Das Essen in Essen ist in aller Munde. Die Entscheidung, den Ausländeranteil an den Bedürftigen, die die Essener Tafel aufsuchen, zu senken, erhitzt die Gemüter. Rechte Schwadroneure klatschen eifrig Beifall, linke schwingen die Spraydose, alle reden vom Verteilungskampf. Dabei sind die Tafeln ursprünglich angetreten, um in Lebensmittelläden, später auch Restaurants Essbares vor der Vernichtung zu bewahren und es einer sinnvollen Verwertung zuzuführen.
Natürlich spricht sich so etwas herum. Wer sagt schon nein, wenn es preiswert Genießbares gibt, was man sich sonst nicht leisten könnte. Auf die Dauer trat der Nachhaltigkeitsgedanke in den Hintergrund. Die Tafeln wurden in der öffentlichen Wahrnehmung de facto zu Einrichtungen der Armenspeisung. Deshalb echauffieren sich jetzt viele, dass es ein Skandal sei, dass so etwas in Deutschland überhaupt nötig sei. Was glauben Sie denn?
Nötig sind die Tafeln sicher nicht. Man kann mit Hartz IV keine großen Sprünge machen. Man kommt über die Runden – mehr schlecht als recht. Die Tafeln sind deshalb mehr als ein Lebensmitteldiscounter für die Bedürftigen. Sie sind eine sichtbare Mahnung, die immer wieder vor Augen führt, dass der Überfluss der einen den Bedarf der anderen stillen könnte – wenn man mit den Ressourcen endlich solidarisch umgehen würde. Solidarität – ein wichtiges Wort aus der katholischen Soziallehre … immer wieder im Munde geführt, selten tatsächlich gelebt.
Wie wenig Solidarität aber auch unter den Bedürftigen gilt, wurde jetzt durch die Entscheidung der Essener Tafel, keine neuen Mitgliedsscheine an Ausländer auszustellen, offenbar. Man kann sicher die Frage stellen, ob diese pauschale Entscheidung klug war. Dass angesichts der in der Essener Tafel herrschenden Zustände, bei die Starken die Schwächeren beiseitedrängen oder Ansprüche auf ein bestimmtes Angebot erheben und bei Nichtgefallen die ehrenamtlichen Helfer angehen, gehandelt werden muss, steht außer Frage. Wäre es aber nicht angemessener gewesen, diejenigen, denen es offenkundig an nötigem Anstand und Respekt mangelt, ein Hausverbot zu erteilen und den Mitgliedsschein zu entziehen?
Stattdessen setzt man die Ausländer pauschal vor die Tür. Aber Vorsicht! Ausländer sagt man nicht mehr! Das heißt heute „Menschen mit Migrationshintergrund“. Erstaunlich ist nur, dass der Migrationshintergrund nur für die zählt, die aus Gebieten östlich des 15. Meridians stammen. Niederländer haben keinen Migrationshintergrund, Briten auch nicht. Die Iren singen so schön, die Schweden auch. Und Franzosen – o la, la! – sind Franzosen. Bei Italienern und Spaniern muss man schon mal hinschauen. Südtiroler sind ja eigentlich – auch wenn sie wie etwa Markus Lanz einen italienischen Pass besitzen – Deutsche. Polen aber haben auf jeden Fall einen Migrationshintergrund, Serben auch, mit Sicherheit aber Syrer, Libanesen, Iraker, Türken und Kurden – alles östlich des 15. Meridian. Das ist die Grenze. Ob die Gitter vor der Essener Tafelrunde nun auch für Hartz IV-Empfänger aus Holland geschlossen sind?
Manch einer spricht heute noch im Bergischen von den „Dahergelopenen“, wenn einer nicht von hier stammt. Dahergelopener – das ist Platt für Migrant. Ich bin auch so einer. Ich stamme aus Essen. Aber das liegt ja westlich des 15. Meridian. Glück gehabt!
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in der WZ Wuppertal vom 9. März 2018
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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