oder: Die Nacht ist der Anfang des Tages
Vor einigen Tagen erreichte uns in der Katholischen Citykirche Wuppertal eine immer wieder auftretende Frage: Wann ist eigentlich Mätensingen?
Das Mätensingen ist ein vor allem im Bergischen Land verbreiteter Brauch, bei dem – anlässlich des Martinstages, der am 11.11. begangen wird -, Kinder durch die Straßen ziehen und in den Häusern Martinslieder singen. „Entlohnt“ werden sie dann mit Süßigkeiten. Der regional verbreitete Brauch, der andernorts auch als „Schnörzen“, „Gripschen“, „Dotzen“ oder einfach als „Martinssingen“ bekannt ist, hat eine lange Tradition. Aber wann findet er eigentlich statt?
Das Mätensingen ist eng an uralte kirchlich liturgische Traditionen gebunden, die ihrerseits jüdische Wurzeln haben. So beginnt im Judentum der neue Tag bereits mit dem Sonnenuntergang, weil es im sogenannten ersten Schöpfungsbericht schon beim ersten Tag und danach auch bei den anderen Tagen heißt:
„Es wurde Abend, es wurde Morgen: erster Tag“ (Genesis 1,5)
Der Tag beginnt biblisch gesehen also mit dem Abend.
Dieser Tradition folgend findet das Mätensingen also immer (!) am 10.11., also dem Vorabend des Martinstages statt. Der Martinsabend ist folglich der 10.11. und nicht der 11.11. (das ist dann der Martinstag).
Ähnlich verhält es sich übrigens mit dem Nikolausabend; das ist der 5.12., der Nikolaustag dann der 6.12.. (ähnlich heißt es ja auch in dem Lied „Nikolaus, komm in unser Haus“: Die Kinder freuen sich auf den Nikolausabend, weil am nächsten Tag dann die Geschenke unter dem Tisch liegen).
Auch der Heilige Abend (24.12.) ist der Vorabend des eigentlichen Weihnachtsfestes (25.12.). Und die Osternacht ist die Nacht vor dem Ostersonntag.
Die Liste könnte jetzt beliebig weitergeführt werden. Diese Beispiele sollten allerdings genügen.
Übrigens geht auch der vor allem im Rheinland neu aufkommende, in seiner Tradition aber im katholischen Irland verwurzelte Halloween-Brauch hierauf zurück. Es ist ja dann All Hallows Evening: Der Abend vor dem Allerheiligenfest. Dass das kein Zufall ist, stellt auch Peter Otten in seinem lesenwerten Blog „Theosalon“ fest.
Apropos Halloween: Vielleicht sollte manch einer, der in Halloween wieder den Verfall von Glaube und Sitte erblickt, unbarmherzig die Tür verschließt und den Anklopfenden am liebsten Saures geben würde, einfach die Perspektive wechseln, statt als Hardcore-Christ mit hartem Herz zu verstocken: Gleichgültig, wie man diesen neuen alten Brauch nun finden mag – die Freude der Kinder, die an diesem Abend als lebensdurstige Totengeister durch die Straße ziehen, kann an die österliche Freude erinnern, dass der Tod doch besiegt ist und nun aus vollem Herzen verlacht werden kann. Und das dürfte schließlich auch dem Heiligen Martin gefallen.
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
Wir gingen als Kinder (geb. 1953) immer noch von Laden zu Laden.