Die Aufklärung ist gescheitert. Die alljährlichen Sommerlöcher offenbaren die Untiefen menschlichen Strebens. Vor allem in den digitalen Medien verrichten in der Hitze der Nacht Hashtags schneller ihr Werk als der Buchsbaumzünsler die für das katholische Palmsonntagsbrauchtum so bedeutsame Pflanze abnagt. So sollte das Hashtag #ZSMMN die deutsche Nationalmannschaft zwar zum fünften Stern führen, entpuppte sich aber eher als vokalbefreites konsonantisches Konglomerat, das man nicht jubeln, wohl aber mit zusammengebissenen Zähnen zischen kann. Ein sehr bekanntes und wichtiges Hashtag der jüngeren Vergangenheit hingegen war und ist das #MeToo, mit dem in der Folge des Skandals um den ehemaligen Hollywood-Produzenten Harry Weinstein auf das Ausmaß und die Folgen von sexuellen Übergriffen und sexueller Belästigung aufmerksam gemacht wird. In Anlehnung daran hat sich nach dem Rücktritt Mesut Özils aus der deutschen Nationalmannschaft mit #MeTwo ein neuer Internethype entwickelt, mit dem auf rassistisch motivierte Diskriminierung aufmerksam gemacht werden soll. Ein neuer #Aufschrei im Netz? Ja, was glauben Sie denn?
Die Niederländer sind wohnwagenfahrende Käsköppe, Türken essen viel Knoblauch, angereichert mit Kümmel, Polen lieben deutsche Autos, auch wenn es nicht die eigenen sind, Italiener ernähren sich nur von Spaghetti, vielleicht noch von Zucchini und die Deutschen firmieren im Ausland gerne als unlustige rot moffen, besserwisserische Piefkes, Kartoffeln mit Seppelhut oder lederhosentragende Krauts – alles rassistisch motivierte Vorurteile, die unter die Rubrik #MeTwo gehören. Es gibt in den Untiefen der menschlichen Vernunft eine offenkundige Lust, den eigenen Mangel an Selbstbewusstsein dadurch zu kompensieren, dass man diejenigen, die so offenkundig anders sind als man selbst, wenigstens sprachlich klein zu machen. Dass das keine rein deutsche Tugend ist, wird schon an den vielfältigen Zuschreibungen deutlich, die man jenseits bundesdeutscher Grenzen für die Nachfahren der Chatten, Brukterer, Cherusker, Sueben, Ubier, Angrivarier, Usipeter und der vielen anderen frühgermanischen Stämme bereit hält.
Den anderen klein zu machen ist immer ein Zeichen von Schwäche. Der sich seiner Stärke selbst Bewusste hat solcherlei Diskriminierung nicht nötig. Auch die Herkunft ist letztlich nur eine von vielen menschlichen Eigenschaften, für die der Betreffende nichts kann. Ebenso könnte man sich über Blauäugige lustig machen oder über Blondinen oder Männer mit Grippe oder Frauen am Steuer. Alles längst ausgelacht.
Die Hashtags haben die Menschheit zu einer ernsten Rasse werden lassen, die für jede eilige Hysterie gerne den Verstand fahren lässt. Die Kritik an Mesut Özil entzündete sich doch nicht daran, dass er Deutscher wie Türke ist, sondern an seiner Huldigung einem türkischen Präsidenten gegenüber, der die Pressefreiheit einschränkt und die Menschenrechte bestenfalls für eine Empfehlung hält. Wer kennt schon seine wirklichen Gründe? Wenn er selbst aber geltend macht, dass ja auch die Bundeskanzlerin und die britische Queen sich mit dem Erdogan ablichten ließen, dann straft er sich – egal ob als Türke oder Deutscher, selbst Lügen, wenn er seinem Handeln jede politische Intention abspricht: Im Unterschied zu ihm, dem genialen Mittelfeldstrategen, agieren Queen und Bundeskanzlerin dann doch rein politisch. Zum Hashtag noch einmal: Es braucht wieder den Mut, dass die Menschen sich des Verstandes bedienen #sapereaude. Und das sage ich gerade als römisch-katholischer Wuppertaler #kck42!
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in der WZ Wuppertal vom 3. August 2018
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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