Corona geht einem auf die Nerven! Es reicht jetzt wirklich. Es ist genug. So jedenfalls scheint die Stimmungslage vieler Zeitgenossen zu sein. Wer sich in dieser Woche, nachdem die Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin am 15.4.2020 des Lockdowns leichte Lockerung angedacht haben, durch die Stadt bewegte, mochte den Eindruck einer großen Erlösung gewinnen. Der Mensch an sich ist halt so. Er hört gerne, was er hören mag. Was er nicht so gerne hört, überhört er einfach. Dafür glaubt er um so lieber, was er gerne glauben mag! Was glauben Sie denn?
Was zählen schon Fakten, wenn man sich nach vier Wochen Homeschooling und Heimarbeit austreekt, Verzeihung: austreckt nach guten Nachrichten. Die Sonne scheint, der Frühling lockt. Das ist einfach zu verführerisch. Das muss doch das Licht am Ende des Tunnels sein. Wer jetzt über Exitstrategien fabuliert, findet schnell offene Ohren. Vergessen sind all die eingeübten Verhaltensweisen physischer Distanz. Das kleine Nichts aus Stoff im Gesicht wird zur Illusion von Schild und Schutz. Da kann man beherzt wieder zulangen, sich unter der Maske an der Nase jucken oder sie gleich unter dem Kinn tragen … das Corona-Virus muss doch sehen, dass bei einer so bewehrten Person nichts zu holen ist. Man war schließlich lang genug abgeschottet. Außerdem verkündet ja selbst der nordrhein-westfälische Ministerpräsident, dass bald sogar die Schulen wieder öffnen. Und überhaupt sei NRW das Land der Küchenbauer. Das muss so ein Virus doch anerkennen. Man muss halt Prioritäten setzen …
Beten hilft nicht gegen Unvernunft. Und ob hier, wie Paulus es im Römerbrief 4,18 formuliert, Hoffnung wider alle Hoffnung angebracht ist, ist mindestens fraglich. Denn das vermeintlich erlösende Licht am Ende des Tunnels könnte auch ein entgegenkommender Zug sein. Der Exit enttarnte sich dann als Exitus. Ist das Volk, in dem man einst dichtete und dachte, wirklich nicht mehr dicht im Dach? Sind die schönen Worte immer noch so verführerisch wie der Gesang der Sirenen – betörend aber tödlich. Ein Volk, das solch Signale hörend, schnell zuhauf strömt, kämpft möglicherweise sein letztes Gefecht und zeigt so, dass gehäufte Dummheit auch im Schwarm nicht intelligent wird.
Man muss nur nach Italien oder Spanien schauen, um die Gefährlichkeit des Corona-Virus zu erkennen. Es will sich bloß vermehren. Dafür braucht es Wirte – viele Wirte. Das Einzige, wie man es bannen kann, ist auf Distanz zu bleiben. Solange Infizierte nicht sicher identifiziert werden können und es noch keinen Impfstoff gibt, lockt jede Lockerung auch das Risiko. Die Psyche des Menschen lässt sich leicht verführen. Exit-Strategien und Ladenöffnungen sind das reinste Opium des Volkes. Das Corona-Virus weiß von all dem nichts. Es freut sich über viele neue Wirte, die maskiert die Köpfe wieder näher zusammenstecken. Rund 1000 mal kleiner als eine menschliche Zelle hüpft es durch den hübsch genähten Gesichtsschmuck einfach durch …
In den ersten vier Wochen des Lockdowns wurde schon viel erreicht. Die Infektionsraten sanken – bis Ostern. Dann gingen die Leute im schönen Schein spazieren. Gut zwei Wochen später steigen die Raten wieder leicht an. Die Effekte verzögern sich. Man darf gespannt sein, wie sich das angesichts lockerer Exitstrategien entwickelt. Wir sind noch nicht am Ziel – noch lange nicht.
Schon und noch nicht – die Formel ist als „eschatologischer Vorbehalt“ bekannt: Durch Kreuzestod und Auferstehung Jesu Christi wissen wir, dass wir schon erlöst sind, die endgültige Vollkommenheit aber noch nicht erlangt ist. Das gilt auch jetzt. Wir haben dem Virus schon ein Stück seiner Macht genommen, aber noch nicht gewonnen. Bleiben Sie wachsam! Glück auf!
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in der WZ vom 24. April 2020
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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