Dies Domini – 7. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
Das Problem kirchlicher Sprachkultur liegt nicht in ihrer prinzipiellen Unverständlichkeit. Gnade, Sünde, Erlösung – diese Worte spielen durchaus auch im Sprachgebrauch des modernen Menschen eine Rolle. Der Polizist, der Gnade vor Recht walten lässt, sieht den Verkehrssünder erlöst von dannen fahren. Niemand braucht hier viel Phantasie, um sich eine solche Situation vorzustellen. Nein, es sind nicht die Worte und es ist nicht die Sprache, die an sich problematisch sind; es ist die gegenwärtige Unfähigkeit vieler Verkünderinnen und Verkünder der Kirche, den Gebrauch dieser Begriffe mit eigenem Inhalt rechtfertigen zu können. Die hehren Worte verkommen dann zu Hohlformen mit tönernem Klang. Jede Nachfrage, auf die es keine echte Antwort gibt, entlarvt die Floskelhaftigkeit der Sprache. Wer so verkündet, nimmt sein Gegenüber nicht nur nicht ernst; er ist auch selbst nicht ernst zu nehmen – und genau das macht ihn und sie für die modernen Zeitgenossen zu uninteressanten Gesprächspartnern. Wo die Verkündigung der frohen Botschaft auf das Kalenderspruchniveau eines „Wir haben die beste Botschaft der Welt“ schrumpft, ohne erklären zu können, worin denn diese Botschaft besteht, hat die Kirche der Welt tatsächlich nichts zu sagen.
Derlei Floskeln gibt es leider allzu viele. Da „durften“ geweihte Häupter Messe feiern, als ob sie je jemand um Erlaubnis gefragt hätten und nicht durch einen Dienstplan zur Zelebration verpflichtet gewesen wären; mit einem flotten „Mach’s wie Gott, werde Mensch“, wird suggeriert, dass der Mensch erst Mensch werden müsse; und der Zölibat wird flugs zum Geschenk wahlweise Gottes oder der Kirche an die Menschheit verklärt, was entweder im Widerspruch zum göttlichen Schöpfungsauftrag und -segen, fruchtbar zu sein und sich zu vermehren (vgl. Genesis 1,28), steht oder die Kirche in einer unzulässigen Weise personifiziert, ist sie doch eigentlich Werkzeug und Zeichen für die Vereinigung mit Gott (vgl. Vatikanum II, Lumen Gentium, Nr. 1) – nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Das Problem solcherart des kirchlichen Redens liegt in der schnellen Entlarvung durch die, die eben nachfragen und sich nicht mit einem „das muss man halt glauben“ abspeisen lassen. Weil dann aber eben nicht mehr kommt, zerbricht das tönerne Glöcklein nur allzu schnell, die Kommunikation mit dem Gegenüber zerbröselt zu Staub, die Menschen wenden sich ab, weil da eben nichts ist, was für das Leben wirklich relevant wäre. Divergieren dann noch Rede und Handeln, wie es angesichts des Missbrauchsskandals unübersehbar an viel zu vielen Orten und viel zu oft geschieht, hilft keine fromme Rede mehr. Ein einzelner Missbrauch ist schon zu viel! Kann die Kirche angesichts der Größe des Unheils für sich jetzt noch in Anspruch nehmen, heilige Kirche zu sein? Da hilft auch kein behauchtes Sprechen mehr, das Demut heuchelt und wohl signalisieren soll, der Geist würde durch die Worte der so Redenden persönlich wehen. Wenn hier überhaupt noch etwas in der Welt von heute gerettet werden kann, dann müssen die Vertreter der Kirche sich selbst ehrlich machen. Egal ob geweiht oder ungeweiht: Auch die Getauften bleiben Söhne und Töchter Adams und Evas, sie bleiben Menschen aus Fleisch und Blut.
Daran erinnert Paulus auch die Korinther in der zweiten Lesung vom 7. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres C:
Adam, der erste Mensch, wurde ein irdisches Lebewesen. Der letzte Adam wurde lebendig machender Geist. Aber zuerst kommt nicht das Überirdische; zuerst kommt das Irdische, dann das Überirdische. (1 Korinther 15,45f)
Die Verse finden sich am Ende eines langen Gedankenganges, mit dem Paulus den Korinther nicht nur die Tatsächlichkeit der Auferstehung Jesu vom Kreuzestod mithilfe eines Zeugenbeweises nachweist (vgl. 1 Korinther 15,1-8), sondern auch deutlich macht, dass es gerade die Auferstehung des Gekreuzigten ist, die die fundamentale Basis des christliche Glaubens ist:
Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer, leer auch euer Glaube. Wir werden dann auch als falsche Zeugen Gottes entlarvt, weil wir im Widerspruch zu Gott das Zeugnis abgelegt haben: Er hat Christus auferweckt. Er hat ihn eben nicht auferweckt, wenn Tote nicht auferweckt werden. Denn wenn Tote nicht auferweckt werden, ist auch Christus nicht auferweckt worden. Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist, dann ist euer Glaube nutzlos und ihr seid immer noch in euren Sünden; und auch die in Christus Entschlafenen sind dann verloren. (1 Korinther 15,14-18)
Wer nicht an die Auferstehung des Gekreuzigten zu glauben vermag, weil das an sich etwa der menschlichen Grunderfahrung widerspricht, kann kein Christ sein – er oder sie ist oder glaubt dann eben etwas anderes. Gerade weil die Auferstehung des Gekreuzigten für die bloße Vernunft eine Herausforderung ist, sieht Paulus sich ja genötigt, sie mithilfe von über 513 Zeugen (vgl. 1 Korinther 15,5-8) nachzuweisen.
Lässt man sich aber auf den Glauben an die Auferstehung ein – und zwar eben nicht unüberlegt (vgl. 1 Korinther 15,2) – ergeben sich neue Fragen. Etwa, wo denn die vom Tod Auferstandenen nun sind. Offenkundig wandeln sie ja nicht nur nicht mehr auf der Erde. Die Öffnung der Gräber würde sogar zutage fördern, dass die Leiber dort verwesend verfallen. Ist das nicht Beweis genug, dass die Auferstehung vom Tod ein absurder Glaube ist?
Die große Stärke des Paulus war und ist es, dass er sich diesen Fragen stellt. Er sucht nach Antworten. Bisweilen muss er wohl auch um sie ringen. Und er findet Antworten. Dass seine Briefe überhaupt erhalten sind, zeigt, dass seine Antworten wohl gefruchtet haben. Dabei argumentiert er, der doch oft als theoretisch empfunden wird, bei genauerer Betrachtung erstaunlich konkret. Er bedient sich der real existierenden Welt als Anschauungsfolie. Die Frage, warum angesichts der verwenden Leiber trotzdem an eine Auferstehung von den Toten geglaubt werden kann, beantwortet er etwa folgendermaßen:
Nun könnte einer fragen: Wie werden die Toten auferweckt, was für einen Leib werden sie haben? Du Tor! Auch das, was du säst, wird nicht lebendig, wenn es nicht stirbt. Und was du säst, ist noch nicht der Leib, der entstehen wird; es ist nur ein nacktes Samenkorn, zum Beispiel ein Weizenkorn oder ein anderes. Gott gibt ihm den Leib, den er vorgesehen hat, und zwar jedem Samen einen eigenen Leib. Nicht alles Fleisch ist dasselbe: Das Fleisch der Menschen ist anders als das des Viehs, das Fleisch der Vögel ist anders als das der Fische. Auch gibt es Himmelskörper und irdische Körper. Die Schönheit der Himmelskörper ist anders als die der irdischen Körper. Der Glanz der Sonne ist anders als der Glanz des Mondes, anders als der Glanz der Sterne; denn auch die Gestirne unterscheiden sich durch ihren Glanz. So ist es auch mit der Auferstehung der Toten. Was gesät wird, ist verweslich, was auferweckt wird, unverweslich. Was gesät wird, ist armselig, was auferweckt wird, herrlich. Was gesät wird, ist schwach, was auferweckt wird, ist stark. Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt ein überirdischer Leib. Wenn es einen irdischen Leib gibt, gibt es auch einen überirdischen. (1 Korinther 15,35-44)
Die Beobachtung der Natur an sich lehrt, dass die Dinge im Wandel sind. Der Samen etwa verwandelt sich zur Pflanze und verliert seine Ursprungsgestalt. So verhält es sich eben auch mit dem Überschritt vom Irdischen ins Himmlische – das eine ist verweslich, der irdisch-fleischliche Köper, das andere unverweslich. Im 2. Korintherbrief wird er diese Metamorphose mit dem Bild des „Überkleidetwerdens“ beschreiben:
Wir wissen: Wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird, dann haben wir eine Wohnung von Gott, ein nicht von Menschenhand errichtetes ewiges Haus im Himmel. Im gegenwärtigen Zustand seufzen wir und sehnen uns danach, mit dem himmlischen Haus überkleidet zu werden. So bekleidet, werden wir nicht nackt erscheinen. Solange wir nämlich in diesem Zelt leben, seufzen wir unter schwerem Druck, weil wir nicht entkleidet, sondern überkleidet werden möchten, damit so das Sterbliche vom Leben verschlungen werde. (2 Korinther 5,1-4)
Genau unter diesem Aspekt muss man nun aber die 2. Lesung vom 7. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres C verstehen, die den Gedankengang des 15. Kapitels des 1. Korintherbriefes fortführt:
So steht es auch in der Schrift: Adam, der erste Mensch, wurde ein irdisches Lebewesen. Der letzte Adam wurde lebendig machender Geist. Aber zuerst kommt nicht das Überirdische; zuerst kommt das Irdische, dann das Überirdische. Der erste Mensch stammt von der Erde und ist Erde; der zweite Mensch stammt vom Himmel. Wie der von der Erde irdisch war, so sind es auch seine Nachfahren. Und wie der vom Himmel himmlisch ist, so sind es auch seine Nachfahren. Wie wir nach dem Bild des Irdischen gestaltet wurden, so werden wir auch nach dem Bild des Himmlischen gestaltet werden. (1 Korinther 15,45-49)
Es geht um das Verhältnis irdischer und himmlischer Existenz. Die irdische Existenzweise ist die des ersten Adam, eines Menschen; die Existenzweise des letzten Adam – das ist der vom Kreuzestod Auferstandene – wird himmlisch, also nicht-fleischlich, wohl aber leiblich sein. Die Leiblichkeit ist in diesem Sinn nicht zwingend fleischlich. Sie ist trotzdem notwendig, weil die Auflösung der Leiblichkeit in die Vorstellung einer entleibten Seele führt, die aber gerade aufgrund der Leiblosigkeit ihre Identität verlöre. Es ist ja gerade die von den paulinischen Zeugen gemachte Erfahrung des Auferstandenen, die aber auch eine Identitätserfahrung ist: Alles, was Jesus ausgemacht hat (im Zeugnis der Evangelien wird das im Tonfall der Stimme, der Wundmale oder seiner Handlungen signalisiert) ist weiter gegeben; seine Erscheinungsweise aber so signifikant anders, dass selbst die, die ihm zu irdischen Lebzeiten vertraut waren, ihn zuerst nicht erkennen. Zwischen hier und dort, zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen Erde und Himmel – und das lehrt der Glaube an die Auferstehung des Gekreuzigten – gibt es eine maximale Kontinuität in der Diskontinuität. Die Identität bleibt und doch wird alles anders.
Das aber ist die Zukunft. Die himmlische Existenzweise ist den Irdischen noch nicht möglich. Sie sind erdverbunden, irdische Lebewesen aus Fleisch, die – wenn sie den Glauben an den vom Kreuzestod Auferstandenen nicht unüberlegt angenommen haben – eine Ahnung der himmlischen Existenz haben. Hier aber gelten die Gesetze der Natur, die Gott selbst seiner Schöpfung eingepflanzt hat. Dazu gehört nach biblischem Zeugnis eben auch der segensvolle Auftrag Gottes, fruchtbar zu sein und sich zu mehren. Wenn es ein Geschenk Gottes an die Welt gibt, dann ist es wohl die Sexualität, aus der Leben entsteht und Leben weitergegeben wird. Darin geht Gottes Schöpfung weiter. Wer auch immer seine Sexualität Gott opfernd hinhält, wird das kaum tun können, wenn er sich ihrer enthält. Der Lebens- und Liebestrieb Gottes hat die Schöpfung nicht nur hervorgebracht, er erhält sie bis heute am Leben. Wie reich sind die beschenkt, die daran mitwirken! Nicht umsonst fühlt sich manch eine und manch einer da jetzt schon im siebten Himmel und ahnt, dass Gott das Leben liebt und nicht das Opfer …
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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