Übereinkunft um das Gemeinte besteht. So ist allein schon der Begriff „Gemeinde“ gar nicht geklärt. Handelt es sich um einen Begriff, der durch territoriale Grenzen definiert wird, oder um eine soziologische Größe? Ist er statisch oder situativ zu verstehen? Usw. Noch schwieriger wird es bei dem Begriff „Identität“. Theologisch ist die Identität der Gemeinde im christlichen Sinn von Christus her definiert. Das ist aber nur selten gemeint. Vielmehr ist das Gemeinte eher ein konkretes Profil einer bestimmten Gemeinde, ihr konkretes „Gesicht“, durch dass sie sich vielleicht von der Nachbargemeinde unterscheidet. „Profil“ aber ist bei weitem nicht so rhetorisch valent wie „Identität“. Profile können sich abnutzen und verändern, Identität eher nicht. Wer in einer Diskussion um die Zukunft einer Gemeinde eine Veränderung des Status quo ablehnt, wird deshalb immer zum Begriff „Identität“ greifen, denn eine Identität anzugreifen ist ein Tabu. Da ist es auch nicht wichtig, dass die Begriffe selbst nicht reflektiert werden. Die rhetorische Macht der Worte entfaltet ihre Wirkung auch so.
Ein Begriff, der nun in vielen (Erz-)Bistümern Konjunktur hat, ist die „kleine christliche Gemeinschaft“. Auch das ist ein rhetorisch hochvalentes Sprachgebilde. Allein schon das Wörtchen „klein“ löst einen Schutzreflex aus. Was klein ist, muss behütet werden. Die scheinbar kleiner gewordene christliche Gemeinde wird zur Gemeinschaft. Das ist intensiver als der doch abstrakt gewordene Begriff der Gemeinde. In ihm schwingt eine hohe soziale Kompetenz mit, ein enges Beziehungsgefüge – irgendwo zwischen Familie und Freundschaft. Es ist eine Wendung mit intensiver Emotionalität, diese „kleine christliche Gemeinschaft“, von denen sich jetzt viele bilden sollen, um die Kirche neu zu beleben. Freilich wird in den Diskursen häufig gar nicht nach der Inkarnation dieser Gebilde in die Geschichten und Traditionen gefragt. Eigentlich ist der Begriff in sich viel zu aseptisch, viel zu romantisch, viel zu süßlich, als dass er den rauen Alltag europäischer Gegenwartskultur mit ihrem ausgeprägten Hang zur Individualisierung bestehen könnte. Genau das wird das Problem der „kleinen christlichen Gemeinschaften“ sein, dass sich hier Individualistinnen und Individualisten sammeln, die sich in ihrem Berufungs- und Sendungsbewusstsein elitär wähnen – eine Kontrastgesellschaft zur Welt, die sich entweltlicht auf Distanz zu denen in der Kirche begibt, die einfach normal bleiben wollen, die die christlichen Feste wie immer feiern wollen, die mit überzeugter Freude, aber ohne unnötige Inbrunst ihr Halleluja singen.
Das rhetorische Problem all der aus der Hilflosigkeit geborenen Suche nach Wegen aus der pastoralen Sackgasse ist freilich die fehlende Dynamik, die den Begriffen „Gemeinde“ und „Gemeinschaft“ innewohnt. Sie mögen so klein und beziehungsintensiv sein, wie man es sich nur vorstellen kann – sie bleiben letztlich auf ein statisch geordnetes Beziehungsmuster mit engen Grenzen nach innen und außen beschränkt. Es fehlt diesen Begriffen an diskursiver Dynamik einer weltoffenen Verkündigung, die die Menschen in ihrem Sosein belässt. Verkündigung ist eine Sache der Worte, auf deren Wirkung man vertraut, ohne den Anspruch auf Entlohnung zu erheben. Dieser Aspekt kommt sehr schön in der ersten Lesung vom 28. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres C zum Ausdruck. Der Prophet Elischa begegnet dem Syrer Naaman. Die Begegnung zwischen diesen beiden ist alles andere als konfliktfrei. Die Lesung lässt das nur schwer erahnen. Aber der Syrer Naaman ist ein stolzer Mann. Wie wäre das auch anders zu erwarten von einem angesehenen und im Kampf erfolgreichen Feldherrn des Königs von Aram (vgl. 2 Könige 5,1). Aller Erfolg aber kann ihn auch nicht davor schützen, von Aussatz befallen zu sein (vgl. 2 Könige 5,2). Von einem verschleppten Mädchen Israels, das im Dienst der Frau Naamans stand, erfährt er schließlich von dem Propheten Elischa. Sein König schickt ihn zum König von Israel, damit der ihn heile (vgl. 2 Könige 5,6). Der aber kann nichts für ihn tun, seine Worte wären hier machtlos:
Bin ich denn ein Gott, der töten und zum Leben erwecken kann? Er schickt einen Mann zu mir, damit ich ihn von seinem Aussatz heile. Merkt doch und seht, dass er nur Streit mit mir sucht. (2 Könige 5,7)
Der Gottesmann Elischa aber hört von diesem Vorfall. Als Prophet weiß er um der Worte göttliche Wirkmacht:
Naaman soll zu mir kommen; dann wird er erfahren, dass es in Israel einen Propheten gibt. (2 Könige 5,8)
Naaman macht sich auf den Weg zu Elischa. Die Bibel beschreibt das in einem merkwürdig anmutenden Bild: Der Aussätzige kommt mit dem Prunk von Pferden und Wagen zu dem Haus Elischas. Der aber bequemt sich nicht, den angesehenen Feldherrn persönlich zu empfangen, sondern schickt einen Boten hinaus, der ihm einen Befehl überbringt:
Geh und wasch dich siebenmal im Jordan! Dann wird dein Leib wieder gesund, und du wirst rein. (2 Könige 5,10)
Naaman aber ist gewohnt, zu befehlen; Befehle zu empfangen ist für den sieggewohnten Feldherrn wohl unter seiner Würde – Aussatz hin, Aussatz her. ER wird zornig und geht weg. Er hatte erwartet, dass ein Wort des Propheten im Namen JHWHs, des Herrn, genügt:
Ich dachte, er würde herauskommen, vor mich hintreten, den Namen Jahwes, seines Gottes, anrufen, seine Hand über die kranke Stelle bewegen und so den Aussatz heilen. (2 Könige 5,11)
So aber wirken Worte gerade nicht. Die Wirkmacht der Worte liegt in der Veränderung. Sie liegt in der Veränderung derer, die hören. Worte zaubern nicht. Sie verändern. Wer sich nicht verändern will, ist taub, tumb, tot. Naaman muss lernen, im wahrsten Sinn von seinem hohen Ross zu steigen und sich der Wirkmacht des göttlichen Wortes zu unterwerfen. Solange er dazu nicht bereit ist, können die Worte nicht wirken. Sie können nicht wirken, weil er nicht bereit ist, zu hören. Und so versuchen ihn seine Diener zu überreden:
Wenn der Prophet etwas Schweres von dir verlangt hätte, würdest du es tun; wie viel mehr jetzt, da er zu dir nur gesagt hat: Wasch dich und du wirst rein. (2 Könige 5,13)
Erst hier setzt die erste Lesung vom 28. Sonntag im Jahreskreis ein. Naaman, der mächtige und erfolgsverwöhnte Feldherr, gehorcht dem Befehl des Propheten. Die Veränderung geht der Befolgung des Befehls voraus. Es ist eine innere Veränderung, das Ergebnis eines Prozesses, ein Weg, der begonnen hat, aber noch nicht zu Ende ist. Naaman wird geheilt – nicht nur äußerlich, auch innerlich. Sein Leib wird gesund wie der Leib eines Kindes. Der Feldherr wird wie ein Kind. Abwehr wird in Vertrauen verwandelt – und in Erkenntnis:
Nun kehrte er mit seinem ganzen Gefolge zum Gottesmann zurück, trat vor ihn hin und sagte: Jetzt weiß ich, dass es nirgends auf der Erde einen Gott gibt außer in Israel. (2 Könige 5,15)
Es ist die Wirkmacht der Worte, die diese Erkenntnis begründet. Der Worte sind in dieser Geschichte aber noch nicht genug getan, denn die, die diese Erzählung heute hören in der zum Gottesdienst versammelten Gemeinde, müssen noch etwas lernen. Sie müssen lernen, dass die Verkündigung des Wortes Gottes zur Identität der Gemeinde gehört. Es ist aber die Verkündigung an sich, die diese Identität begründet, ohne dass die Gemeinde eine Wirkung für sich zu erwarten hätte. Die Verkündigung wird wirken, aber die Gemeinde darf nichts für sich erwarten. Sonst würde die Gemeinde nicht Gott verkünden, sondern sich selbst. Der Syrer Naaman nämlich möchte Elischa für seine Worte entlohnen.
Elischa antwortete: So wahr der Herr lebt, in dessen Dienst ich stehe: Ich nehme nichts an. Auch als Naaman ihn dringend bat, es zu nehmen, lehnte er ab. (2 Könige 5,16)
Nicht den Verkünderinnen und den Verkündern gebührt die Ehre, sondern Gott allein. Es ist sein Wort, dass durch die Verkünderinnen und Verkünder wirkt, nicht ihres. Auch die Gemeinde ist nur Mittel zum Zweck, nicht der Zweck selbst. Die ist die Methode der Verkündigung, der Weg, der die Welt verändern wird – so wie die zehn Aussätzigen, die Jesus im Evangelium vom 28. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres C heilt. Es ist ein Text voller Bewegung. Jesus ist unterwegs nach Jerusalem. Im Hineingehen in ein Dorf kommen ihm die zehn Aussätzigen entgegen. Als sie ihn sehen, bleiben sie auf Distanz, bitten ihn aber um sein Erbarmen. Und Jesus spricht ein Wort. Kein heilendes Wort, aber eines, das verändert:
Geht, zeigt euch den Priestern! (Lukas 17,14)
Die leprösen aus der menschlichen Gesellschaft Ausgestoßenen sollen in den Tempel gehen, jenem Ort, der die Identität Israels begründet. Und sie machen sich auf den Weg, ungeheilt, aber dem Wort gehorchend. Das Wort Jesu verändert sie, schafft Vertrauen, eine Hoffnung wider alle Hoffnung. Erst auf dem Weg vollzieht sich die Heilung. Worte brauchen Zeit, um wirken zu können. Das Verstehen muss sich entfalten, um Veränderung zu bewirken. Die Worte Jesus wirken sich aus – auch ohne dass eine Gemeinschaft mit Jesus begründet wird. Denn von den zehn Aussätzigen kehrt nur einer zurück, um Jesus zu danken. Die neun anderen ziehen ihrer Wege. Sie bleiben geheilt, werden wieder in die Gesellschaft hinein rehabilitiert, ohne sich der Gemeinschaft der Jünger Jesu anzuschließen. Und selbst dem einen, der zum Dank und zum Lobe Jesu zurückgekehrt ist, schickt Jesus weiter:
Steh auf und geh! Dein Glaube hat dir geholfen. (Lukas 17,19)
Selbst die Rückkehr in die Gemeinschaft mit Jesus mündet in die Aufforderung zu gehen. Wenn das Wort Jesu wirklich wirksam wird, entsteht Dynamik. Die Gemeinschaft hat keinen Wert in sich. Die Gemeinschaft Jesu ist ein Weg, ein neuer Weg, ein beständiger Aufbruch. Es geht nicht um die Gemeinschaft an sich, sondern darum, immer wieder aus dieser Gemeinschaft heraus aufzubrechen, um das wirkende Wort Welt werden zu lassen. Die Gemeinschaft Jesu, jenes fleischgewordenen Wortes, verwirklicht sich eben nur, wenn sie es selbst und nicht sich selbst verkündet. Das ist ihr Sinn und Zweck. Nicht das Wachsen und Erhalten ihrer selbst ist das Ziel, sondern die Ausrufung des Wortes Gottes.
Priestermangel, Gläubigenmangel, Relevanzverlust – all das sind Worte mit depressiver Wirkung. Der Blick ist zu sehr nach innen zentriert. Das eigentliche Ziel ist aus dem Blick geraten. Nicht Gemeinde ist das Ziel, sondern die Verkündigung. So gesehen braucht die Kirche keine Organisations- oder Gemeindeberater, sondern rhetorisch versierte Verkünderinnen und Verkünder, die um die Macht des Wortes wissen und sie zur Geltung bringen können. Und dieses Wort wird wirken – kostenlos, aber nie umsonst!
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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