Dies domini – Vierter Sonntag der Osterzeit, Lesejahr B
Wer am Rhein wohnt oder mindestens mal gelegentlich dort spazieren geht, für den ist es ein vertrauter Anblick: Schafe, die – oft bewacht von einem emsigen, die Herde umrundenden Schäferhund – unter der Begleitung ihres Hirten die grünen Rheinwiesen abgrasen und dabei einen Anblick des genügsamen, in sich ruhenden Geschöpfs bieten, ja fast idyllisch wirken und dabei im Kopf die Pastorale, Beethovens sechste Sinfonie, ablaufen lassen. Lässt man dieses Bild ein wenig wirken, kann man den Erholungswert von mindestens einer Woche Strandurlaub in einer Stunde erzielen. Ich glaube, das ist nicht unangemessen bei all den Schwierigkeiten, die das alltägliche Leben heute mit sich bringt, selbst dann nicht, wenn man nicht sofort an Klimaerwärmung und Machtkontrolle denkt. Auch das heutige Evangelium, des 4. Sonntags der Osterzeit, entführt uns in diese ländliche Welt, in der jeder Hörer um die Bedeutung des Hirten sofort weiß:
„In jener Zeit sprach Jesus: Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte gibt sein Leben hin für die Schafe.“ (Joh 10,11)
Es tut auch heute gut, die mit diesem Blick verbundenen Assoziationen auf sich wirken zu lassen: auch wenn es so gar nicht zu unserm technokratischen Macherimage passt, wo in einem fort Herausforderungen von North Stream II und Atomausstieg mit Finanzkrise und Pandemiebekämpfung bis Klimawandel zu bewältigen sind. Letzten Endes wird sehr viel nicht von uns abhängen. Das soll uns nicht veranlassen, wie die Vögel des Himmels sich um nichts zu scheren und Gott einen guten Mann sein zu lassen. Aber es kann uns etwas helfen, uns nicht wie Atlas zu fühlen, der die ganze Welt auf seinen Schultern zu tragen hat, sondern uns dem anzuvertrauen, der uns kennt:
„Ich bin der gute Hirt; ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne; und ich gebe mein Leben hin für die Schafe.“ (Joh 10,15)
Es ist dies merkwürdig vielschichtige Bild des Hl. Christophorus, der das kleine Kind auf seinen Schultern trägt, das, wenn es auch im Strom immer schwerer wird, als habe es das Gewicht der ganzen Welt, trotzdem sich tragen lässt, weil es uns zugleich selbst trägt. So wird der Sagenheld Atlas zum Hl. Christophorus und ein Archetyp der hellenischen Zeit zum Helden der christlichen Hagiographie. Vielleicht war es eine lebensnähere Zeit, als man diesen Heiligen überlebensgroß an den Kirchen abbildete, weil man an Tagen, an dem man ihn sah, keinen plötzlichen Tod zu fürchten hatte.
Allerdings sollte man es mit derlei Bildern nicht zu weit treiben: es gehört sicher zu den systemischen Ursachen des Machtmissbrauchs in unserer Kirche, dass sich die einen als Hirten fühlen, einige vielleicht noch als glaubenshütende Hirtenhunde, allen anderen aber die Rolle des dummen Schafs zuerkannt wird. Es könnte vielleicht nicht schaden, wenn wir uns bewusst machten, dass wir alle die Schafe sind und Christus der gute Hirt. Wer an seiner Hirtensorge teilhaben will, der sollte vielleicht besser damit anfangen, sein Leben für die Schafe hinzugeben und nicht denen Schamlosigkeit vorzuwerfen, die sich redlich bemühen, die Glaubenswahrheiten der Botschaft des Jesus von Nazareth den Mit-Schafen des 21. Jahrhunderts verständlich und glaubwürdig zu vermitteln.
Deswegen lesen wir in der Apostelgeschichte, was Lukas von der Liebe Gottes schreibt:
„Seht, welche Liebe uns der Vater geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes und wir sind es.“
Damit sind nicht die einen mehr als die anderen gemeint, sondern wir alle sind Kinder Gottes, da gibt es kluge und einfachere, schwarze und weiße, Männer und Frauen und alle möglichen Unterscheidungen noch und nöcher: aber für den Vater sollte sich keiner halten, schon gar nicht für einen Heiligen.
Katharina Nowak
Author: Katharina Nowak
Katharina Nowak ist Diplom Theologin. Sie studierte in Bonn und arbeitet seit 2009 als theologische Assistentin bei der Katholischen Citykirche Wuppertal.
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