Dies Domini – Zweiter Fastensonntag, Lesejahr B
Die Gegenwart zeigt auf vielen Ebenen, dass sie eine Zeit der Bewährung ist. Die gewohnte Ordnung in der Welt, aber auch in der Kirche ist in Bewegung geraten. Einiges wird verrückt, manche werden daran verrückt. Solche Zeiten der Bewährung sind nicht neu. Es hat sie zu allen Zeiten gegeben. Und zu allen Zeiten gibt es jene, die das Gewohnte um jeden Preis behalten wollen und deshalb gewöhnlich werden – sei es, dass sie die Herausforderungen der Zeit und die Zumutungen der Bewährung als solches gar nicht wahrnehmen wollen und sie ignorieren, sei es, dass mit brachial-beharrlicher Bunkermentalität jede Veränderung abgewiegelt wird. Konservativ nennen sich manche dieser Betonmischer, die der Tradition ein paar Schuhe aus Zement verpassen möchten, damit sie nicht fortlaufen und bewahrt werden kann. Dabei gehen manche Werte verloren, die es eigentlich wert sind, bewahrt zu werden. Was konservativ ist – die Bewahrung von Werten wie Nächstenliebe oder die Bewahrung der kurzen Rasenlänge und der Gartenzwerge im eigenen geistigen Vorgarten – ist schon lange nicht mehr klar …
Auf der anderen Seite gibt es jene, die die Unausweichlichkeit der Veränderung durchaus wahrnehmen, auf ihre eigene Weise aber das Bewährte irgendwie retten wollen. Solche Zeitgenossinnen und Zeitgenossen sprechen dann gerne von „Reform“. Sie hoffen darauf, dass ein wenig Kosmetik der äußeren Gestalt reichen würde um die Bewährung zu überstehen. Sich selbst aber wollen auch sie oft nicht in Frage stellen. Lieber rennt man immer wieder mit dem Kopf gegen die gleiche Stelle jener Mauer, die die brachialen Betonmischer mittlerweile um den geistigen Vorgarten gezogen haben. Das zeigt durchaus Wirkung – weniger für die Mauer, eher für den eigenen Kopf.
Die Erprobung wird so zur Versuchung für viele: man spürt die Herausforderung, die durch die Veränderung der Zustände in der Gegenwart entsteht, möchte sich selbst aber so wenig wie möglich verändern. Ist es ein Wunder, dass das griechische Wort πειρασμός (gesprochen: peirasmós) sowohl Erprobung als auch Versuchung bedeuten kann. Es ist jenes Wort, das in der sechsten Bitte des Vaterunser so umstritten ist, wenn Jesus beten lehrt:
„Und führe uns nicht in Versuchung“ (Mt 6,13/Lk 11,4)
Der Papst hingegen möchte sich dieser Herausforderung wie viele andere nicht stellen und lieber beten: „Und führte uns durch die Versuchen“ … kann man machen, ist aber eben das Gebet des Papstes und nicht das, das Jesus uns zu beten lehrt.
Im Zentrum der päpstlichen Abweichung von der jesuanischen Lehre steht der Zweifel, ob Gott überhaupt in Versuchung führen könne. Um es kurz zu machen: Er kann! Nicht nur, dass Paulus um die Möglichkeit einer göttlichen Erprobung (vulgo: Versuchung) weiß, wenn er ausführt:
„Noch ist keine Versuchung über euch gekommen, die den Menschen überfordert. Gott ist treu; er wird nicht zulassen, dass ihr über eure Kraft hinaus versucht werdet. Er wird euch mit der Versuchung auch einen Ausweg schaffen, sodass ihr sie bestehen könnt.“ (1 Kor 10,13)
Auch in der ersten Lesung vom 2. Sonntag der vierzig Tage vor Ostern, der im deutschsprachigen Bereich auch als 2. Fastensonntag bekannt ist, ist von einer solch göttlichen Erprobung die Rede:
„In jenen Tagen stellte Gott Abraham auf die Probe. Er sprach zu ihm: Abraham! Er sagte: Hier bin ich. Er sprach: Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, Ísaak, geh in das Land Moríja und bring ihn dort auf einem der Berge, den ich dir nenne, als Brandopfer dar!“ (Gen 22,1f)
Die Erzählung wird heute oft als „Erprobung Abrahams“ bezeichnet. Juden kennen sie als „Bindung Isaaks“. Früher sprach man auch vom „Opferung Isaaks“. Die unterschiedlichen Bezeichnungen deuten allein schon darauf hin, dass es keine einfache Erzählung ist, die in der ersten Lesung verkündet wird. Sie ist in der Tat verstörend: Kann Gott ein Menschenopfer fordern?
Die Erzählung ist in der Tat rätselhaft. So fällt alleine auf den ersten Blick schon auf, dass die Gottesanrede im Text wechselt. Ist in der ersten Hälft von „Gott“ (hebräisch: אֱלֹהִים – gesprochen: elohim) die Rede, wird Gott in der zweiten Hälfte als יהוה (JHWH/Jahwe – Juden sprechen hier häufig: Adonai/Herr) bezeichnet. Die unterschiedlichen Gottesanreden deuten auf zwei unterschiedliche Traditionsstränge hin. Offenkundig wurde die Erzählung von der Bewährung Abrahams in verschiedenen Traditionen überliefert, die in der heutigen Fassung zusammengeführt werden. Das würde erklären, warum in der ersten Hälfte Gott als אֱלֹהִים (elohim) unmittelbar zu Abraham spricht, während es in der zweiten Hälfte ein Engel des HERRN (also JHWHs) ist, der Abraham anweist, von seinem Sohn abzulassen und stattdessen ein Tieropfer dazubringen:
„Da rief ihm der Engel des HERRN vom Himmel her zu und sagte: Abraham, Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Streck deine Hand nicht gegen den Knaben aus und tu ihm nichts zuleide! Denn jetzt weiß ich, dass du Gott fürchtest; du hast mir deinen Sohn, deinen einzigen, nicht vorenthalten.“ (Gen 22,11f)
Das erweckt den Eindruck, als habe der Engel JHWHs Abraham auf die Probe gestellt und sei nun gewiss, dass er Gott fürchtet. Am Beginn hörte sich das noch anders an – da war es Gott selbst, der die Erprobung veranlasst.
Aber nicht nur das ist rätselhaft. Wo die Einheitsübersetzung von 2016 von einem „Knaben“ spricht, weist der hebräische Urtext den Begriff נצר (gesprochen: nazar) auf, das eher „Nachkomme“ bedeutet und im Unterschied zu „Knabe“ keine Altersspezifikation aufweist. In der Tat wird im jüdischen Talmud vermutet, dass Isaak in dieser Erzählung ein Alter von ungefähr 37 Jahren hatte (dies wird daraus gefolgert, dass Sara nach Gen 17,17 bei der Verheißung von Isaaks Geburt 90 Jahre alt war und nach Gen 23,1 kurz nach der Erzählung von Abrahams Erprobung im Alter von 127 Jahren stirbt). Hier wird also kein unschuldiges Kind auf den Berg Morija geführt, sondern ein erwachsener Mann in den besten Jahren. Wie ein alter Mann wir Abraham einen jungen Mann einfach fesseln konnte, bleibt fraglich.
Allein diese Beobachtungen zeigen, dass der Text bei näherer Betrachtung eine Reihe von Fragen aufwirft. Und die werden nicht kleiner, wenn man bedenkt, dass Abraham in seiner bisherigen Geschichte mit Gott eher ein Trickser war, der Gott auf die Sprünge helfen wollte. So zieht er nicht in das verheißene Land ein, sondern durch das verheißene Land hindurch nach Ägypten. Mehrfach gibt er, den eigenen Vorteil suchend, seine Frau Sara als Schwester aus, die er so nicht nur dem Pharao, sondern auch dem Abimelech, dem König von Gerar. Als sich der von Gott verheißene Nachkomme nicht einstellt, hilft Abraham mit seiner Frau Sara dem Schicksal auf die Sprünge und zeugt mit der Sklavin Hagar einen Sohn. Beide werde nach der Geburt des ersehnten Isaak in die Wüste vertreiben … die Skalvin hat ihre Schuldigkeit getan, die Sklavin kann gehen.
Abraham ist ein Trickster, der sogar mit Gott handelt, als es um das Schicksal der Städte Sodom und Gmorrha geht, in denen immerhin Verwandtschaft Abrahams lebt. Dieser Abraham macht sein Ding – und scheint nun eine Grenze gekommen zu sein. War das bisherige Leben Abrahams wirklich eine Erfüllung des Bundes mit Gott? Oder hat er dem Schicksal nicht aus eigenem Antrieb – eben motu proprio – auf die Sprünge geholfen? Glaubt er nun vorbehaltlos oder geht er auf Nummer sicher?
Der Beginn der Erzählung scheint zu insinuieren, dass Gott selbst den Glauben Abrahams auf die Probe stellt. Völlig untypisch für seinen bisherigen Glaubenswandel scheint Abraham sich diesmal auf den Anruf Gottes einzulassen. Ausgerechnet was seinen ersehnten Nachkommen angeht, will er bis zum Äußersten gehen – bis ein Engel JHWHs ihm im wahrsten Sinn des Wortes in den Arm fällt. Jetzt erst wird dem Abraham zuteil, was verheißen wurde:
„Ich habe bei mir geschworen – Spruch des Herrn: Weil du das getan hast und deinen Sohn, deinen einzigen, mir nicht vorenthalten hast, will ich dir Segen schenken in Fülle und deine Nachkommen überaus zahlreich machen wie die Sterne am Himmel und den Sand am Meeresstrand.“ (Gen 22,16f)
Das ist doch genau die Verheißung, um die es immer ging. Das ist der göttliche Anteil an jenem Bund, den Abraham bisher immer trickreich unterlaufen hatte. Erst jetzt in dieser im wahrsten Sinn des Wortes „verrückten“ Situation, lässt sich Abraham auf Gott ein – oder ist auch das wieder nur ein „Trick“? Stellt er nun Gott auf die Probe, dessen Engel ihm rettend in den Arm fällt, oder erprobt Gott hier Abraham?
Zweifelsohne – die letzten Fragen sind provokant! Aber das würde in jenes Bild Abrahams passen, das im Buch Genesis gezeichnet wird. Nicht zuletzt wegen der Erzählung von den Ereignissen auf dem Berg Morija aber wird Abrahams Glauben zum Vorbild. Glaube heißt nämlich nicht nur gehorsam zu warten. Glaube heißt handeln, mit Gott ringen, mit ihm verhandeln, das Schicksal in die eigene Hand nehmen und die Bewährungen der Zeit zu verstehen. Wenn es aufs Ganze geht, ist Gott zu Stelle. Bis dahin aber muss man das Schicksal wohl in die eigene Hand nehmen – und bisweilen das völlig Neue gestalten. Es sind wirklich verrückte Zeiten, in denen wir leben …
Ihr Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
Ich habe neulich ein Buch von Thomas Frings uns Sr. Emmauela Kohlhaas gelesen, das sich mit diesen Thema auseinandersetzt und eine andere Perspektive einnimmt. Es zeigt nicht nur Abraham sondern auch bezieht Isaak und Sara ein. Es betrachtet die Erzahlung als ein Reifeprozess. Dadurch gewinnt die Erzahlung eine Aktualität.
Erprobung, Versuchung, Herausforderung sind gewiss Begriffe die zum Reifungsprozess gehören.
Genau das, was wir Glaubigen sollen!!
Ihre Auslegung schenkt wie sooft, wichtige Impulse um diesen Prozess zu fördern und nicht im „Beton“ stecken zu bleiben!