Dies Domini – 32. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
Der Glaube stand schon in vielen Zeiten auf dem Prüfstand. Die Glaubens- und Religionskritik ist legitim, denn sie bewahrt die Glaubenden vor dem Abgleiten in die Banalität, dass man manches eben nur glauben kann. Nolens volens stimmt man dem Vorwurf der Religionskritik zu, Glaube sei eben nicht Wissen; was man aber nicht wissen könne, sei letztlich irrelevant, bestenfalls ein Opium für die Verlierer der Gesellschaft, die sich mit der Aussicht auf ein paradiesisches Jenseits vertrösten.
Zweifelsohne wohnt dem Glauben eine solche hoffnungsstiftende Kraft inne, die dem Glaubenden hilft, auch in schwierigen und existentiell bedrohlichen Situationen nicht zu verzweifeln. Gerade dann erweist sich die Kraft des Glaubens, wenn die Gebeugten ihre Häupter zum Himmel heben und den Herausforderungen des Lebens so erhobenen Hauptes entgegensehen. Hierin zeigt sich aber schon, dass der Glaube viel mehr ist als Vertröstung auf ein Jenseits. Einem solchen Glauben komtt eine geradezu revolutionäre Dimension zu, die sich nicht mit den Zuständen zufriedengibt, sondern auf eine immer gerechtere gesellschaftliche Wirklichkeit ausgerichtet ist. Das Reich Gottes ist für Christen zu nahe, als dass man auf das Jenseits warten müsste.
Ein solcher Glaube duldet nicht nur keine Vertröstung; ein solcher Glaube beruht auf einer tiefen Vergewisserung. Allein die etymologische Herkunft des deutschen Wortes „Glaube“ macht das schon deutlich. Es leitet sich von „geloben“ (altdeutsch: gelobistu) ab. Etwas geloben kann man aber nur, von dem man sich selbst vergewissert und Kenntnis gewonnen hat. Die gleiche Wortbedeutung findet sich auch in dem Begriff, den das Neue Testament für „Glaube“ bzw. „glauben“ verwendet: Das Substantiv πίστις (gesprochen: pístis) bzw. das Verb πιστεύειν (gesprochen: pisteúein) heißen in der Grundbedeutung „von etwas überzeugt sein“. Überzeugung setzt aber Verstand und Vernunft voraus, sonst kann keine Überzeugung begründet werden. Überzeugungen sind mehr als Befindlichkeiten. Überzeugungen vertragen den modernen „Gefällt mir“-/“Gefällt mir nicht“-Modus nicht. Überzeugt sein können nur diejenigen, deren Haltungen fest gegründet sind. Nicht ohne Grund kann Paulus deshalb im zweiten Brief an die Korinther feststellen:
Wir wollen ja nicht Herren über euren Glauben sein, sondern wir sind Helfer zu eurer Freude; denn im Glauben steht ihr fest. (2 Korinther 1,24)
Die Feststellung des Paulus ist bemerkenswert. Ein fest gegründeter und in mit Verstand gewonnener Überzeugung verwurzelter Glaube macht nicht nur lebenstauglich; er duldet auch keine Herren über den eigenen Glauben mehr. Wohl braucht er Helfer zur Freude. Wer nur das glauben mag, was ihm passt, gelangt nicht zur eigentlichen Tiefe. Ein Glaube, der nicht in der Banalität der eigenen Befindlichkeiten landen will, braucht die Auseinandersetzung. Ein Glaube, der revolutionäre Kraft entfalten möchte, braucht die stete Hinterfragen von Anderen. Ein Glaube, der in tiefer Überzeugung gründet, muss sich dem steten Zweifel stellen, der nicht der Feind, sondern der Bruder des Glaubens ist. Denn es ist der Zweifel, der den Glaubenden nicht ruhen und selbstzufrieden werden lässt.
Man kann also nicht nur nicht unüberlegt glauben; der Glaube muss auch nach außen gerechtfertigt werden. Der Autor des 1. Petrusbriefes mahnt deshalb seine Adressaten:
Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt. (1 Petrus 3,15)
Der kurze Satz ist von hohem Anspruch. Die Glaubenden sollen stets (ἀεί/aeí), also immer und allezeit bereit sein, jedem antworten zu können. Und „jedem“ ist hier wirklich umfassend gemeint, denn das griechische πᾶς/pâs ist umfassend und ausnahmslos. Allen, die Auskunft verlangen, ist ohne Wenn und Aber Rede und Antwort zu geben. Die Bereitschaft zur Auskunft wird hier mit dem Wort ἀπολογία/apología beschrieben. Die ἀπολογία meint dabei zuerst die Verteidigungsrede. In der Verteidigung aber sind nur echte Argumente nützlich; subjektive Befindlichkeiten helfen da nicht weiter.
Freilich muss die ἀπολογία mit steter Hinterfragung rechnen. Die Hinterfrager werden versuchen, den eigenen Standpunkt des Glaubens zu widerlegen. Ein Glaube, der auf den Sand Untervernünftigen und bloß Glaubbaren gründet, wird hier schnell im Feuer der Vernunft verwehen. So ein Glaube kann nicht standhalten. Für so einen Glauben aber wird niemand in den Tod gehen. Ein solcher Glaube kann auch nicht wirklich auf ein besseres Jenseits vertrösten. Ihm fehlte die Gewissheit, die Grund für eine solche Hoffnung wäre, eine Hoffnung, von der Paulus sagt:
Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt. Aber auch wir, obwohl wir als Erstlingsgabe den Geist haben, seufzen in unserem Herzen und warten darauf, dass wir mit der Erlösung unseres Leibes als Söhne offenbar werden. Denn wir sind gerettet, doch in der Hoffnung. Hoffnung aber, die man schon erfüllt sieht, ist keine Hoffnung. Wie kann man auf etwas hoffen, das man sieht? Hoffen wir aber auf das, was wir nicht sehen, dann harren wir aus in Geduld. (Römer 8,22-25)
Der Glaube erweist sich als eine auf mit Verstand und Gewissheit gegründete Hoffnung. Hoffnung ist für Paulus kein Begriff, der eine potentielle Illusion bergen würde. Hoffnung ist, wie er selbst sagt, eine Gewissheit auf etwas, das mit Sicherheit kommen wird, aber noch nicht da ist. Wahrer Hoffnung eignet deshalb eine implizite logische Konsequenz, die in der begründeten Glaubensgewissheit wurzelt. Auch wenn das Erhoffte noch nicht eingetreten ist, gibt es für diese biblisch verstandene und im Glauben begründete Hoffnung keinen Zweifel daran, dass es eintreten wird. Es gehört geradezu zum Wissen und zur Erkenntnis des Glaubens, dass die gegenwärtigen Zustände der Veränderung bedürfen, damit das Erhoffte Wirklichkeit wird. Die Glaubenden können sich daher nie mit ungerechten Zuständen zufriedengeben und auf ein besseres Jenseits oder das Eingreifen Gottes warten. Es liegt an ihnen, die Verhältnisse zu verändern:
Ich bin überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll. Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes. Die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen, nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat; aber zugleich gab er ihr Hoffnung: Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. (Römer 8,18-21)
Die Schöpfung wartet also auf das Offenbarwerden der Söhne und Töchter Gottes. Die Glaubenden sollen sich zeigen und die Zustände der Welt aufdecken, wie die wörtliche Bedeutung des griechischen ἀποκαλυφθῆναι/apokalyfthênai lautet. Das Ziel dieser auf Aufklärung gerichteten revolutionären Kraft des Glaubens ist die Befreiung der Schöpfung von Sklaverei und Verlorenheit hin zu Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes.
Hier wird schon deutlich, dass wahrer Glaube kein Sedativum sein kann. Vielmehr strebt ein solcher Glaube zwingend zu Schaffung gerechter Verhältnisse. Gerechtigkeit ist das Ziel des Glaubens.
Freilich kommen die Glaubenden aber genau hier immer wieder an ihre Grenzen. Die herrschenden Verhältnisse können so mächtig und bisweilen auch gewaltig sein, dass die Glaubenden scheinbar nichts auszurichten vermögen. Die Bibel ist im Alten wie im Neuen Testament voll von solchen Ohnmachtserfahrungen, in denen die Geduld der Glaubenden, von der Paulus spricht, auf eine harte Probe gestellt wird. Das Ausbleiben offenkundiger Gewissheiten, die die Hoffnung zerstören und den endgültigen Sieg herbeiführen würden, wird dann zur Probe und Prüfung, an denen der Glaube scheitern kann. Für die Autoren der Schriften der Bibel ist das nicht selten Anlass, den Blick in den Himmel und die mit ihm verbundenen Verheißungen zu heben.
So kann der Seher Johannes in der nach ihm benannten Offenbarung seinen Adressaten angesichts der Bedrohungen durch den Kaiserkult eindringlich und eindrücklich darlegen, dass alles, was auf Erden geschieht oder nicht geschieht, seine Konsequenzen in einem Jenseits hat, in dem der Sieg des Guten längst feststeht. Für ihn ist klar, dass die Zeit in die Ewigkeit hinein aufgehoben wird und sich die Ewigkeit in der Zeit ereignet. Da ist kein Jenseits, das nicht konkret in der Gegenwart der Zeit wäre.
In ähnlicher Weise erinnert der Autor des sogenannten Schreibens an die Hebräer die Gemeinde an ihre glaubensstarke Vergangenheit. Jetzt aber ist sie müde geworden. Deshalb hebt er ihren Blick auf die Wolke von Heiligen der Ewigkeit, die sie jetzt schon umgibt, um sie zu neuem Glaubensmut und Tatkraft zu motivieren.
Wer so glaubt, erhebt die Augen und schaut das Leben an. Wer so glaubt, schaut das Leben selbst im Angesicht des Todes an. Ein eindrückliches Zeugnis solchen Glaubens wird in der ersten Lesung vom 32. Sonntag im Jahreskreis verkündet, die ungeschönt von der Folterung und dem Martyrium von sieben Brüdern und ihrer Mutter erzählt. Der König, der Jerusalem besetzt und den Tempel geschändet hatte, will die Glaubenden zwingen, gegen die Gebote Gottes zu verstoßen und Schweinefleisch zu essen. Er schreckt nicht vor den grausamsten Folterungen und Demütigungen zurück, um die Delinquenten zur Übertretung der Gebote Gottes zu nötigen. Der Text ist grausam. Das Geschilderte ist grausam. Es geschieht auch in diesen Tagen in den kriegerischen Auseinandersetzungen des Nahen Ostens, in denen nicht nur Christen und Juden in ähnlicher Weise gedemütigt werden. Der Text ist aktuell. Er ereignet sich heute!
Menschen, die solchen Demütigungen ausgeliefert sind, vorzuhalten, ihr Glaube sei bloßes Opium, demütigt sie erneut. Vielmehr erweist sich der Glaube für die, die in solchen Situationen die Hoffnung nicht verlieren, als innere Kraft, die letzte Würde nicht zu verlieren. Die innere Gewissheit, dass trotz der scheinbaren Ohnmacht der Gegenwart das letzte Wort auch im Tod nicht gesprochen ist, hat den sieben Söhnen sicher nicht die Schmerzen und Leiden erspart, wohl aber eine Würde bewahrt, die sie auch im Angesicht der Gewalt aufrichtete. So kann der vierte Sohn im Angesicht des Todes sagen:
Gott hat uns die Hoffnung gegeben, dass er uns wieder auferweckt. Darauf warten wir gern, wenn wir von Menschenhand sterben. Für dich aber gibt es keine Auferstehung zum Leben. (2 Makkabäer 7,14)
Dieser Gefolterte hat noch Hoffnung. Er erlebt die Hölle und verliert doch nicht den Blick auf Gott. Es ist Gott, von dem die letzte, die allerletzte Gerechtigkeit kommt – eine Gerechtigkeit, die Menschen zu schaffen nicht imstande sind. Gott ist barmherzig und gerecht. Gerechtigkeit kann nie gegen Barmherzigkeit ausgespielt werden. Deshalb gibt es für die Täter und Folterer wenig Aussicht auf ein heilvolles Jenseits. Wie auch wollen die Liebhaber und Diener des Todes vor dem bestehen, von dem Jesus im Evangelium vom 32. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres C sagt:
Er ist doch kein Gott von Toten, sondern von Lebenden; denn für ihn sind alle lebendig. (Lukas 20,38)
Es ist leicht, diese Zeilen hier ohne äußere Bedrohung zu schreiben. Es ist leicht, zu bekennen, wenn einem das Leben blüht. Es ist leicht, die Fragenden und Zweifelnden darauf zu verweisen, dass man bloß glauben müsse, und sie so letztlich übermütig zu demütigen. Die Menschen, die den Glauben hinterfragen und bisweilen kritisieren, haben aber Rede und Antwort verdient, denn sie erweisen den Glaubenden einen wichtigen Dienst, in der Verteidigung dessen, was sie glauben, tiefer zu reifen und dem Glauben so noch mehr Gestalt zu geben. Wenn die Welt gerechter werden soll, dann braucht es Glaubende, die nicht bloß für die Gerechtigkeit beten; es braucht Glaubende, die zupacken und die Welt in Wort und Tat verändern. Das wird nicht ohne Streit und Anfechtung gehen.
Der Autor dieser Zeilen aber hofft, dass er sich an die großen Worte der friedlichen Zeiten auch in den Zeiten der Bewährung erinnert, mögen diese Zeiten auch ferne sein.
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
[…] dieses Wissen um die Gerechtigkeit Gottes, das natürlich den Glauben an Gott voraussetzt, begründet die urtümliche Gelassenheit der Glaubenden. Sie sollen sich eben nicht aus der Fassung […]