Dies Domini – Dritter Fastensonntag, Lesejahr A
Der kleine Glauben findet seinen Ausdruck im sehnsüchtigen Gebet um Erlösung. Es erscheint fast, als wolle man mit Kerzen, Kniefall, Kollektenopfer sichergehen und sich seinen Platz in der Nähe Gottes reservieren. So ist es menschlich, so kennt man es: Eine Leistung berechtigt zu einer Gegenleistung. Und so ist das, was der Mensch auf Erden wohl für Gott tut, doch eine sicherere Bank als die feste Burg Gottes, von der Psalm 46 singt:
Gott ist uns Zuflucht und Stärke, als mächtig erfahren, als Helfer in allen Nöten. (…) Mit uns ist der Herr der Heerscharen, der Gott Jakobs ist unsre Burg. (Psalm 46,2.8)
In diesem Vertrauen bewältigt der Psalmist sogar die schwierigsten Herausforderungen, die das Leben bereithält:
Gott ist uns Zuflucht und Stärke, als mächtig erfahren, als Helfer in allen Nöten. Darum fürchten wir uns nicht, wenn die Erde auch wankt, wenn Berge stürzen in die Tiefe des Meeres; mögen seine Wasser tosen und schäumen und vor seinem Ungestüm Berge erzittern. Eines Stromes Arme erfreuen die Gottesstadt, des Höchsten heilige Wohnung. Gott ist in ihrer Mitte, sie wird nicht wanken. Gott hilft ihr, wenn der Morgen anbricht. Völker tobten, Reiche wankten; seine Stimme erscholl, da muss die Erde schmelzen. Mit uns ist der Herr der Heerscharen, der Gott Jakobs ist unsre Burg. (Psalm 46,2-8)
Das Gottvertrauen ist groß. Es rahmt den Textabschnitt. Es ist Anfang und Ende, die große Klammer der menschlichen Existenz, in der sich Dramen und Heil des Lebens ereignen. Der Psalmist weiß sich selbst in den existentiellen Herausforderungen des Lebens vom Ursprung her auf das Ziel hin ausgerichtet. Er sagt es klar und deutlich: Gott ist die Mitte, der Haltepunkt, der archimedische Punkt, der Welt und Himmel zusammenhält. Wer so auf Gott vertraut, der hält auch in den Krisen des Lebens stand. Es ist die Erfahrung des Volkes Israel, die diese Gewissheit verleiht. Dem Volk ist nichts erspart geblieben. In der Besinnung auf Gott aber hat es immer neue Wege zur Blüte gefunden. Die Wege musste es selbst gehen. Nichts hat Gott ihnen erspart. Aber er ist mit dem Volk gegangen. Er ist bei den Menschen.
Das zumindest ist die große Gewissheit, der der Psalmist Ausdruck verleiht. Andere Psalmen hingegen sprechen von großer Verzweiflung und der Erfahrung der Gottesferne. Selbst das vertrauensvolle Gotteslob entbehrt also jeder Romantik. Es ist leicht, sich in guten Zeiten des eigenen Gottvertrauens zu vergewissern. Die Probe aufs Exempel der kleinen und großen Lebenskrisen erst erweist, ob die frommen Worte Brücken gleichen, die über Abgründen tragen, oder eher Strohhalmen, die von den Fluten des Lebens hinweggerissen werden. Und es braucht wenig, dass der Mensch eine sanfte Brise schon als Sturm fühlt. Dem Volk Israel ergeht es in der ersten Lesung vom dritten Fastensonntag im Lesejahr A ähnlich. Die Freiheit gewonnen, müssen sie lernen, das Leben in eigener Verantwortung zu gestalten. Es ist wie in der Erzählung vom sogenannten Sündenfall: Die Fleischtöpfe Ägyptens erscheinen plötzlich als Paradies, in dem man satt zu essen und genug zu trinken hatte. Was kümmert es da, wenn man unmündig und unfrei war, wenn allein das Wohl des Wanstes zählt. Aber schon die ersten Menschen mussten reifen und das Leben lernen. Ausgestattet mit Verstand und dem Notwendigsten schickt Gott sie ins Leben und verhindert durch Flammenschwert und Cherubim die Rückkehr in den goldenen Käfig unmündiger Unfreiheit. Die lange Zeit als Sündengeschichte vernebelte Erzählung in Genesis 3 ist in Wahrheit ein großartiger Aufruf zum Leben: Lebe Mensch, du bist frei und sollst es sein! Du bist schuldfähig, weil du frei bist. Handle deshalb verantwortlich. Du hast das Zeug dazu! Lebe! Frei und aufrecht!
Aber schon der erste Durst wenige Tage nach dem Durchzug durch das Rote Meer lässt das Volk jammern. Anklagend wenden sie sich an Mose:
Warum hast du uns überhaupt aus Ägypten hierher geführt? Um uns, unsere Söhne und unser Vieh verdursten zu lassen? (Exodus 17,3)
Wahrlich: Dieses Volk, das eben noch die Wunder Gottes erfahren hatte, ist imstande und gibt seine Freiheit für ein paar Tropfen Wasser her. Das Geschrei ist groß, der Glaube klein. Es wundert nicht, dass dem Mose der Hals schwillt und er zum Herrn schreit:
Was soll ich mit diesem Volk anfangen? Es fehlt nur wenig, und sie steinigen mich. (Exodus 17,4)
Gott aber bleibt gelassen. Er lässt nicht mit sich handeln und nicht rechten. Er löst! Er ist in der Mitte des Volkes und er sorgt – wieder einmal. Aber das Volk wird nicht lernen. Es wird sich neue Götzen machen, goldene Kälber, Opfer wird es bringen, mit dem man sich Gott zu Willen machen möchte. Dabei hätte schon die Geschichte Abrahams lehren müssen, dass mit Gott nicht gut handeln ist. Als der oberhalb von Sodom und Gomorra von dem Plan Gottes erfährt, deren verderbliches Tun zu bestrafen, versucht er handelnd das Schicksal der Städte zu beeinflussen (vgl. Genesis 18,16-33). Wenn nur fünfzig, ja fünfundvierzig, dreißig und schließlich zehn Gerechte in den Städten seien, sollten sie verschont bleiben. Es geht zu wie auf einem orientalischen Basar. Und doch ist das Schicksal Sodoms und Gomorras besiegelt, denn es finden sich noch nicht einmal zehn Gerechte. Lässt Gott sich auf diesen Handel ein, weil er das Ergebnis schon kennt? Er ist doch Gott, der Allwissende!
Nein, man kann nicht mit Gott handeln. Man braucht es auch nicht. Wer glaubt, Gott mit Gebet zu diesem oder jenem bewegen zu können, offenbart nur seinen Kleinglauben. Gott ist kein Kellner, bei dem man Berufungen oder Schicksale oder die eigene Erlösung bestellt. Keine Tat, kein Wort, keine Gabe, kein Werk ist in der Lage, Gott zu manipulieren. Was wäre das auch für ein Gott, dem der eine Mensch sagt, mach es so! – und der andere: Mach es anders! Werden nur die in Krankheit geheilt, die einen Beter haben? Werden nur die erlöst, die über gesunde Knie verfügen?
Die Lerngeschichte Gottes mit den Menschen ist lang – und sie dauert noch. Die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus, vor allem aber die Auferstehung des Gekreuzigten hätten der große Wendepunkt in der Beziehung Gottes zu den Menschen – oder besser: der Menschen zu Gott sein können. Denn mit der Auferstehung Jesu vom Kreuzestod erscheint alles in einem neuen Licht. Indem Jesus den Tod der Gottverlassenheit stirbt, aber von Gott auferweckt wird, setzt Gott ein Zeichen, dass jeder Anschein der Gottverlassenheit zwar eine gefühlte sein kann; faktisch aber bleibt Gott Fels und Burg des Menschen. Das Geschrei der Menschen mag groß sein, Gott ist da! Die einmalige Tat in Kreuzestod und Auferstehung Jesu hat daher einen dauerhaften, irreversiblen Zustand bewirkt, den Paulus in der zweiten Lesung vom dritten Fastensonntag im Lesejahr A wunderbar auf den Punkt bringt:
Gerecht gemacht aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn. (Römer 5,1)
Bereits die Einheitsübersetzung von 1980, die in der Liturgie verkündet wird, macht deutlich, was der griechische Urtext noch intensiver hervorhebt. Die Gerechtmachung wird im Deutschen mit Perfektpartizip wiedergegeben; das griechische δικαιωθέντες (gesprochen: dikaiothéntes) ist von der Tempusform her ein Aoristpartizip. Der Aorist bezeichnet im der altgriechischen Sprache eine einmalige, punktuelle Handlung. Die Gerechtmachung ist etwas Einmaliges gewesen, das einen dauerhaften Zustand bewirkt hat. Das wird in der Fortführung des Satzes deutlich, wenn das Haben des Friedens mit Gott durch Jesus Christus unseren Herrn grammatikalisch mit einem Präsens Indikativ ausgedrückt wird. Eine einmalige Handlung bewirkt einen dauerhaften Ist-Zustand, der irreversibel ist. Was aber ist die Gerechtmachung aus Glauben?
Paulus beantwortet die Frage selbst wenige Verse später. Am Ende der zweiten Lesung vom dritten Fastensonntag im Lesejahr A heißt es:
Christus ist schon zu der Zeit, da wir noch schwach und gottlos waren, für uns gestorben. Dabei wird nur schwerlich jemand für einen Gerechten sterben; vielleicht wird er jedoch für einen guten Menschen sein Leben wagen. Gott aber hat seine Liebe zu uns darin erwiesen, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. (Römer 5,6-8)
Auch hier kann man wieder die bereits in V. 1 eingeführte intensive Relation von einmaliger Handlung (Aorist) und dauerhaftem Zustand (Präsens) beobachten: Die einmalige Handlung des (Kreuzes-)Todes Jesu Christi bewirkt einen dauerhaften Zustand. Dabei intendiert die Verwendung des messianischen Christus-Titels in sich die Auferstehung Jesu vom Kreuzestod, denn genau in dieser Auferstehung vom Kreuzestod ist er als der Messias, der Christus, der Gesalbte offenbar geworden.
Die einmalige Auferstehung vom Kreuzestod bewirkt also dauerhaftes Heil – oder, wie Paulus es im 2. Korintherbrief ausdrückt:
Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden. (2 Korinther 5,21)
Kreuzestod und Auferstehung Jesu haben das Ziel, dass die Menschen erkennen, dass sie erlöst sind – erlöst von der Sünden- und Todesangst. Jesus stirbt am Kreuz den Sündertod der Gottverlassenheit, wird aber paradoxerweise von diesem Gott, der ihn doch verlassen zu haben scheint, auferweckt. Die Sünde als Zustand der Gottverlassenheit wird so als Chimäre, als Befindlichkeit entlarvt. Sie ist postfaktisch, gefühlt, durch menschlich, allzu menschlichen Kleinglauben verursacht; tatsächlich aber ist und bleibt Gott in der Mitte der Menschen. Er ist da! Er ist bei ihnen in Freude und Hoffnung, Trauer und Angst. Er ist und bleibt der ICH-BIN-DA!
Paulus zieht die Konsequenz in unnachgiebiger Eindeutigkeit wenige Verse später:
So sollt auch ihr euch als Menschen begreifen, die für die Sünde tot sind, aber für Gott leben in Christus Jesus. (Römer 6,11)
Die Christen sind für die Sünde gestorben. Sie können nicht mehr sündigen, denn die Sünde wäre der Zustand der Gottverlassenheit. Christen aber bekennen sich zu diesem Gott, der selbst den Gekreuzigten nicht verlassen hat. Was für eine Sünde könnte es noch geben, die von Gott trennt?
Es bedarf keiner Gebete um Erlösung mehr – im Glauben sollten die Glaubenden längst erkannt haben, dass sie erlöst sind. Christen ist deshalb die aufrechte Haltung zu eigen, von der auch im Hochgebet der Eucharistiefeier die Rede ist, wenn es von den circumstantes spricht, also denen, die um den Altar Gottes stehen. Zu den christlichen Tugenden gehören deshalb Aufrichtigkeit und Standhaftigkeit – gerade angesichts der existentiellen Herausforderungen des Lebens. Es mag sein, dass auch ein Christ angesichts der großen und kleinen Lebenskatastrophen die Hoffnung verliert und es den Israeliten in der Wüste gleichtut, die Gott anklagen. Selbst darin wären sie dem Gekreuzigten gleich, der in der Not des Todes seine Gottverlassenheit hinausschreit. Gott hält das aus. Er wird retten. Auf seine Weise. Aber er wird retten. Wenn er uns bis hierher geführt hat, wird er es auch weiter tun.
Seid also standhaft und nicht kleingläubig. Die Welt braucht die aufrechten Christinnen und Christen. Es gibt noch zu viele, die dem Wort Gottes nicht trauen wollen. Warum sollten sie es auch, wenn selbst die Jüngerinnen und Jünger Jesu es nicht tun und um eine Erlösung bitten, die ihnen doch längst gewährt wurde. Betet nicht für euch – ihr seid erlöst! Verkündet es den anderen: Jesus ist wirklich der Retter der Welt! (Johannes 4,42) – Die Welt wartet.
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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