Sophrosyne – so bezeichneten die alten Griechen jene Tugend der Besonnenheit und inneren Gelassenheit, die sich in gesundem Gebrauch des Verstandes und Mäßigung der Begierden ausdrückt. Es scheint allerdings, als seien diese Tugenden aus der Mode gekommen. In Zeiten, wo das einfache Tragen einer Maske zum Schutz anderer manchen schon als massive Einschränkung der Grundrechte erscheint und – Corona hin, Delta her – das Bedürfnis, alles endlich einmal hinter sich zu lassen und mal so richtig Urlaub zu machen, als Ausdruck der Höchstform der Sinnfindung erscheint, steht wohl eher die Pflege eigener Befindlichkeiten im Vordergrund als der Verzicht zum Gelingen des großen Ganzen. Auch wenn schon viele geimpft sind, fordert die Delta-Variante doch ihren Tribut. Und doch erscheint es manchen als unzumutbare Belastung, wenn man aus einem ausländischen Risikogebiet einreist, speziellen Nachweis- und Quarantänepflichten unterliegt. Was glauben Sie denn?
In Zeiten, in denen Emotionen vor Informationen gehen und subjektive Befindlichkeiten objektiven Befunden vorgezogen werden, haben Besonnenheit und Gelassenheit, hat Sophrosyne keine Konjunktur. Konjunktur hingegen ist heutzutage das Maß aller Dinge. Es kann kein Zweifel bestehen, dass eine gesunde Wirtschaft die Basis für Freiheit und Wohlstand sind. Allerdings ist die Frage, ob die Konjunktur grenzenlos sein kann. Die Unwetter der letzten Tage, die Überschwemmungen und Flutwellen, der Stromausfall, die Evakuierung von Alten- und Pflegeheimen, weil die Wasserfluten sich ihren Weg suchten – all das zeigt dem Menschen ebenso die Grenzen auf wie die Hitzesommer der vergangenen Jahre. Der Klimawandel ist längst Realität. Seiner technisch Herr werden zu wollen, wie es manche fordern, wird sicher möglich sein – schafft aber neue Probleme. Jetzt schon stellt der aktuelle Wirtschaftsminister Peter Altmaier fest, dass der Stromverbrauch bis 2035 um mindestens 15% steigen wird. Wenn gleichzeitig der Ausstieg aus einer carbonorientierten und auf Verbrennung basierenden Energiegewinnung bewältigt werden soll, heißt das aber auch, dass Wälder für mehr Windkraftanlage oder – sofern diese im Meer stehen – für Stromtrassen gerodet oder Flächen für Solaranlagen benötigt werden. Jetzt schon verschlingt die Gewinnung von Materialien, die moderne Technik benötigt werden, wie seltene Erden, Lithium und andere Metalle enorme Ressourcen und führt andernorts zu Umweltschäden – die uns, weil fern der Heimat, nur nicht so in den eigenen Befindlichkeiten stören wie eine Windkraftanlage nah beim Haus. Verzicht ist keine Tugend des modernen Menschen. Verzicht aber wäre vonnöten, um die Zukunft lebbar zu halten.
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Der Theologe kennt das – und die Theologin auch: Wenn die Herausforderungen des Lebens komplex werden, lautet die Frage entweder: Wie kann Gott das zulassen? – oder: Was würde Jesus dazu sagen? Sicher, beide Fragen zeugen eher von einer Haltung, die die Verantwortung für die unangenehmen Dinge gerne an den Allerhöchsten delegiert, dessen Existenz manch ein Fragesteller gleichzeitig aber ablehnt: Wenn es einen Gott gäbe, könne er doch so ein Ungemach unmöglich zulassen! Was glauben Sie denn?
Tatsächlich führt uns wohl auch die Corona-Pandemie vor diese Frage, wie Gott, so er denn ist, das überhaupt zulassen könne. Die Frage erscheint bei näherer Betrachtung einigermaßen naiv, fast kindlich. Das waren doch noch Zeiten, als die kleinen und großen Probleme von Eltern, Großeltern, Lehrerinnen und Erziehern gelöst wurden. Selbst im jugendlichen Alter, in dem man pubertätsstrotzend zu allem fähig, aber für nichts verantwortlich war, konnte man sich meist auf die helfenden Interventionen der Alten verlassen, die man ansonsten lieber außen vor ließ. Zu irgendetwas müssen diese Leute doch gut sein, wenn sie auch sonst nur stören … Man wäre dabei doch gerne selbst schon groß, ist aber dann doch mit den Herausforderungen des Lebens immer wieder überfordert. Man will leben und genießen, aber noch keine Verantwortung übernehmen. Der Preis dieser seligen Unmündigkeit ist freilich, dass man pünktlich zu Hause sein muss und immer wieder um Erlaubnis fragen muss – und das nervt! Aber Verantwortung? Ist auch anstrengend … Erwachsensein hingegen zeichnet sich gerade durch diese Verantwortung aus.
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