Dies Domini – Hochfest der Gottesmutter, Lesejahr A
Das romantischste aller christlichen Feste ist schon wieder vorbei. Zwar leisten jene, die sich für besonders glaubensfest halten, erbittert Widerstand und verweisen darauf, dass die Weihnachtszeit traditionell erst am 2. Februar, vierzig Tage nach dem Hochfest der Geburt des Herrn endet und erst dann Tannenbaum und Krippe weggeräumt werden. Die allermeisten Mitmenschen, die glaubend, zweifelnd, nichtglaubend trotzdem Weihnachten auf je eigene Weise feiern, folgen freilich allen besserwissenden Unkenrufen zum Trotz einer eigenen Dramaturgie. Der Advent ist in der säkularen Gesellschaft längst zur Vorweihnachtszeit geworden, die ihren Höhepunkt am Weihnachtsfest findet – und dort eben auch endet. Da kann man noch soviel theologisch argumentieren: die Volksfrömmigkeit war immer schon stärker und wird sich wahrscheinlich auch jetzt wieder mittelfristig durchsetzen.
Das mag man als glaubender Mensch bedauerlich finden. Tatsächlich aber ist gerade das Weihnachtsfest immer schon solchen volksfrommen Überformungen ausgesetzt gewesen. Das fängt schon beim Weihnachtsdatum an. Nirgendwo in der Bibel ist überliefert, dass es ein 25. Dezember war, als Gott die Welt durch die Augen des Jesuskindes erblickte. Es war vielmehr die Umdeutung eines ehemals heidnisch-römischen Festtages, dem Fest des unbesiegbaren Sonnengottes, das christlich neu interpretiert wurde. Auch fehlt in der Bibel jeglicher Hinweis auf Tiere oder Tannenbäume, die in Bethlehem bei der Geburt Jesu eine Rolle gespielt hätten. Weder Ochs noch Esel noch Schafe werden erwähnt. Trotzdem stehen sie alle an den Krippen auch jener, die sich für besonders glaubensstark handeln. Sollte man da nicht insgesamt toleranter mit der modernen Interpretation vieler sein, die Weihnachten auch als Skeptiker und Nichtglaubende feiern?
Auch der 1. Januar, der heute als Hochfest der Gottesmutter gefeiert wird, ist eigentlich eine recht moderne Entwicklung. Bis zur römisch-katholischen Liturgiereform im Jahr 1970 wurde der Oktavtag von Weihnachten noch als Fest der Beschneidung des Herrn gefeiert – und das aus gutem Grund, heißt es doch im Evangelium, das am 1. Januar verkündet wird:
Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für alles, was sie gehört und gesehen hatten, so wie es ihnen gesagt worden war. Als acht Tage vorüber waren und das Kind beschnitten werden sollte, gab man ihm den Namen Jesus, den der Engel genannt hatte, bevor das Kind im Mutterleib empfangen war. (Lukas 2,20f)
An Jesus wird als eine Mizwa, ein Gebot der Thora vollzogen, so wie es im Buch Genesis geschrieben steht. Dort nämlich ergeht die Weisung und das Bundesangebot an Abraham:
Und Gott sprach zu Abraham: Du aber sollst meinen Bund bewahren, du und deine Nachkommen nach dir, Generation um Generation. Dies ist mein Bund zwischen mir und euch und deinen Nachkommen nach dir, den ihr bewahren sollt: Alles, was männlich ist, muss bei euch beschnitten werden. Am Fleisch eurer Vorhaut müsst ihr euch beschneiden lassen. Das soll geschehen zum Zeichen des Bundes zwischen mir und euch. Alle männlichen Kinder bei euch müssen, sobald sie acht Tage alt sind, beschnitten werden in jeder eurer Generationen, seien sie im Haus geboren oder um Geld erworben von irgendeinem Fremden, der nicht von dir abstammt. Beschnitten werden muss der in deinem Haus Geborene und der um Geld Erworbene. So soll mein Bund, dessen Zeichen ihr an eurem Fleisch tragt, ein ewiger Bund sein. Ein Unbeschnittener, eine männliche Person, die am Fleisch ihrer Vorhaut nicht beschnitten ist, soll aus ihrem Stammesverband ausgemerzt werden. Er hat meinen Bund gebrochen. Genesis 17,9-14
Die Beschneidung ist gewissermaßen die menschliche Bestätigung des göttlichen Bundesangebotes. Das nämlich gilt nicht nur dem Volk Israel als Ganzem, sondern auch jedem Nachkommen Abrahams im Besonderen. Die Beschneidung ist so gesehen das menschliche Siegel unter dem Bundesangebot Gottes. Der Bund aber kommt einem Vertrag gleich, der unter Partnern geschlossen wird. Anders als im Islam, der eine solche Bundestheologie nicht kennt, spielt das im jüdischen und daran anschließend auch im christlichen Denken der Beziehung von Gott und Mensch eine wichtige Rolle: Der Mensch tritt als Partner und Stellvertreter Gottes auf. Er wird von Gott ermächtigt, an seiner Statt die Welt zu hegen und pflegen, ist ihm gegenüber aber auch rechenschaftspflichtig. Äußeres Merkmal für die Bestätigung des Bundes von menschlicher Seite aus ist eben die Beschneidung – ein Zeichen, das Christen nicht mehr pflegen. Warum?
In der frühesten Christenheit war die Frage der Beschneidung geradezu existentiell. Es gab auf der einen Seite jene, die die Beschneidung aller Getauften forderten. Auch Nichtjuden, eben Heiden, sollten sich beschneiden lassen – und sich damit auf die Einhaltung der 613 Mizwot, der Weisungen der Thora verpflichten. Diese Ansicht wurde vor allem von Vertretern der Jerusalemer Urgemeinde behauptet. Demgegenüber entstand in Antiochia aber eine von hellenistischen Judenchristen entwickelte Theologie, die eine beschneidungsfreie Taufe vorsah – und damit ein Heidenchristentum. Theologisch wurde das darin begründet, das Jesus nach der Thora (vgl. Dtn 21,23) am Kreuz als Gottverfluchter starb, dann aber in der Auferstehung von Gott gerettet wurde. Damit sei die Thora von Gott selbst als erfüllt und nicht mehr als alleinverbindlich anzusehen. Folglich könnten jetzt eben auch die nichtbeschnittenen Völker, die Heiden, zum einen Gott kommen. Das gilt bis heute: Die fleischliche Beschneidung spielt im Christentum aus diesem theologischen Grund keine Rolle mehr; gleichwohl ist die Idee der Beschneidung nicht aufgegeben worden. So konstatiert Paulus:
Jude ist nicht, wer es nach außen hin ist, und Beschneidung ist nicht, was sichtbar am Fleisch geschieht, sondern Jude ist, wer es im Verborgenen ist, und Beschneidung ist, was am Herzen durch den Geist, nicht durch den Buchstaben geschieht. Der Ruhm eines solchen Juden kommt nicht von Menschen, sondern von Gott. Röm 2,28f
Wenn nun aber Jesus der alten Mizwa der Thora am achten Tag beschnitten wird, dann wird damit zum einen betont, dass er ganz in der Tradition des Volkes Israel steht. Er ist Jude und lebt als Jude. Andererseits wird damit auch seine Menschlichkeit betont, denn die Beschneidung ist ein menschliches Zeichen der Bestätigung des Bundes mit Gott.
Man wird sich zu Lebzeiten viel über diesen Menschen aus Nazareth wundern. Dass in ihm Gott wirksam ist, ja dass er selbst göttlich ist, wird man erst nach seiner Auferstehung erkennen – nein: diese Erkenntnis mühsam erringen müssen. Tatsächlich war es Heiden, die als erste nach dem Kreuzestod Jesu bekennen:
Als der Hauptmann und die Männer, die mit ihm zusammen Jesus bewachten, das Erdbeben bemerkten und sahen, was geschah, erschraken sie sehr und sagten: Wahrhaftig, Gottes Sohn war dieser! Mt 27,54
Am achten Tag wurde Jesus beschnitten. Das ist am Oktavtag nach Weihnachten. Es ist fast schade, dass dieser wichtige Aspekt der Menschwerdung Jesu hinter dem Hochfest der Gottesmutter zu verschwinden droht. Wenn das Wort Fleisch wird, muss es die fleischliche Wirklichkeit menschlicher Existenz ganz auskosten. Ob die, die sich für besonders glaubensstark oder christusähnlich halten, ahnen, was das in letzter Konsequenz bedeutet? Jesus Christus, das Licht der Welt, formuliert es in der Weise einer christlichen Mizwa:
Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben. (…) Ihr urteilt, wie Menschen urteilen, ich urteile über niemanden. Joh 8,12.15
Machen wir es also wie Jesus und üben Toleranz und Respekt auch jenen gegenüber, deren Gebräuche uns fremd werden … man weiß eben nie, wohin die unerforschlichen Wege des Herrn führen …
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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