Dies Domini – 25. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A
Den Blick fest in die Zukunft gerichtet wird das vor Augen Liegende nur allzu leicht übersehen. Die Christen in Deutschland kennen das – gleich welcher Konfession sie angehören. Seit über 20 Jahren werden verheißungsvolle Zukunftsprojekte ersonnen, Zukunftswege beschritten und eine Zukunft im Heute beschworen. Keines dieser Projekte hat je zu dem Ziel geführt, das in ihnen formuliert wurde. Alle Milieu-Studien waren schneller Makulatur als man die einzelnen Milieus aufzählen konnte. Die Zeit läuft einfach so schnell dahin und die Zukunft ist immer schon so schnell Vergangenheit. Und so zerfließt die Verheißung wie tödlicher Treibsand in zahlreichen Sitzungen, Meetings und Arbeitsgruppen, die auch dann noch in der Ferne Festland suchen, obwohl das Schiff längst auf einer Untiefe aufgelaufen ist. Die Zukunft ist das Opium, mit dem man sich den Herausforderungen des Hier und Jetzt entziehen kann. Der psychedelische Rausch farbenfroher Grafiken, mit dem pastorale Strategien, Entrepreneurships und Gründerinitiativen beschworen werden, ist letztlich aber auch nur ein grauer Star, der den Blick in die Anforderungen der Gegenwart vernebelt. Die Kartoffelgrafik sozialer Milieus entpuppt sich so letztendlich auch nur als pastorale Fata Morgana.
Da ist kein Wechsel des Denkens erkennbar, kein Paradigmenwechsel, kein alter Wein in neuen Schläuchen. Die eingetretenen Pfade verlässt man nicht. Sie sind zu breit und vertraut. Selbst die progressiven Pastoralplaner folgen einer asphaltierten Tradition, wenn sie die Gemeinde zum Vollzug der Kirche erheben. Darin sind sie sich mit dem authentisch-autoritären Vertretern einig. Während Letztere immer noch den Pfarrer als zentrales Moment pastoralen Denkens sehen und um die immer seltener werdende Spezies in reziproker Konsequenz immer größere Pastoralverbünde konstruieren, mit denen sich niemand mehr identifizieren kann, erscheint bei Ersteren die Kirche vor allem aus eine diffusen spirituellen Befindlichkeit zu bestehen, die weder Sakramente noch das Wort Gottes in der Mitte sieht. Im Besten Fall wird dort das Wort Gottes so lange geteilt, bis es jegliche Anforderung verloren hat und den eigenen Bedürfnissen entspricht. So planen sowohl die traditionsbewussten wie die zukunftsorientierten Pastoralstrategen eine Zukunft, die Gottes Unberechenbarkeit nicht vorsieht. Gott hat in den eigenen pastoralen Kram zu passen. Die Warnung des Propheten Jesaja aus der ersten Lesung vom 25. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A verhallen immer noch ungehört:
Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege – Spruch des Herrn. So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken. Jesaja 55,8f
Das Wort Gottes in des Propheten Mund sagt letztlich das, was Volkes Stimme immer schon wusste: Der Mensch denkt, Gott aber lenkt. Die Zukunft ist nicht planbar. Gerade diese Vergeblichkeit menschlichen Zukunftsstrebens müsste denen doch eigentlicher immer deutlicher vor Augen stehen, die in den letzten Jahrzehnten eine Pastoralstrategie nach der anderen ersonnen, aber keine zu Ende gebracht und gedacht haben. Gottes Wege sind offenkundig nicht ihre Wege und ihre Wege sind nicht Gottes Wege. Gott hat so offenkundig anderes im Geist in dieser Zeit, dass die Unfähigkeit der vielen Verantwortlichen, seinen Paradigmenwechsel wahrzunehmen, schon an Verstocktheit grenzt. Es wird zwar immer wieder ein Wille Gottes beschworen, den man aber doch gar nicht kennen kann, ist Gott doch so viel größer als das menschliche Fassungsvermögen. Vor allem aber wird immer wieder hervorgehoben, dass man an der Beziehung zu Gott arbeiten müssen, wobei die Definitionshoheit über das, was eine Gottesbeziehung ausmacht, natürlich bei denen liegt, die den Willen Gottes verkünden. Natürlich gehört zu diesem Spiel der Spiritualitäten die Behauptung, das Gott eigentlich immer schon da ist und man ihn nur wahrnehmen muss. Dieser Gott ist schon praktisch – wie ein Schweizer Taschenmesser passt er in jede Hosentasche, ist allezeit bereit, beizuspringen, wenn man ihn denn nur lässt. Dann aber hat er gefälligst der Lehre zu gehorchen.
Die Versuchung, sich Gott zurecht zu machen, ist wahrlich groß – und sie war und ist es zu allen Zeiten. Nicht ohne Grund spricht deshalb der Prophet:
Der Ruchlose soll seinen Weg verlassen, der Frevler seine Pläne. Er kehre um zum Herrn, damit er Erbarmen hat in ihm, und zu unserem Gott; denn er ist groß im Verzeihen. Jesaja 55,7
Es ist ein Ruf zur Umkehr. Wer Gott verplant, entpuppt sich letztlich als Frevler. Pläne zu machen erscheint hier als Ruchlosigkeit. Aber es gibt eine Chance, Gottes Verzeihen zu erlangen: Umkehr – μετάνοια (gesprochen: metánoia) – Umdenken! Die Planer – auch die pastoraler Zukunftsstrategien – sollen ihre Wege verlassen. Nicht die Zukunft ist das Entscheidende, sondern das Hier und Jetzt. Und das Hier und Jetzt wird sträflich von denen vernachlässigt, die sich um die Zukunft der Kirche sorgen. Sie vergessen, dass die Kirche – gleich welcher Sozialgestalt sie ist, gedacht wird, sein soll – nie Ziel, sondern Mittel zum Zweck ist. Ihre Aufgabe liegt in dem, was Paulus in der zweiten Lesung vom 25. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A andeutet:
Wenn ich weiterleben soll, bedeutet das für mich fruchtbare Arbeit. Was soll ich wählen? Ich weiß es nicht. Es zieht mich nach beiden Seiten: Ich sehne mich danach, aufzubrechen und bei Christus zu sein – um wie viel besser wäre das! Aber euretwegen ist es notwendiger, dass ich am Leben bleibe. Vor allem: lebt als Gemeinde so, wie es dem Evangelium Christi entspricht. Philipper 1,22-27a
Die Einheitsübersetzung vom 1980 übersetzt gerade den letzten Satz der Lesung recht großzügig. Wörtlich übersetzt müsste es heißen:
Allein würdig des Evangeliums Christi führt euer Leben, damit – sei es, dass ich komme und euch sehe, sei es, dass ich fern von euch höre – ich in einem Geist steht und einmütig mit uns kämpft für den Glauben des Evangeliums. Philipper 1,27 (Übersetzung WK)
Die betont vorangestellte adverbiale Verbindung μόνον ἀξίως τοῦ εὐαγγελίου τοῦ Χριστοῦ (gesprochen: mónon axíos toû euangelíou toû Christoû) deutet an, dass hier das eigentliche Wesen der Gemeinde beschrieben ist. Es besteht darin, das eigene Verhalten allein würdig des Evangeliums Christi zu gestalten. Das Wesen der Gemeinde besteht in der Verkündigung des Evangeliums mit Wort und Tat, mit Leib und Seele, mit der ganzen Existenz. Allein hierin hat die Gemeinde ihre Existenzberechtigung. Sie hat keinen Selbstzweck. Sie ist nicht Ziel der Verkündigung, sondern deren Medium. Sie ist das Werkzeug Gottes, die frohe Botschaft im Hier und Jetzt zu verkünden. Summa Summarum ist es die Verkündigung an sich um die es geht. Jede pastorale Planung, die die Zukunft der Gemeinde in den Mittelpunkt stellt, folgt eine Fata Morgana, weil sie am eigentlichen Auftrag der Verkündigung vorbeigeht. Sie verfehlt die eigentliche Aufgabe, die Verkündigung im Hier und Jetzt zu gestalten.
Es mag sein, dass die Menschen – wie immer wieder behauptet und beschworen wird – von einer unstillbaren Gottessehnsucht durchdrungen sind. Zweifel an dieser euphemistischen Behauptung sind durchaus berechtigt, denn es gibt nur allzu viele, die ohne Gott ein durchaus glückliches und zufriedenes Leben führen. Allzu viele sind an der Frage nach dem Woher und Wohin des Menschen durchaus desinteressiert. Das mag man als nihilistisch oder hedonistische brandmarken und beklagen, entspricht aber den spirituellen Befindlichkeiten vieler moderner Zeitgenossen. Was aber haben die Verkünderinnen und Verkünder denen zu bieten, die auf der Suche nach Antworten sind? Das ist die pastorale Frage, die sich in der Gegenwart so laut stellt, wie selten zuvor. Vor lauter Pastoralplanungen ist die Kultur rhetorischer und authentischer Verkündigung von massiver Degeneration bedroht. Zuviel Energie wird offenkundig in die falschen Themen investiert. Dabei wäre genau hier und jetzt der Zeitpunkt, wo sich eine profilierte Verkündigung mit den Fragen der Zeit auseinanderzusetzen hätte. Statt aber Antworten zu geben, wo es Antworten gäbe, werden bestenfalls pastorale Suchbewegungen ausgelobt. Was aber wird überhaupt gesucht? Des Propheten Weisung aus der ersten Lesung ist eindeutig:
Sucht den Herrn, solange er sich finden lässt, ruft ihn an, solange er nahe ist. Jesaja 55,6
Auch hier lohnt sich ein genauer Blick auf die ursprüngliche Dynamik des Textes, wie sie in einer Arbeitsübersetzung des Alttestamentlers Dr. Till Magnus Steiner deutlich wird:
Sucht JHWH, jetzt, da er sich finden lässt! Ruft ihn an, jetzt, da er nahe ist! Jesaja 55,6 (Übersetzung TMS)
Das Wörtchen „Jetzt“, das sich aus der inneren Dynamik des hebräischen Textes ergibt, ist das Entscheidende. Der Zeitpunkt der Gottessuche ist nicht beliebig. Er lässt sich eben nicht immer finden. Er ist nicht immer offenkundig nah. Es gibt die Erfahrung des Schweigens Gottes, seiner empfundenen Abwesenheit. Er ist der deus absconditus, der verborgene Gott. Es bedarf schon einer aufmerksamen Wachheit, den Zeitpunkt seiner Auffindbarkeit nicht zu verpassen. Es ist jener Moment, der Augenblick des Jetzt, in dem sich diese Erkenntnis für jene ereignet, die das Heute dem Morgen vorziehen. Wenn sich der Ruf Gottes ereignet, ist das kein zukünftiges Ereignis. Er ereignet sich jetzt und hier. Jetzt und hier sind deshalb Zeit und Ort, in dem sich auch die Verkündigung ereignen muss. Wer die Zukunft in Stuhlkreisen plant, folgt dem kindischen Versuch, Gott gefügig zu machen. Mit Sicherheit aber verpasst er die sich jetzt bietenden Gelegenheiten, in denen sich Spalten in Raum und Zeit auftun und die Ewigkeit für einen Moment aufleuchtet. Die Zeit des Heils kommt nicht erst. Heil ereignet sich – wenn überhaupt – im Jetzt. Das Reich Gottes ist nahe. Kehr um, bekehrt euch, die ihr versucht, der Zukunft Herr zu werden, der Herr der Zeit zeigt sich vielleicht gerade jetzt. Ist da jemand, der ihn findet? Oder schaut ihr immer noch in die Ferne? Was also steht ihr den ganzen Tag untätig in die Ferne blickend herum, statt jetzt das Werk des heutigen Tages zu tun? Wer heute nicht arbeitet, ist des Tages Lohn nicht wert …
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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