Die Stadt scheint sich selbst zu suchen. Die Pläne waren groß, das Ergebnis ist grau, bleiern fast. Der goldene Schimmer verleiht ihr in der Hitze des Sommers nur wenig Glanz. Immer weniger kann man finden, was man braucht, dafür immer mehr vom Immergleichen verdauen. Die Innenstädte gleichen sich an. Es ist gleichgültig, in welcher Stadt man ist und isst. Systematisierte Gastronomie bewirkt, dass man sich überall gleich zu Hause fühlt. Jede Stadt schmeckt mittlerweile gleich. Welche Heimat bieten Städte, deren Profil graugleich geworden ist? Was glauben Sie denn?
Das Grauen hat auch Wuppertal erfasst. Nicht, dass Städte sich im Laufe der Zeit verändern. Nur wäre es gut, wenn der Wille zur Entwicklung zu erkennen wäre. Mancherorts, wie auf dem Platz am Kolk, scheint vorübergehend etwas Leben zu blühen. Die Frage ist nur, wie lange es wachsen darf, wird der Platz doch mittlerweile offen als Exil für die Marktstände vom Neumarkt gehandelt, die dort einem Weihnachtsmarkt weichen sollen, weil der keinen Platz mehr in der angestammten Herberge findet, stehen doch güldene Bänke auf dem Von-der-Heydt-Platz und tiefdunkelgrau geschürfte Wunden für Fernwärmeleitungen auf der Poststraße adventlicher Erwartung einer freudig Ankunft vorweihnachtlichen Lichterglanzes im Herzen der Stadt entgegen. Ob der Neumarkt wenigstens dann nicht aussieht wie die Rumpelkammer der Stadt, bleibt abzuwarten. Die offenkundig erkaltete Liebe zur Stadt, die die Verantwortlichen in Rat und Verwaltung zu Markte tragen, lässt wenig Hoffnung aufkeimen.
Schon macht in Leitartikeln und Kolumnen – in einer ehemals christlich geprägten Stadt wenig verwunderlich – das alte Prophetenwort die Runde:
„Suchet der Stadt Bestes!“ (Jer 29,7a)
Vollständig lautet es:
„Suchet das Wohl der Stadt, in die ich euch weggeführt habe, und betet für sie zum HERRN; denn in ihrem Wohl liegt euer Wohl!“ (Jer 29,7)
Die Stadt, deren Bestes gesucht werden soll, ist eine Stadt der Verbannung. Hierhin wurde die Ältesten, die Priester, die Propheten und das ganze Volk von Jerusalem verschleppt. Es ist Babylon, das Exil, die Nichtheimat! Hier sollen alle (!) Verbannten wirken:
„Baut Häuser und wohnt darin, pflanzt Gärten und esst ihre Früchte!“ (Jer 29,5)
Der Auftrag ist weder an eine Elite delegiert noch an eine Clique aus Verwaltung und Politik, von der man sich distanzieren könnte. Der Auftrag ergeht an alle! Die fremde Stadt wird keine Heimat werden, aber ein Zuhause sein, in dem man eine Perspektive hat. Deshalb fordert der Prophet im Namen des Herrn die Exilanten auf, Familien zu gründen:
„Ihr sollt euch dort vermehren und nicht vermindern.“ (Jer 29,6c)
Selbst im Verlust der eigenen Heimat, selbst im Exil, selbst in der Verbannung bleibt die Zukunft ein Hoffnungsort, den es zu gestalten gibt. Die Juden haben dafür einen Begriff „Tikkun Olam“. Übersetzt bedeutet er: Verbessere die Welt, repariere sie. Es ist ein Auftrag, der an jede Bürgerin und jeden Bürger geht: Verbessere die Welt da und in dem Maß, wie es Dir möglich ist – hier und jetzt! Das gilt auch für die Leute aus Verwaltung und Politik: Schafft eine Stadt zum Leben. Macht das Grau bunt. Pflastert nicht, pflanzt! Schließlich zeigt die große Paradiesvision am Schluss der Bibel eine Stadt als Ziel aller Hoffnungen, eine Stadt, von der es heißt:
„Zwischen der Straße der Stadt und dem Strom, hüben und drüben, steht ein Baum des Lebens. Zwölfmal trägt er Früchte, jeden Monat gibt er seine Frucht; und die Blätter des Baumes dienen zur Heilung der Völker.“ (Offb 22,2)
Wie schön wäre es, Wuppertal würde zum Paradies. Tikkun Olam – wir sollten die Stadt nicht denen überlassen, die keine Visionen mehr haben.
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in der Westdeutschen Zeitung vom 21. Juli 2023.
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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