Menschen mit Handicap sind in der Öffentlichkeit meist nicht sichtbar. Das liegt daran, dass Menschen mit Handicap sich anders verhalten. Menschen mit Handicap fühlen sich deshalb in der Natur wohl, wenn sie Gras unter den Füßen haben und große Flächen voller Sand. Auch am Wasser bewegen sie sich gerne. Menschen mit Handicap spielen Golf. Damit es da fair zugeht, gibt es eben das Handicap – einen Faktor zur Nivellierung unterschiedlicher Leistungsstärken, damit auch zwischen Spitzensportlern und Anfängern ein sinnvoller Wettbewerb stattfinden kann. Kurz gesagt: Die Schwachen bekommen einen Vorsprung, eine Sonderbehandlung – ja: im Sport herrscht eine Segregation, bei der eben nicht alle gleichbehandelt werden. Das entspricht im Übrigen jenem grundständig christlichen Ideal, das Paulus im Römerbrief zur Sprache bringt: „Wir müssen als die Starken die Schwäche derer tragen, die schwach sind, und dürfen nicht für uns selbst leben. Jeder von uns soll dem Nächsten zu Gefallen leben, zum Guten und zur Auferbauung.“ (Römer 15,1f)
Das ist freilich etwas viel Enthusiasmus, wenn man auf das übereilt vorangetriebene Inklusionskonzept schaut, bei dem Menschen mit Behinderung wie Nichtbehinderte behandelt werde, man ihnen aber dadurch das Handicap abspricht. Wenn man so tut, als gebe es keine Unterschiede, sind eben nicht alle gleich. Eine solche Inklusion ist nicht nur eine Illusion, sie macht auch die letztlich zu chancenlosen Verlierern, die einer Sonderbehandlung bedürften, um gleichberechtigt am Leben teilhaben zu können. Wie im Sport gehört dazu allerdings auch, dass die Leistungsstarken sich überhaupt auf ein Spiel mit Handicap-Inhabern einlassen. Selten hat man bei olympischen Spielen gesehen, dass etwa ein Usain Bolt aus freien Stücken seinen Mitläufern einen Vorsprung gewährt hätte. Was glauben Sie denn?
Die SPD als Verfechterin einer Einheitsbehandlung für alle Menschen hält am kommenden Sonntag ihren außerordentlichen Bundesparteitag in Wiesbaden ab. Nach 100%-Martin-Schulz und Vielen-Dank-für-die-aufregende-Zeit-Sigmar-Gabriel soll nun eine neue Parteivorsitzende gewählt werden: SPD-Promi-Frontfrau Andrea Nahles – die mit der hohen Medienpräsenz – oder die Flensburger SPD-Oberbürgermeistern Simone Lange – die, die mit dem Herzen einer eher unbekannten Wikingerin den Aufstand probt.
Die unbesiegbaren Alleinkandidaten Sigmar Gabriel und Martin Schulz redeten bei ihren „Bewerbungsreden“ bis die Kehlen trocken und die Ohren müde waren – im Falle Gabriels fast 2 Stunden, im Falle Schulz‘ 70 Minuten. In Wiesbaden scheut man sich wohl vor zwei leidenschaftlichen Reden, weshalb man die Redezeit der beiden Kandidatinnen jeweils auf 10 Minuten beschränkt hat. Andrea Nahles wird das nicht schaden. Man kennt sie ja. Aber Lange? Wer ist denn Simone Lange?
Die SPD ist stolz auf ihre demokratische Tradition. Sie rühmt sich der demokratischen Selbstverständlichkeit eines kontrovers erstrittenen Beschlusses zum Koalitionsvertrag auf dem letzten außerordentlichen Bundesparteitag in Bonn. Sie tritt zu Recht dafür ein, dass alle die gleichen Chancen haben. So wie es jetzt aussieht, ist Andrea Nahles allerdings gleicher. Das Handicap ungleich geringerer Bekanntheit von Simone Lange interessiert nicht. Es werden doch alle gleich behandelt, obwohl es keine Gleichheit gibt. Wo ist eigentlich Kevin Kühnert, wenn man ihn mal braucht?
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in der WZ Wuppertal vom 20. April 2018
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