Die moderne Naturwissenschaft entwickelt sich rasant. Mit immer verfeinerteren Methoden erforscht sie Bereiche, von denen man vor wenigen Jahren noch gar nicht ahnte, dass sie existieren. Die neuen Erkenntnisse stellen immer schneller auch die vermeintlich festgegründeten Bilder von Mensch und Welt in Frage. Die kopernikanische Wende ist zum Alltag geworden.
Die Naturwissenschaften fordern damit Philosophie und Theologie heraus, deren Beitrag für das Gelingen des menschlichen Lebens unerlässlich ist. Denn die naturwissenschaftliche Methode ist darauf angelegt, zu analysieren und den kleinsten Dingen auf den Grund zu gehen. Sie impliziert in der Regel nicht die Einordnung in ein großes Ganzes. Zu verstehen, wie der menschliche Körper funktioniert, und zu wissen, aus wievielen Zellen er besteht und wie diese Zellen entstehen, heißt noch lange nicht, zu wissen, warum ein solches Gebilde lebt, denkt und fühlt.
In den letzten Jahren sind in der Erforschung der Fragen, was denn der Mensch sei, insbesondere auch die neurobiologischen Verfahren bedeutsam geworden. Vor allem deren bildgebende Verfahren sind von hohem Einfluss auf den natur- und den geisteswissenschaftlichen Diskurs. Bei einem speziellen nuklearmedizinischen Verfahren wird einem Probanden eine radioaktive Substanz intravenös injiziert. Der Proband wird danach mithilfe einer SPECT-Kamera untersucht. Das bildgebende Verfahren SPECT (Single Photon Emission Computed Tomography) misst die radioaktive Strahlung im Körper des Probanden und erzeugt computergestützte Aufnahme der Durchblutungsmuster im Gehirn des Probanden. Zeigt man ihm bestimmte Bilder oder bedient sich anderer Stimuli, kann auf diese Weise sichtbar gemachte werden, welche Areale des Gehrin jeweils tätig sind.
Auf diese Weise kann auch sichtbar gemacht werden, welche Hirn-Areale des Menschen aktiv sind, wenn er betet oder meditiert. Über ein entsprechendes Experiment berichtet etwa der Beitrag „Gott im Gehirn“ von Thomas M. Schmidt auf der Homepage der HSK-Gruppe (Dr. Horst Schmidt Kliniken GmbH).
Aus dem Befund, dass das menschliche Gehirn bei Meditation und Gebet aktiv ist, und der Erkenntnis, welche Areale genau betroffen sind, hat die beiden Neurowissenschaftler Andrew Newberg und Eugene D’Aquili in ihrer Studie „Der Gedachte Gott. Wie Glaube im Gehirn entsteht“ den Schluss gezogen, dass es sich bei dem menschlichen Geist um ein Produkt des Gehirns handele. Damit sei auch Gott lediglich ein neurobiologisches Paradigma, das der Mensch aufgrund seiner genetischen Disposition hervorbringt.
Aber was zeigen die bildgebenden Verfahren eigentlich: Nicht mehr und nicht weniger, dass das Gehirn eines Menschen religiös aktiv ist. Das ist für einen Theologen, gerade einen christlichen, nicht Neues. Die Theologie selbst ist, weil sie Wissenschaft ist, auf den Gebrauch der Vernunft angewiesen. Womit sollte man Theologie treiben, wenn nicht mit dem Gehirn? Glaube und Vernunft sind ja keine widerstrebenden und sich gegenseitig ausschließenden Handlungsweisen des Menschen. Gerade weil der Glaube vernünftig ist, ist das Glauben selbst und die Ausübung des Glaubens immer auch ein intellektueller Vorgang, der als solches messbar ist. Mehr zeigen die bildgebenden Verfahren nicht – und sie können es auch nicht!
In der sehenswerten ZDF-Reihe „Leschs Kosmos“ hat der namensgebende Moderator und Wissenschaftsjournalist Harald Lesch in der Folge „Denken mit Antimaterie“ genau diese Methode der bildgebenden Verfahren vorgestellt. Das Besondere an dieser Reihe ist die Verknüpfung von Philosophie und Naturwissenschaft. Und genau hier setzt Harald Lesch an. Er beschreibt zwar, dass die bildgebenden Verfahren sichtbar machen können, welche Areale im Gehirn eines Menschen gerade aktiv sind. Aber sie können eben nicht zeigen, was dieser Mensch gerade denkt und fühlt. Die Persönlichkeit des Menschen als Ganzes kann gerade nicht sichtbar gemacht werden.
Deshalb sind die Erkenntnisse der Neurobiologie trotzdem nicht ignorierbar. So stellt Thomas M. Schmidt am Schluss seines bereits zitierten Beitrages fest:
Die Frage nach der Wahrheit religiöser Überzeugungen kann also nicht entschieden werden, wenn sie nicht zugleich eine überzeugende Erklärung anbietet, was religiöses Bewusstsein ist und wie es zustande kommt. Wer sich auf diese Fragen einlässt, kommt an den Diskussionen der Neurobiologie nicht vorbei. Der religionsphilosophische Diskurs über Wahrheit und Geltung religiöser Überzeugungen kann sich nicht auf neurowissenschaftlichen Befunde über das menschliche Bewusstsein stützen, er kann diese aber auch nicht ignorieren.
Für die hier gestellte Frage bedeutet das: Gott ist nicht bloß ein buntes Bildchen im menschlichen Gehirn. Der Mensch ist die untrennbare Einheit von Leib und Seele. Dass in ihm physisch etwas geschieht, wenn er mit Gott in Beziehung tritt, kann daher nicht verwundern. Dass dabei ganz bestimmte Areale im Gehirn tätig sind, noch viel weniger. Vielleicht sind es gerade diese Areale, die Gott genau so angelegt hat, um mit dem Menschen in Beziehung zu treten. Die bunten Bilder der Neurobiologie beweisen daher lediglich, dass Gott, selbst wenn er nicht existieren würde, im Menschen tatsächlich etwas bewirkt.
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
Daß die Neurobiologie sich intensiv mit der Frage nach Gott beschäftigt, ist einerseits sehr interessant, andererseits aber wird man auf diese Weise niemals zu endgültigen Ergebnissen kommen, das ist meine Überzeugung als Laie.
Was im Text nur angedeutet wurde, sollte etwas genauer betrachtet werden, denn natürlich können Hirnforscher mit den entsprechenden Verfahren abbilden, was in der Physiologie oder im Stoffwechsel des Gehirns geschieht, wenn ein Mensch betet oder meditiert, aber welche Bedeutung die Meditation und das Gebet für einen Menschen haben, liegt prinzipiell außerhalb aller naturwissenschaftlicher Beobachtbarkeit, das ist das Problem. Ob ein religiös gläubiger Mensch aus seinem Glauben ethische oder moralische Überzeugungen ableitet, oder mit welchen Identifikationen sich der Glaube an Gott verbindet, das alles läßt sich nicht mit bildgebenden Verfahren abbilden oder aus der Analyse des Hirnstoffwechsels ablesen.
Gewiß, es gibt vermutlich keinen Weg zurück zum klassischen Dualismus, der es für möglich hält, daß Materie und Geist unabhängig voneinander existieren könnten, aber dennoch bleibt es ein erstaunliches Phänomen, daß geistige Tätigkeit auf die Materie zurückwirkt, die den Geist hervorbringt.
Für die Naturwissenschaft ist das Problem der sogenannten Qualia bis heute ungelöst und wird es vermutlich auch immer bleiben. Mit Qualia sind die rein subjektiven Erlebnisgehalte von Wahrnehmungen und Empfindungen gemeint, der absolute Unterschied zwischen objektiv Nachweisbarem und subjektiv Empfundenem also. Natürlich können wir im Labor abbilden, was im Gehirn rein physiologisch geschieht, wenn ein Mensch Feude oder Leid erlebt, aber wie sich Freude und Leid rein subjektiv für einen Einzelnen anfühlen, das läßt sich aus den Abbildungen in keinster Weise ableiten und niemand kann exakt das nachfühlen, was der Andere empfindet, bzw. wie er es empfindet.
Die Aussage daß „physisch etwas geschieht, wenn ein Mensch mit Gott in Beziehung tritt“, ist sicherlich rein hirnphysiologisch richtig, allerdings ist das kein Hinweis darauf, daß Gott etwas ist, das von Außen an den Menschen herantritt.
Für mich persönlich ist Gott niemals etwas anderes, als eine Art Erfahrungstatsache in der rein subjektiven Erlebniswirklichkeit eines einzelnen Menschen, inwieweit aber die innere Erlebniswirklichkeit mit der äußeren Wirklichkeit übereinstimmt ist ein großes Problem. Und letztlich muß diese Problem sozusagen naturgemäß ungelöst bleiben, da Gott rein wissenschaftlich weder beweisen noch widerlegt werden kann. Es kommt also, genau betrachtet, nicht darauf an, ob es Gott wirklich gibt, sondern was Glaube oder Unglaube für einen einzelnen Menschen bedeuten.
Was das Verhältnis von Geist und Materie betrifft, so halte ich die Vorstellung des Parellelismus für am sinnvollsten:
http://www.info3.de/ycms_alt/printartikel_1429.shtml
Volker Brokop