Dies Domini – 31. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A
Das Heilige ist einfach, aber nie banal. Gerade darin liegt die Herausforderung für alle Verkünderinnen und Verkünder: Das Heilige einfach, aber nie einfältig, eingängig, aber nie banal zu verkünden. Die Erfahrung des wahrhaft Heiligen gleicht einem Kuss, in dem sich Zeit und Ewigkeit berühren. Das Ewige ist nicht einfach das Jenseitige und die Zeit nicht einfach diesseitig. Die Zeit entspringt vielmehr aus der Ewigkeit und kehrt in sie zurück. Die Ewigkeit umfängt die Zeit, ereignet sich in ihr, ist in jedem Augenblick präsent – und geht doch nicht in ihr auf. Die Ewigkeit lässt sich nicht ergreifen. Sie ist pure, reine Gegenwart in höchster Dynamik – etwas, das in der Zeit mit ihrer wesenhaften Eigenart des Werdens und Vergehens nicht zu greifen ist. Kein Augenblick kann in der Zeit verweilen, ohne schon Vergangenheit geworden zu sein.
Die Ewigkeit aber trägt die Zeit. Es ist, als sei die Zeit der Ewigkeit entsprungen, so wie die Welle in einem stillen Wasser dem sanften Impuls der Berührung eines Fingers entspringt. Die Welle breitet sich aus – und doch ist in jedem Punkt der Welle der Urimpuls unbeschadet präsent. So weitet sich die Zeit aus der Ewigkeit heraus und trägt doch in jedem Augenblick die Ewigkeit in sich.
Ein Schrecken mag die erfassen, die sich der Gegenwart des Ewigen im Hier und Jetzt bewusst werden. Freilich verführt die Allgegenwart des Ewigen zu einer gewissen Gewöhnung. Was immer und überall gegenwärtig ist, wird im wahrsten Sinn des Wortes gewöhnlich und alltäglich. Das Bewusstsein für die Außergewöhnlichkeit der Gegenwart des Ewigen in Zeit und Raum schwindet allmählich dahin – eine Gefahr, die manches Paar kennt, bei dem die Liebe irgendwann zur Gewöhnung wurde. Während man früher im Rausch der Hormone weder Kosten noch Mühen scheute, um der oder dem Anderen zu gefallen, übernimmt irgendwann die Bequemlichkeit weiter Schlabberkleidung das Regiment. In dieser Banalität des Alltäglichen ist die Liebe nicht mehr verschwunden – aber sie blüht nicht mehr so wie in den Tagen, als sie noch jung war. Aus Verwöhnung wurde Gewöhnung. Eine eingespielte Liebe, die noch die Verheißung vergangener Tage in sich trägt. Sie blüht auf, wenn die Feste der Liebe gefeiert werden: Kennenlern-, Verlobungs-, Hochzeitstage, Tage, an denen man die Liebsten wieder überrascht wie in jungen Jahren, wenn man sich für die oder den Liebsten herausputzt und zeigt, dass er oder sie immer noch etwas Besonders ist, der oder die Eine, für die man alle anderen hat ziehen lassen und immer noch ziehen lässt. Dann weicht die Banalität des Alltags jenem Augenblick der Heiligkeit, in der die Liebenden wieder den Hauch der Ewigkeit spüren.
Das Heilige ist einfach, aber nie banal. Wie Liebende brauchen auch die Glaubenden – gerade weil sie im Tiefsten Liebende sind – immer wieder das Fest, in dem die Gegenwart des Heiligen aus der alltäglichen Vertrautheit herausgehoben wird. So wie die Liebe braucht auch das Heilige Mittel und Wege um sich mitzuteilen. Eine Ewigkeit, die sich in Zeit und Raum ereignet, bindet sich eben an Zeit und Raum. Zeit und Raum werden geheiligt, heilige Zeit und heiliger Raum der Begegnung mit dem Heiligen. Wehe dem, der die Sphäre des Heiligen in Raum und Zeit stört wie einer, der die Welle mit dem eigenen Finger durchkreuzt. Genau hier setzt die Kritik Gottes ein, eine verstörende Priesterschelte, die der Prophet Maleachi in der ersten Lesung vom 31. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A überbringt:
Jetzt ergeht über euch dieser Beschluss, ihr Priester: Wenn ihr nicht hört und nicht von Herzen darauf bedacht seid, meinen Namen in Ehren zu halten – spricht der Herr der Heere -, dann schleudere ich meinen Fluch gegen euch. (Maleachi 2,1-2b)
Fast schon barmherzig lässt die Leseordnung die folgende Fortführung des Fluches aus:
… und verfluche den Segen, de rauf euch ruht, ja, ich verfluche ihn, weil ihr nicht von Herzen darauf bedacht seid. (Maleachi 2,2cd)
Auch die weitere Entfaltung des Textes lässt das Schicksal der Priester nicht besser werden:
Seht, ich schlage auch den Arm ab und werfe euch Unrat ins Gesicht, den Unrat eurer Feste, und man wird euch zu ihm hinausschaffen. (Maleachi 2,3)
Die Bestrafung ist schrecklich. Gleichwohl dient sie einem Ziel:
Dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin, der diesen Beschluss über euch ergehen ließ, weil ich einen Bund mit Levi habe, spricht der Herr der Heere. Mein Bund bedeutet für ihn Leben und Heil; beides gab ich ihm, dazu die Furcht: Er sollte mich fürchten und vor meinem Namen erschrecken. (Maleachi 2,4f)
Die Erkenntnis der Gottesfurcht ist das Ziel des Handelns Gottes. Der Bund mit Gott bedeutet für den priesterlichen Stammvater Levi Leben und Heil – und gleichzeitig eben Furcht und Schrecken. Die Begegnung mit dem Heiligen mag einfach sein. Sie kann auf keinen Fall banal sein. Sie ist schrecklich!
Wenn die Ewigkeit in Zeit und Raum offenbar wird, geraten Zeit und Raum aus den Fugen. Die Welt wird verrückt. Furcht und Schrecken sind die Begleiterscheinungen, wenn der Alltag aus den Fugen gerät. Entliebte kennen das, wenn der eine geht und der andere von nichts etwas geahnt hat. Nichts bleibt mehr, wie es war. Und nur allzu oft stellt sich dann die Frage, wie es dazu kommen konnte …
Zuverlässige Belehrung kam aus seinem Mund, nichts Verkehrtes fand sich auf seinen Lippen, in Frieden und Aufrichtigkeit ging er mit mir seinen Weg und viele hielt er davon ab, schuldig zu werden. (Maleachi 2,6)
So sah der Anfang aus, der priesterliche Frühling Levis – als die Liebe noch Saft und Kraft hatte und wusste, dass Liebe Erfüllung nie in sich selbst, sondern im Anderen findet. Und damit wird Levi zum Urbild des Priesters:
Denn die Lippen des Priesters bewahren die Erkenntnis und aus seinem Mund erwartet man Belehrung; denn er ist der Bote des Herrn der Heere. (Maleachi 2,7)
Damit ist die Aufgabe des Priesters beschrieben. Er ist zuerst und ausschließlich der Bote des Ewigen. Ihn und sein Wort hat er zu lehren – und sei es, dass es Belehrung sein muss. Dazu muss er Kenntnis des Ewigen haben. Er soll diese Erkenntnis aber gerade nicht für sich behalten und sich mit ihr brüsten. Er soll diese Erkenntnis verkünden.
Die Begegnung mit dem Ewigen aber ist schrecklich. Sie verrückt die Maßstäbe. Jede Banalität verbietet sich. Die Banalisierung des Heiligen ist die große Gefahr aller Verkünderinnen und Verkünder, denn die Schrecken der Gottesfurcht gefallen den Menschen oft nicht. Menschen zu gefallen ist einfacher, der Erfolg unmittelbarer. Die alltägliche Gewöhnung banalisiert die Gegenwart des Ewigen. Und genau hier setzt die Kritik Maleachis an, die in der ersten Lesung im Vordergrund steht, die aber aufgrund des Zuschnittes der Leseordnung in der Luft hängt, weil das Gegenbild Levis und seines begeisterten Anfangs fehlt:
Ihr seid abgewichen vom Weg und habt viele zu Fall gebracht durch eure Belehrung; ihr habt den Bund Levis zunichte gemacht, spricht der Herr der Heere. (Maleachi 2,8)
Der Hauptkritikpunkt Gottes an seinen Priester besteht darin, dass sie sich nicht an die Wege Gottes halten und auf die Person sehen (vgl. Maleachi 2,9). Sie suchen eben Menschen zu gefallen. Sie banalisieren die Botschaft Gottes:
Und wir, haben wir nicht alle denselben Vater? Hat nicht der eine Gott uns alle erschaffen? Warum handeln wir dann treulos, einer gegen den andern, und entweihen den Bund unserer Väter? (Maleachi 2,10)
Durch die Worte des Propheten schimmert genau jenes Streben nach harmonischer Einheit durch, das Gott letztlich banalisiert. Die Wahrheit ist einfach, aber eben nicht einfach zu haben. Die Erkenntnis der Wahrheit muss errungen, bisweilen erstritten werden. Wer das mit oberflächlichen Binsenweisheiten übertüncht, wie es die geweihten und ungeweihten Verkünderinnen und Verkünder zu allen Zeiten getan haben und tun, muss sich der schrecklichen Kritik Gottes stellen. Sie verkünden letztlich eben nicht den einen Gott, der der Vater aller ist; denn der Vater aller ist immer auch Richter. Wer Gott aber nur so verkündet, wie es einem selbst passt, erschafft einen Popanz und macht sich zum Schöpfer. Wer so handelt, verkennt, dass er Geschöpf ist und Gott der Andere.
Das Feuer der Liebe ist schrecklich. Es ist das Feuer der Ewigkeit, das in Raum und Zeit brennt. Die Banalisierung ist der Tod jeder Liebe. Wer die Wahrheit sucht, muss sich darauf gefasst machen, dass manches verrückt wird. Der Alltag ist das Feld der Ewigkeit. Banalisiert ihn nicht. Feiert ihn. Sucht sie, sie lässt sich finden. Wehe aber denen, die glauben, sie hätten Gott begriffen. Das wäre nun wirklich zu banal … Die Wahrheit aber braucht den Widerstand in Raum und Zeit. Seid also widerständig, vor allem da, wo das Ewige ergraut und Grauen statt Gottesfurcht herrscht. Leistet Widerstand – im Namen und Auftrag Gottes.
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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