Bald ist Weihnachten – dieses Fest, an dem selbst in erfahrenen Frauen und gestandenen Männern Erinnerungen aus Kindertagen wach werden. Damals war die Welt für die meisten doch in Ordnung; Lichterglanz und Glockenklang verhießen Festlichkeit und das Kind in der Krippe rief selbst bei jenen Empathien wach, denen man sonst den Vorwurf gefühlsduseliger Säuseligkeit kaum machen konnte. Weihnachten war, ist und wird immer ein besonderes Fest sein. Man kann es schon mittags an Heilig Abend spüren, wie die Stadt den Atem anhält. Die Gesellschaft synchronisiert sich. Arm und Reich, Jung und Alt, Menschen, welcher Herkunft auch immer tun zur selben Zeit das Gleiche: Sie feiern selbst dann Weihnachten, wenn sie keine Christen sind. Oder ist da etwa ein Atheist, der den Seinen an Weihnachten nichts schenkt? Was glauben Sie denn?
Bald ist Weihnachten. Selbst die hüteren Herrn der Stadt werden für einen Abend Frieden schließen. In der Tat, es sind derzeit nur Herren, die im Vorstand der Stadt sitzen. Das ist geradezu weihnachtlich, kommen doch auch am Futtertrog von Bethlehem mit Ausnahme der Maria nur Männer zusammen. Josef, die Hirten, die Magier aus dem Morgenland, selbst der Neugeborene – alle männlichen Geschlechts. Sogar Ochs und Esel sind männlich – bei dem Ochsen sicher, bei dem Esel wenigstens grammatikalisch wahrscheinlich. Gut: Die Schafe werden weiblich gewesen sein. Ansonsten ist die einzige weibliche Figur die Mutter Jesu, die halt ihre Rolle als Gebärerin in Perfektion vollendet hat und nun – frisch entbunden – hold lächelnd ihrem Erstgeborenen huldigt. Waren da wirklich keine Frauen in Bethlehem? War da niemand, der der Geburtsunerfahrenen, weil Erstgebärenden bei der Niederkunft beistehen konnte? Wusste Josef, der Handwerker, was zu tun war?
Die Frage haben sich offenkundig schon die frühen Christen gestellt. In einer apokryphen Schrift, also einen Text, der keinen Eingang in das Neue Testament gefunden hat, dem sogenannten Protoevangelium des Jakobus, macht sich Josef, als bei Maria die Wehen einsetzen, auf die Suche nach einer Hebamme, also medizinischem Fachpersonal. Diese wissende Frau wird Zeugin der Geburt Jesu, die im Text als wunderbar und schmerzfrei geschildert wird. Kann man so etwas glauben? Wohl kaum – schon gar nicht als Hebamme. Aber diese eine Hebamme hat es erlebt – und muss es direkt einer Kollegin, die der Text sogar mit dem Namen Salome vorstellt, erzählen. Die kann es natürlich nicht glauben. Wie sollte sie auch? Sie weiß doch, wie es Frauen ergeht, die gebären. So geht sie hin und sieht selbst nach. Und sie sieht ganz und gar nach, indem sie den Zustand der Maria handgreiflich untersucht – und feststellt, dass Maria immer noch und trotz der Geburt Jungfrau ist. So erzählt es jedenfalls die Legende im Protoevangelium des Jakobus.
Der Salome verdorrt übrigens wegen ihres Zweifels zuerst die Hand, die aber durch die Berührung des Jesuskindes wieder geheilt wird. Eine wunderbare Geschichte – zu schön, um wahr zu sein. Aber auch sie gehört zu Weihnachten, findet man doch auf vielen mittelalterlichen Bildern neben Maria eine Frau, die sich die Hand hält. Das ist Salome.
Versuchen Sie doch einmal, in der Bibel die Stelle zu finden, wo Ochs und Esel an der Krippe stehen. Das wird schwierig werden, denn auch die Anwesenheit der beiden Tiere an der Krippe geht auf einen apokryphen Text, das Pseudo-Matthäusevangelium, zurück. Wenn es schon Tiere auf diese Weise an die Krippe schaffen, dann sollte das doch für Frauen kein Problem sein. Die Frauen von Bethlehem gehören an die Krippe. Und was dort recht ist, sollte im Rathaus billig sein. Frohe Weihnachten!
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in der WZ Wuppertal vom 20. Dezember 2019
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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