Es ist Sommer. Der Laurentiusplatz entfaltet sein mediterranes Flair. Die Basilika, die spielenden Kinder, die Straßencafés – die Sonne lockt das Leben auf den Platz. Warum sollte man in die Ferne schweifen, wenn das Gute so nah ist? Und das Gute ist doch seit der Einrichtung der Umwandlung der Friedrich-Ebert-Str. zwischen Laurentiusstr. und Auer Schulstr. in eine Fußgängerzone noch ein bisschen besser geworden. 85 Meter pures Wuppertaler Glücks- und Lebensgefühl. In diesen Tagen findet jedenfalls eine erneute Befragung statt, ob aus dem vorübergehenden Zustand ein dauerhafter werden soll. Wer jedenfalls jetzt, am Beginn des Sommers auf die entspannte Atmosphäre des Platzes schaut, kann kaum einen Zweifel haben, dass die Bürger es doch gut finden, ungestört von Autoposern und kopfsteinplasterrhythmisiertem Straßenlärm in der Wuppertaler Sonne entspannen zu können. Was glauben Sie denn?
Im Geklapper der Kaffeetassen, dem Läuten der Glocken und der chilligen Atmosphäre auf dem Platz fällt allerdings nicht auf, was – besser: wer fehlt! Man sieht kaum Menschen mit Behinderung. Rollstuhlfahrerinnen und Gehbehinderte sind nicht da – oder sie tauchen nur auf, wenn sie direkt am Platz wohnen. Für Leute jedenfalls, die nicht gut zu Fuß sind, sind die Wege zum vermeintlich schönsten aller Plätze weit geworden. Die Parkplatzsituation ist im Luisenviertel jedenfalls nicht besser geworden. Dabei befinden sich gerade hier viele Arztpraxen. Man mag sich das, wenn man nicht selbst betroffen ist, kaum vorstellen: Aber es gibt Menschen, die können keine weiten Wege gehen – und Wege können schon weit sein, wenn auch nur 50 Meter zu überwinden sind.
Während nun also alle über die Mobilitätswende reden und eine autofreie Innenstadt fordern, die natürlich eine höhere Lebensqualität mit sich bringt, werden die vergessen, die dadurch noch immobiler werden, als sie es ohnehin schon sind. Man mag es als Mensch, der gut zu Fuß unterwegs ist, kaum verstehen: Aber die Mobilitätswende baut für jene, die nicht einfach so in der Sonne sitzen können, weil die Plätze an der Sonne unerreichbar sind, neue Hürden auf. Lastenfahrräder mögen Parkplätze auf der Straße frei machen, schaffen aber oft genug im geparkten Zustand neue Hindernisse auf Gehwegen; E-Rollis mit zwei Rädern sehen hipp aus, bilden aber achtlos fallengelassen für Rollifahrer auf vier Rädern oder Rollatornutzerinnen schier unüberwindbare Hürden. Da bleibt man dann doch direkt zu Hause und sitzt bei schönstem Sonnenschein im Dunkeln. Die im Dunkeln aber sieht man nicht …
Für Menschen mit einer Gehbehinderung ist das Auto oft die einzige Mobilitätsmöglichkeit und Chance zur Teilhabe am Leben. Was aber ist, wenn Parkplatznot und weite Wege hier neue Hürden aufbauen. Ist es da nicht zynisch, wenn einige der Betroffenen sich von Vertretern der Stadt anhören müssen, dann sei eben wieder ein Auto weniger in der City?
Eine autofreie Stadt bietet Lebensqualität – aber sie ist nicht notwendigerweise inklusiv. Auch für Liebhaber autofreien Kopfsteinplasters gilt wohl eine Weisheit, die der Apostel Paulus der Nachwelt hinterlassen hat:
„Wir müssen als die Starken die Schwäche derer tragen, die schwach sind, und dürfen nicht für uns selbst leben.“ (Römer 15,1)
Wie auch immer der Laurentiusplatz in Zukunft aussehen wird: Vergesst die nicht, die im Dunkeln sind. Schließlich gibt es die Tugend der Epikie. Die besagt, dass eine eigentlich gute Regel im konkreten Einzelfall Ausnahmen zulassen muss, um nicht ungerecht zu werden. Liebe Stadtplanerinnen und -stadtplaner, denkt an die, die ohnehin schon nur mit Schwierigkeiten mobil sein können. Macht es ihnen nicht nur schwerer. Ebnet ihnen die Wege – auch zum Laurentiusplatz. Der ist doch einfach zu schön, um nicht hinkommen zu können …
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in der Westdeutschen Zeitung vom 18. Juni 2022.
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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