Der Eismann meines Vertrauens ist ein standhafter Katholik. Angesichts der immens hohen Austrittszahlen, die am 28. Juni 2023 veröffentlicht wurden, stellt er lapidar fest, dass er bleiben werde. Damit gehört er zu einer Mehrheit der Katholiken – noch, denn die Austrittszahlen entwickeln sich seit einigen Jahren inflationär. Im Jahr 2022 traten deutschlandweit über 520.000 Katholiken aus der Kirche aus, über 380.000 verließen die evangelische Kirche. Die Verantwortlichen sind routiniert betroffen – und machen weiter wie bisher. Synodale Wege laufen ins Nichts, Strategiekongresse entwickeln utopische Visionen – so oder so: der ewige Stuhlkreis dreht sich nur eine Runde weiter, ohne dass sich etwas ändern würde. Die Selbstverständlichkeit in einer christentümlichen Gesellschaft zu leben, ist hingegen längst verschwunden. Was Statistiker erst für das Jahr 2060 prognostiziert hatten, nämlich die Halbierung der Zahlen der Kirchenmitglieder, wird viel früher eintreten. Dafür sind die Kirchen zu einem großen Teil selbst verantwortlich. Was glauben Sie denn?
Bei der Erklärung des Kirchenaustritts müssen keine Gründe angeben werden. Untersuchungen zeigen, dass vor allem Menschen in der Alterskohorte der 25-35-jährigen aus der Kirche austreten. Nach der Ausbildungszeit gründet meine eine eigene Existenz, vielleicht sogar eine Familie. Da zählt jeder Cent. Ein Blick auf den Gehaltszettel zeigt deutliche Einsparmöglichkeiten, die um so schwerer wiegen, wenn die Bindungen zu Kirche nicht oder nicht mehr da sind.
Ein zweiter Spitzenwert bei den Austritten ist bei Menschen mittleren Alters zu verzeichnen – jener Phase, in der die Kinder beginnen, eigene Wege zu gehen und auch manche Partnerschaft sich neu sortiert.
Auch die Corona-Pandemie wirkt wohl als Brandbeschleuniger. Ostern, das wichtigste Fest der Christenheit, fiel im Jahr 2020 pandemiebedingt einfach aus. Die Vergegenwärtigung der Auferstehung des Gekreuzigten fand nicht statt, kein Protest hochrangiger Kirchenvertreter war zu vernehmen. Danach begann man zwar, Gottesdienste aus leeren Kirchen zu streamen. Priester zelebrierten wie immer – vor leeren Bänken, ohne die sonst viel beschworene Gemeinschaft … Es ist kann kaum zu unterschätzen: Kann man erwarten, ernst genommen zu werden, wenn man sich selbst offenkundig nicht mehr ernst nimmt?
Das setzt sich in vielen großen und kleinen Facetten fort. Während die Bibel davon spricht, dass Jesus die Kinder zu sich ruft, um sie zu segnen, haben allzu viele Kleriker die Hand an Kinder gelegt. Während Jesus selbst mahnt:
„Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst keinen Meineid schwören, und: Du sollst halten, was du dem Herrn geschworen hast. Ich aber sage euch: Schwört überhaupt nicht.“ (Mt 5,33.34a),
werden Rechtsstreitigkeiten mit eidesstattlichen Versicherungen angestrengt – und das, obwohl die Bibel vor Rechtshändeln – zumal jenen unter Christen – warnt (vgl. 1 Kor 6,1). Stattdessen streitet man sich nach Art von Kesselflickern in der Öffentlichkeit und wartet auf jeden noch so kleinen Fehler der jeweils anderen, die nicht mehr Gegner, sondern Feinde zu sein scheinen. Kann man so wirklich eine Leuchte für eine Welt sein, die selbst zerstritten ist und nach Orientierung sucht? Nicht der Streit ist das Problem, sondern die gegenseitige Respektlosigkeit. Wahrlich: eine solche Kirche braucht die Welt nicht …
Ich kenne die Gründe im Einzelnen nicht, warum vielleicht auch Sie, liebe Leserin und lieber Leser, aus der Kirche ausgetreten sind – oder in der Kirche bleiben. Aber sie interessieren mich. Was muss die Kirche anders machen? Was hat Ihnen gefehlt? Warum bleiben Sie – trotz allem? Ich würde mich freuen, wenn Sie mir eine Mail schreiben (ausgruenden@katholische-citykirche-wuppertal.de). Ich verspreche, Ihre Mails vertraulich zu behandeln. Mein Ja ist ein Ja! Nur wenn Sie es wünschen, werde ich mich bei Ihnen melden – und vielleicht treffen wir uns dann auf einen Espresso im Eiscafé meines Vertrauens …
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in der Westdeutschen Zeitung vom 30. Juni 2023.
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
Du kannst einen Kommentar schreiben.