Viele Worte bringen noch keine Taten hervor. Die Nordbahntrasse etwa wäre ohne die Macher immer noch eine stillgelegte Bahnstrecke, die hinter wuchernden Dornenhecken ihren Dornröschenschlaf schlummern würde. Für viele ist mit ihr der Name des Machers Dr. Carsten Gerhardt verbunden. Allerdings hätte er das Trassenprojekt nicht ohne die machtvolle Unterstützung der vielen durchführen können, deren Namen nicht bekannt sind – und das sind neben den vielen Ehrenamtlichen vor allem auch die Leute vom „Qualifizierungs- und Beschäftigungsprojekt Nordbahntrasse / Rheinische Strecke“ des Wichernhauses. Was glauben Sie denn?
Für römische Katholiken wurde die Machtfrage jetzt wieder auf dem sogenannten „synodalen Weg“ diskutiert. Macht – so scheint es – kulminiert in der römisch-katholischen Kirche vor allem bei den Klerikern. Tatsächlich repräsentiert vor allem das Kollegium der Bischöfe nach römisch-katholischer Auffassung die Gemeinschaft der zwölf Apostel. Sie stehen durch die Bischofsweihe in der „apostolischen Sukzession“: Durch Handauflegung und Gebet empfangen sie die apostolische Vollmacht, das Evangelium in Wort und Tat zu verkünden. Bereits im Neuen Testament heißt es:
„Darum rufe ich dir ins Gedächtnis: Entfache die Gnade Gottes wieder, die dir durch die Auflegung meiner Hände zuteilgeworden ist!“ (2 Tim 1,6)
Dem modernen Menschen ist das nicht unbekannt: Ärztinnen bedürfen einer Approbation, Richter der Befähigung zum Richteramt, Lehrer benötigen eine staatliche Beauftragung und Rechtsanwältinnen einer entsprechenden Zulassung der Anwaltskammer. Außergewöhnlich allerdings ist die römisch-katholische Auffassung, dass die Weihe die Geweihten ontologisch, also seinsmäßig verändert. Die zahlreichen Berichte derer, die von klerikalem Missbrauch betroffen sind, zeigen: wer sich auf diese Weise über die normal Sterblichen erhöht versteht, ist für Kritik oft nicht mehr zugänglich. Dabei sollte jedem, dem Macht gegeben wurde, der Einwand Jesu vor Augen stehen, der dem Pilatus im Angesicht der drohenden Kreuzigung entgegenhält:
„Du hättest keine Macht über mich, wenn es dir nicht von oben gegeben wäre.“ (Joh 19,11)
Damit liegt die Machtfrage auf dem Tisch. Im Falle des Pilatus ist die Antwort fast banal: er hat sie vom römischen Kaiser erhalten. Deshalb können die Ankläger Jesu dem zaudernden Pilatus auch drohen:
„Wenn du diesen freilässt, bist du kein Freund des Kaisers; jeder, der sich zum König macht, lehnt sich gegen den Kaiser auf.“ (Joh 19,12)
Machtfragen sind immer Beziehungsfragen.
Das gilt prinzipiell auch für die römisch-katholischen Kleriker, insbesondere die Bischöfe. Sie definieren aus ihrer Sicht ein komplementäres Beziehungsgefüge: sie führen als Hirten die Herde der vielen. Ihre Entscheidungen fordern Gehorsam. Dieses toxische Beziehungsgefüge wird gerade nicht aufgebrochen, wenn – wie der synodale Weg den Vatikan bittet, vorsichtig zu prüfen – auch Frauen (zu Diakoninnen) geweiht würden. Dann gäbe es neben ontologisch erhöhten Männern auch ontologisch erhöhte Frauen – und die Machtfrage wäre weiter ungelöst.
Das Machtgefüge wird sich erst ändern, wenn die Schafe aufhören, sich wie Schafe zu benehmen und der Pastor nicht einfach als Hirte (eben als „Pastor“) angeredet wird, weil er das so will. Erst, wenn aus gehorsamen Kindern mündige Erwachsene werden, wird sich die Machtfrage ändern. Auch das weiß schon das Neue Testament:
„Jeder, der noch mit Milch genährt wird, ist unerfahren im richtigen Reden; er ist ja ein unmündiges Kind; feste Speise aber ist für Erwachsene, deren Sinne durch Gebrauch geübt sind, Gut und Böse zu unterscheiden.“ (Hebr 5,13f)
Wem es als Erwachsenem ein Bedürfnis ist, einen anderen Menschen als „Pastor“ oder „Hirtin“ zu bezeichnen, soll das tun. Das aber ist eine Machtverleihung von untern – und nicht eine Machterteilung von oben.
Hört also auf, euch wie gehorsame Schafe zu benehmen. Es sind Leute wie die vom Wichernhaus, ohne die es nicht geht. Wer macht, muss auch die Macht haben – in der Gesellschaft und in der Kirche!
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in einer gekürzten Version der Westdeutschen Zeitung vom 17. März 2023.
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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