Weitgehend unbeachtet von der allgemeinen Öffentlichkeit und ihrer Meinungsbildung vollzieht sich im kirchlichen Binnenbereich erneut ein Vorgang, der in den letzten 20 Jahren wiederholt zu beobachten war.
Es begann 1989 mit der Kölner Erklärung, einem Memorandum, mit dem seinerzeit weltweit über 700 Theologinnen und Theologen gegen den ihrer Ansicht nach autoritären Leitungsstil des damaligen Papstes Johannes Paul II und dessen Verhalten bei der Erteilung kirchlicher Lehrerlaubnisse, der sogenannten „missio canonica“, opponierten. Damals prägte sich ein kommunikativer Stil in der Kirche aus, der bis heute in verschiedenen Varianten imitiert wurde. Denn statt sachlich-argumentativer Auseinandersetzung folgte eher autoritäre Zurechtweisung und Sanktionierung seitens der kirchlichen Autoritäten.
Auf die Kölner Erklärung folgten weitere Initiativen: Das Kirchenvolksbegehren, die Initiative „Wir sind Kirche“ und jetzt aktuell das Theologenmemorandum „Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“, das mittlerweile von 311 Theologinnen und Theologen unterzeichnet wurde und mit wieder altbekannte Forderungen erhoben werden wie etwa die Demokratisierung kirchlicher Entscheidung (auch bei Bischofsernennungen), die Aufhebung des Pflichtzölibates für Priester oder die Zulassung von Frauen zur Priesterweihe. Die Reaktionen kirchlicher Amtsträger ließen in der Regel nicht lang auf sich warten und folgten dem Grundmuster von 1989. Zwar gibt es immer wieder Bischöfe, die mehr oder weniger verhalten ihre Sympathie mit den in Memoranden und von selbst ernannten Reformgruppen erhobenen Forderungen äußern. Im Allgemeinen werden die Apelle allerdings deutlich zurückgewiesen, wobei die Polemik mit der Zeit zunimmt.
Um es vorweg zu nehmen: Ich selbst bin eher enttäuscht vom aktuellen Theologenmemorandum und würde es in der vorliegenden Form nicht unterzeichnen. Mir fehlt die theologische Substanz und Argumentation. Das, was die theologische Wissenschaft auszeichnet, das Begründen von Thesen und Forderungen, findet sich nicht. Es ist leicht, Forderungen, die aktuell en vogue sind, zu erheben. Wichtiger wäre es, sie auch zu begründen: theologisch, anthropologisch, soziologisch – wie auch immer. Aber erst aus der Begründung heraus wird ein Diskurs und auch Veränderung möglich werden.
Um so mehr hat mich die harsche Reaktion mancher Bischöfe verwundert. Da wurde den Autoren des Memorandum das Katholischsein abgesprochen, ein Mangel des „sentire cum ecclesia“ (des mit der Kirche Fühlens) attestiert und verzweifelt die Klage erhoben, dass man den eigenen theologischen Nachwuchs solchen Ausbildern überlassen müsse (als wären Theologen episkopaler Besitz). Harte Reaktionen auf ein eher schwaches Dokument. Als sich der Nebel meiner Verwunderung etwas gelichtet und sich der Pulverdampf der Kanonen, mit denen man auf die Spatzen schoss, verzogen hatte, ließ die deutsche Bischofskonferenz eine Einladung zu einem Dialogprozess verkünden.
Das ist neu! Und doch wieder nicht. Denn solche Dialogprozesse gab es schon häufig. Ihnen allen ist gemein, dass sie zukunftsweisende Titel trugen im Ergebnis aber wenig ertragreich waren. Wie sonst kann es sein, dass seit über 20 Jahren immer wieder dieselben Forderungen laut werden?
Jetzt also wieder eine Einladung zu einem Dialog – freilich einem „strukturierten“ Dialog über Glaubensfragen. Und „der Glaube ist nicht billig zu haben“ – so titelt jedenfalls ein kurzer Beitrag in der Kölner Kirchenzeitung vom 27. Mai 2011 (S. 16). Dort kommt auch der Kölner Generalvikar Dr. Dominik Schwaderlapp zu Wort:
„Die Bischöfe haben einen Dialogprozess ins Leben gerufen. Darin liegt eine große Chance. Es geht darum, darüber ins Gespräch zu kommen, wie es uns gelingen kann. auch heute die Menschen für Christus zu gewinnen. (…) Wenn sich allerdings dieser Dialogprozess damit beschäftigt, wie wir die Hingabe an Gott verbilligen können, wie wir die Herausforderungen unseres Glaubens mildern können, wie wir das, was heute so sperrig klingt, am besten beiseiteschieben (…). Wenn wir also in diesem Dialog darüber sprechen, wie wir unseren Glauben billiger machen können, dann geht dieser Dialog in die Irre.“
Dr. Schwaderlapp schließt dann mit den Worten, dass eine Reform der Kirche nie durch ein Weniger an Hingabe gelungen sei, sondern immer nur durch ein Mehr.
Abgesehen davon, dass in solchen Worten wenig von der freiwillig von Gott geschenkten Gnade und dem leichten Joch Jesu Christi zu spüren ist, finde ich es bedenklich, einen Dialog zu führen, der von vorneherein die Themen ausschließt, die dem Gesprächspartner von Bedeutung zu sein scheinen. Hinzu kommt, dass auch hier die eigentlichen Argumente fehlen.
Beide Seiten ergehen sich also eher in Parolen, die durch bloße Redundanz weder an Relevanz gewinnen noch von der allgemeinen Öffentlichkeit verstanden werden. Diese Art der Kommunikation führt nur dazu, dass sich die Fronten verhärten und die Lager bilden. Claqueure wird jeder der Kombattanten finden. In dieser Nabelschau der Kirche dürfte aber ihr eigentlicher Auftrag auf der Strecke bleiben: Das Evangelium in und durch die heutige Zeit zu tragen.
In seinem Beitrag „Sprechen heißt zuhören“, den Eberhard Schockenhoff in der Zeitschrift Christ in der Gegenwart (Jahrgang 2011, S. 233) veröffentlicht hat, weist der Autor darauf hin, dass der Begriff „Dialog“ ein Schlüsselbegriff des zweiten Vatikanischen Konzils ist. Er zeigt auf, dass zahlreiche Dokumente des Konzils im Dialog eine Wesenseigenschaft der Kirche sehen. So kommt er zu folgendem Schluss:
Umso dringlicher ist es, den vom Konzil geforderten Dialog in gegenseitigem Respekt wieder aufzunehmen. Der vorurteilsgeladene Spott, mit dem seit der Ankündigung der Dialoginitiative der deutschen Bischöfe der Begriff „Dialog“ in der Kirche von interessierter Seite zurückgewiesen wird, ist keineswegs Ausdruck einer besonderen Treue zum kirchlichen Lehramt. Er verrät vielmehr eine erstaunliche Unkenntnis seiner jüngeren Dokumente und die Absicht, dessen Aussagen nur insoweit anzunehmen, als sie den eigenen kirchenpolitischen Vorstellungen entgegenkommen.
Laut Wikipedia bedeutet der aus dem Griechischen stammende Begriff „Dialog“ in der Wurzel das „Fließen von Worten“. Erst in diesem Fließen nähern sich die Dialogpartner im Austausch von Argumenten der Wahrheit an – immer in dem Bestreben, dem anderen seinen Irrtum zu nehmen, immer in der Gewissheit, dass auch der andere von diesem Bestreben geleitet ist, beseelt von der Hoffnung, nicht selbst im Irrtum zu sein oder zu bleiben. Zum Dialog gehören also Reden, vor allem aber auch Hören. Dann bleiben die Worte im Fluss. Freilich einem Fluss, der nicht frei ist von Wirbeln und Strömungen, Strudeln und Untiefen, aber doch einem Fluss dessen Energie nach vorne treibt. Wer hier die Ruderblätter der Argumentation fortwirft, wird führungslos auf der nächsten Sandbank auflaufen und kentern. Wer aber Wortstaudämme errichtet, der wird zwar die Energie das Flusses kurzfristig beherrschen können. Wie lange aber wird das gehen, bevor der Damm bricht?
Die Kirche ist apostolisch und katholisch. Sie fußt auf der Lehre der Apostel, die in der Gemeinschaft der Bischöfe garantiert ist. Die Katholizität gerät aber in Gefahr, wenn der Dialog, das Fließen der Botschaft durch die Zeiten und in der Zeit blockiert wird. Am Dialog führt daher kein Weg vorbei, auch wenn sich dadurch etwas ändert.
Das meint Ihr
Dr. Werner Kleine.
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
Herr Dr. Kleine bringt es wiedereinmal auf den Punkt. Selbst ich als theologisch Minderbemittelter habe mich nach der Lektüre des Theologen-Memorandums gefragt: Und das war alles? Will man mit so etwas schlichtem wirklich etwas anstoßen? Und dann die hohe Zahl an Unterschriften: Als müsste die Dürftigkeit des Inhalts dadurch kompensiert werden. Dabei muss doch der Dialog unbedingt stattfinden! Aber er kann nur gelingen, wenn die Beteiligten inhaltlich und vom Stil her auf Augenhöhe sind. Davon kann sowohl beim Memorandum als auch bei mancher offizieller Reaktion keine Rede sein. Sehr schade um die vertane Gelegenheit.
Laut wikipedia ist „ein Memorandum (…) eine Denkschrift, eine Stellungnahme, ein kalendarisches Merkheft oder schlicht eine Notiz mit etwas Denkwürdigem, kurz Memo.“ Ein memorandum ruft also etwas Grundsätzliches in Erinnerung, was etwas anderes ist als eine wissenschaftlich-theologische Denkschrift. Darüber hinaus ist es natürlich äußerst dringlich, dass angesichts einer zunehmenden „Matussekisierung“ der Theologie, die auch von dem einen oder anderen Diözesanbischof nicht verhindert sondern eher gefördert wird, die Diskussion um den Dialogprozess auf einem angemessenen Niveau geführt wird, zu dem die wissenschaftliche Theologie hoffentlich einen redlichen Beitrag leisten darf.
Siehe auch:
http://theosalon.blogspot.com/2011/02/im-soundso.html
und als guten Überblick über die Diskussionslage
http://www.muenster.de/~angergun/memorandum.html
Im Übrigen bietet diese im Sommer erscheinende Publikation vielleicht weitere notwendige Klärungen durch die Verfasser des memorandums:
http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3451305275/wystrach
Lieber Peter Otten,
vielen Dank für die Kommentare. Vor allem die Links und der Literaturhinweis sind wertvoll und wichtig.
Wie der Literaturhinweis zeigt, scheint die Notwendigkeit einer argumentativen Unterfütterung des Memorandums auch den Urhebern aufgefallen zu sein. Das zeigt sich auch bei manchen Beiträgen, die sich unter http://www.muenster.de/~angergun/memorandum.html finden (hier vor allem der Beitrag des Neutestamentlers Prof. Dr. Thomas Söding).
Die von mir eingeforderte Argumentation erscheint mir nach wie vor unerlässig. Sonst kann man sich nach Facebook-Manier einfach in einem „gefällt mir“ oder „gefällt mir nicht“ verhalten. Genau das ist ja bis in Äußerungen von Bischöfen hinein geschehen. Aber das ist ja gerade kein Dialog.
Das Memorandum trägt ja den Titel „Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“. Wenn das Memorandum mehr sein möchte als ein Memo auf dem Niveau einer gedächtnisstützenden Einkaufsnotiz, sondern wirklich eine das Denken und den Dialog anregende Schrift, ist eine argumentative Fundierung unerlässlich. Die ersten Schritte in diese Richtung werden ja offenkundig bereits gegangen. Ich bin sicher, dass dann auch der Dialog gewinnbringend in Gang kommt. Schmalspurfrömmler wie Matussek und Co. werden da sicher nicht mehr mithalten können. Es geht eben um mehr als um das bloße „gefällt mir“ oder „gefällt mir nicht“!
[…] 2010 ausgelösten Glaubwürdigkeitskrise der Kirche begegnen und für Transparenz sorgen möchte, Wortstaudämme errichtet, die das Fließen des Prozesses von vorne herein […]
Mehr zum Thema „Dialogprozesse“ gibt es unter: http://www.kath-2-30.de/2013/08/18/der-weg-ist-nicht-das-ziel/