Dies Domini – Erntedank/27. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr B
Ein heißer Sommer mit wenig Niederschlag – das wäre noch vor wenigen Jahrzehnten ein Anlass für ein Erntedankfest gewesen, an das sich noch Generationen erinnern würden. Geringe Ernten mussten überlebt werden. Was Mutter Erde überhaupt gab, galt als Gottesgabe. Immerhin: Der heiße Sommer des Jahres 2018 war den Nachrichten eine Meldung wert: Aufgrund des Übermaßes an Sonnenschein freuen sich die Winzer auf einen Jahrhundertjahrgang, während die Kartoffelbauern klagen, die Erdäpfel seien ob des Wassermangels zu klein. Longfrites wird es also nicht, oder nur zu hohem Preis geben. Und was das für die Kartoffelchipindustrie bedeutet, mag man sich gar nicht ausmalen.
Das sind die Sorgen, mit denen man im Jahr 2018 Erntedank feiert. Während am Sonntag wie sicher auch anderswo auf dem Laurentiusplatz in Wuppertal-Elberfeld, immerhin einem ehemaligen Feld, ein Erntedankmarkt stattfindet, wird man vor den Altären in den Kirchen vorzugsweise Kürbisse, ein paar hübsch gebündelte Weizenähren, einige Kartöffelchen und vielleicht noch etwas Obst finden – meist in von Erdresten befreiten Mengen, in denen man gerade einmal ein Familienpicknick ausrichten könnte. Natürlich muss den Städtern, die sonntags noch in den Gottesdienst gehen – und das sind katholischerseits immerhin gut 10% – erklärt werden, dass man Gott für diese Gaben danken muss, ohne die wir nicht leben könnten. Was glauben Sie denn?
Der Dank an Gott ist absolut gerechtfertigt, und klingt doch auch nach einem heißen Sommer genauso blutleer wie ein gut abgehangenes Steak. Solange im Supermarkt die Regale auch an heißesten Tagen mit Früchten, die energieintensiv aus aller Herren Länder in die Bergischen Lande an der Wupper geflogen werden, gefüllt sind, singt niemand Gott an der Supermarktkasse „Danke für diesen schönen Einkauf“; solange Konsumentinnen und Konsumenten Fleisch als Produkt wahrnehmen und vergessen, dass da ein ehemals lebendiges Wesen seine wahrscheinlich wenig glückliche Existenz in einer Massentierhaltung industriell hygienisch-plastikverpackt und gütebesiegelt beendet, jubelt niemand mit dem Psalmisten
„Alles, was atmet, lobe den Herrn. Halleluja!“ (Psalm 150,6).
Und solange für den Energiebedarf Wälder gerodet werden, sei es mit schwarz-gelbem Segen rot-grüner Beschlüsse im Hambacher Forst für den Braunkohletagebau, sei es auf schwarz-grünes Geheiß im hessischen Reinhardswald für Anlagen zur Windernte, ist Klimaschutz bestenfalls ein Lippenbekenntnis mit Herpesbläschen. Die Schöpfung bezahlt immer, denn eines ist klar: Für jeden Kilometer eines vermeintlich sauberen Elektroautos stirbt ein Baum – so oder so. Es scheint fast so, als rehabilitiere dieses offenkundige Dilemma die alte Lehre von der Erbsünde. Der Mensch schafft es einfach nicht, mit sauberen Händen im Paradies zu leben …
Ach, klebte doch noch Erde an den Händen der Menschen statt Holzspäne. Der Mensch wüsste, dass er zwar säen, gießen und ernten kann. Er kann sogar gentechnisch die Umwelt beeinflussen – allein eine Erde kann er nicht erschaffen. Mutter Erde, Muttererde – sie ist Gottes Gabe, auf dass der Mensch sie behüte, pflege und hege. Weil er aber die Gartenhacke durch die Kreissäge ersetzt, wird er schnell lernen, dass, wer Wind sät, Sturm ernten wird. Der Klimawandel ist längst in Gang. Solange der Mensch in den Mitgeschöpfen aber Produkte und in Wäldern nur Hindernisse zur Energiegewinnung sieht, wird sich an seiner Gesinnung wohl wenig ändern. Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, auf dem Laurentiusplatz oder in den Kirchen am Sonntag also einen großen Kürbis sehen – verschwenden Sie wenigstens einen kurzen Gedanken daran, dass wir die Natur brauchen, die Natur uns aber nicht! Gott sei Dank, dass wir sie noch haben!
Dr. Werner Kleine
Dieser Text ist zuerst in einer leicht gekürzten Fassung in der Kolumne „Was glauben Sie denn?“ in der WZ Wuppertal vom 5. Oktober 2018 erschienen.
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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