Die Bewegung ist gescheitert. Was so hoffnungsvoll ein gutes Jahr zuvor in Galiläa im Frühling begann, findet sein brutales Ende. Noch einen Abend zuvor hoffte man, das angekündigte Reich Gottes würde nun endlich anbrechen. Man war vorbereitet. Einige waren sogar bereit, mit Waffengewalt für das Reich Gottes zu streiten. Der aber, auf den sie all ihre Hoffnung gesetzt hatten, lies sich widerstandlos festnehmen und kreuzigen, als hätte man ein Opferlamm zur Schlachtbank beführt. Man macht sich heute keinen Begriff davon, wie brutal der Tod am Kreuz war. Geißelung, auch sexuelle Demütigung gehörten zum sadistischen Vorspiel, das manche Delinquenten schon nicht überlebten. Ans Kreuz genagelt konnte sich der Tod über Tage hinziehen, bis sein Eintreten Erlösung bedeutete. Kein Römer durfte am Kreuz sterben; diese entwürdigende Tötungsart war Sklaven und Provinzialen vorbehalten. Die Brutalität, die den Menschen damals vor Augen stand, konnte nur bedeuten, dass die, die so starben, unabhängig von Schuld oder Unschuld, von Gott verlassen, ja verflucht sein mussten. Und so heißt es folgerichtig in der Thora:
„Ein (am Pfahl) Gehenkter ist ein von Gott Verfluchter.“ (Dtn 21,23)
Die Jünger Jesu erlebten den Kreuzestod Jesu als totales Scheitern. Mit seinem Tod war auch ihre Bewegung gescheitert. Da half eben nur rennen, retten, flüchten. Alles war aus. Alles ist aus. Was glauben Sie denn?
Im Moment des Scheiterns liegt keine Hoffnung. In der sadistischen Demütigung ist kein Trost zu finden. Die Toten und Vergewaltigten von Butscha in der Ukraine und den Kibbuzim im Süden Israels werden in dieser Welt keine Gerechtigkeit mehr erfahren. Die brutale und sinnlose Realität des Kreuzes ist auch heute noch aktuell. Kein Wunder, dass auch heute noch viele vor dem Grauen die Augen verschließen und mit bisweilen absurden Begründungen versuchen, sinnloser Gewalt doch noch irgendeinen Sinn zu geben. Dabei ist damals wie heute da nur noch ein Abgrund – ein Abgrund, den Menschen zu verantworten haben.
Die Abgründigkeit des Scheiterns war es auch, dass die Auffindung des leeren Grabes am dritten Tag nach dem Kreuzestod Jesu auch keinen Glauben, sondern Erschrecken auslöste. Leere Gräber können viele Gründe haben. Der Leichnam könnte einfach entfernt worden sein. Der Glaube findet seinen Grund deshalb nicht in der Abgründigkeit leerer Grabhöhlen, sondern in der Begegnung mit dem Auferstandenen. Was auch immer die, die diese Erfahrung gemacht haben, gesehen, gehört oder gefühlt haben – es muss für sie von einer solchen zweifellosen Realität gewesen sein, dass sie bereit waren, alles zu ändern. Die, die eben noch im Anblick des Scheiterns sich selbst rettend geflüchtet waren, setzen nun mitunter ihr eigenes Leben aufs Spiel – für die Verkündigung der Auferstehung des Gekreuzigten. Und die birgt Probleme!
Problem 1: Wie berichtet man glaubwürdig über ein Ereignis, dass sich menschlicher Vernunft zu entziehen scheint? Das hat unter anderem Paulus umgetrieben. Die einzige Möglichkeit, die er sah, glaubwürdige Zeugen zu benennen, die von den Zweiflern selbst befragt werden konnten. Im 1. Korintherbrief verweist er auf über 513 solcher Zeugen. Die sind für uns heute nicht mehr greifbar. Weil aber die Korinther selbst eine skeptische Gemeinde waren, die nichts einfach für bare Münze gaben, im 2. Korintherbrief dieses Konfliktfeld bereinigt erscheint, scheinen sie überzeugt worden zu sein. (Nicht nur) dieses Echo halt durch die Jahrhunderte auch in unsere Gegenwart. Dann aber taucht Problem 2 auf: Wenn es eine Auferstehung der Toten gibt, dann kann die nur Gott gewirkt sein. Jesus starb am Kreuz aber als verflucht Gottverlassener. Und so entsteht jenes Paradox, auf dem der christliche Glaube aufbaut: Der Gottverlassene wird von Gott gerettet!
Die rationale Bewältigung dieses Paradoxons prägt weite Teile des Neuen Testamentes. Und so gibt es viele Deutemöglichkeiten. Eine ist die des Opfers. Hier muss man vorsichtig sein, denn Opfer ist eben nicht gleich Opfer. Es gibt die Opfer, denen genommen wurde, was sie nicht freiwillig gegeben hätten. Deshalb sprechen wir von Raub-, Verkehrs- oder Kriegsopfern. Im Lateinischen werden sie als „victima“ bezeichnet. Davon zu unterscheiden ist das Opfer als „sacrificium“. Ein solches Opfer wird in der Bibel erstmalig in der Erzählung von Kain und Abel erwähnt, die Gott seinen Anteil an ihrem Erfolg geben wollen und – wahrscheinlich durch ein Brandopfer – eine Verbindung zwischen Erde und Himmel, Mensch und Gott herstellen wollen. Das Opfer (sacrificium) ist diese Verbindung zwischen Gott und Mensch. Und genau diese Deutung aktiviert Paulus, wenn er schreibt:
„Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden.“ (2 Kor 5,21)
Übersetzt sagt Paulus hier: In Jesus hat sich Gott total mit dem menschlichen Schicksal bis in das tiefste Scheitern identifiziert; so gilt umgekehrt für die Menschen die Hoffnung, wie Jesus durch die Auferstehung zu Gott zu kommen. Die Auferstehung des Gekreuzigten zeigt, dass die Tür zu Gott auch für die Gescheiterten offensteht. Gott wird die letzte Gerechtigkeit aufrichten.
Dies Hoffnung bleibt wider alle Hoffnung bestehen. Die vielen Toten, Vergewaltigten, Gedemütigten werden von Gott gerechtfertigt werden. Ist das ein billiger Trost, ein Opium, um die Sinnlosigkeit der Gewalt ertragen zu können? Wohl kaum! Zum einen ist die Aussicht eines Gerichtes der Gerechtigkeit ein Ansporn, sich nie auf die Seite derer zu begeben, die sinnlos Gewalt anwenden; zum anderen muss man sich fragen: Was bleibt, wenn es selbst diese Hoffnung nicht mehr gibt? Wäre das nicht noch viel unerträglich sinnloser? Wer den christlichen Glauben an den Kar- und Ostertagen feiert, weiß, dass die Hoffnung nicht nur nicht zuletzt stirbt. Sie stirbt gar nicht!
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in einer gekürzten Version in der Westdeutschen Zeitung vom 28. März 2024.
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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