oder: Wenn Politiker sich mit Kindern schmücken
Die Wahlkämpfer der großen Parteien sind im diesjährigen Landtagswahlkampf auf das Kind gekommen. CDU und SPD warben vor allem in der Anfangsphase um die Wählergunst, indem sie die Protagonistin bzw. den Protagonisten mit Kindern umgaben. Zuerst erschien dabei in der Öffentlichkeit das Wahlplakat von CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen, das den Politiker neben einem Jungen zeigt, der ihn anschaut, von Röttgen aber nicht angeschaut wird.
Ganze Heerscharen von Kommunikationsfachleuten haben dieses Plakat bereits analysiert. Nicht nur, dass das Bild auf den ersten Blick als schlechte Fotomontage konstruiert ist (die Proportionen stimmen nicht, der Jungen schaut an Röttgen vorbei), auch der Spruch selbst wird konterkariert. „Politik aus den Augen unserer Kinder“ passt nicht zur sonstigen Botschaft des Plakates. Denn hier geht es nicht um Kinder, sondern um den Kandidaten. Er kommt in den Blick und nimmt Kontakt mit dem Wähler auf, nicht mit dem Kind. So, wie das Plakat aussieht, hat Röttgen den Jungen wahrscheinlich längst vergessen. Die Plakate sind ja auch bereits weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden.
Auch ein Plakat der SPD-Kandidatin und zum Zeitpunkt des Wahlkampfes amtierenden Ministerpräsidentin Hannelore Krafft bedient sich des Kind-Reflexes.
Anders als bei der CDU-Version nimmt die Kandidatin hier tatsächlich Kontakt mit den gezeigten Kindern auf. Sie ist ihnen zugewandt. Aber auch hier steht nicht das Kind, sondern die Kandidatin im Mittelpunkt. Wenn der Spruch „Wir lassen kein Kind“ zurück in diesem Zusammenhang ernst gemeint ist, wird man Frau Krafft wohl demnächst als Nanny engagieren können, wenn die Betreuung der Kinder mal wieder schwierig wird.
Aber auch andere Parteien bemühen sich des Kindchenreflexes. Die Piratenpartei etwa gibt sich ein besonders naives, bisweilen infantiles Gepräge. Da wird der Beschützerinstinkt gar nicht erst durch Bilder erzeugt, man möchte die Kandidaten vor den Unbilden der Realität schützen. Ein Auftritt der ehemaligen Geschäftsführerin der Partei, Marina Weisband, in der ZDF-Sendung „Lanz“ brachte da einiges von der allgemeinen Grundhaltung einer gestandenen Piratin zutage: Ich will haben. Ähnlich wie die Kinder im Supermarkt an der Süssigkeitenpräsenation kurz vor der Kasse quengelt ein Pirat über das „geistige Eigentum“. Man kann es doch so einfach kopieren und das tut niemandem weh. Vor allem, weil ja physisch nichts verloren gehe. Man würde ja nicht einfach ein Buch klauen, sondern nur kopieren. Bei dieser Haltung, die zudem sachlich noch falsch ist, denn auch Daten werden immer auf ein physisches Medium kopiert, müsste das Uroriginal, das kopiert werden kann, so teuer sein, dass es sich der Erstkäufer, von dem dann alle kopieren können, es sich nicht leisten könnte. Er würde also seine Anschaffungskosten wohl distribuieren. Die Kopie eines Taschenbuches, das jetzt für 9,80 EUR über den Ladentisch geht, dürfte die Kopie dann wohl mehr als 9,80 EUR kosten, da die Druckeinrichtungskosten für ein Exemplar erheblich höher sein dürften, als bei einer 20.000er Auflage. Ähnlich wird es sich bei Musikdateien verhalten. Der Künstler dürfte sein Original für 50.000 EUR zur freien Kopierbarkeit zur Verfügung stellen. Man darf gespannt sein, wer dieses Original kauft und dann zur freien Kopierbarkeit zur Verfügung stellen wird …
Noch doller treiben es mal wieder die kleinen Parteien, allen voran die vermeintlichen Verfechter des deutschen Vorgartens. Die Gartenzwerge mit der braunen Mütze behaupten wieder einmal, dass dieses Land „uns“ gehört. Dabei stehen gleich zwei Fragen an, die nicht beantwortet werden. Wer ist „uns“? Und wer hat diesen „uns“ das Land gegeben?
Zum Erwachsensein gehört die Anerkennung des Eigentums anderer. Zum Erwachsensein gehört auch die Anerkennung der Rechte anderer. Zum Erwachsensein gehört vor allem, dass Konflikte nicht nach Sandkastenmentalität gelöst werden, in der der eine Rabauke den anderen provoziert und sich dann freut, dass es so richtig Streit gibt, dann aber nach der Mama schreit. Wo sind wir da gelandet?
Der Wahlkampf erinnert wieder einmal an eine biblische Szene. Die Jünger streiten sich darum wer von ihnen der Größte sei (vgl. Markus 9,34). Die Antwort Jesu ist eindeutig:
Da setzte er sich, rief die Zwölf und sagte zu ihnen: Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein. Und er stellte ein Kind in ihre Mitte, nahm es in seine Arme und sagte zu ihnen: Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, der nimmt nicht nur mich auf, sondern den, der mich gesandt hat. (Markus 9,35-37)
Die kommende Wahl wird wie immer eine Zukunftswahl sein. Es ist nicht verkehrt, die Perpektive der Kinder einzunehmen. Denn die Kinder werden uns einmal unsere eigenen Entscheidungen vorhalten, so wie wir es unseren Eltern und Großeltern gegenüber getan haben. Politik darf deshalb nie kindisch sein. Das mag auf den ersten Blick hipp und frisch wirken, ist aber letztlich doch nur albern und infantil. Politik aus den Augen der Kinder betreiben heißt vor allem darauf zu schauen, was Kindern wirklich nützt. Ob das die Bildung von Anfang an ist, erscheint mir fraglich. Ob es nicht die Ermöglichung von Geborgenheit ist, schon eher. Im Alter erinnern sich die Menschen eher an die Reime ihrer Kindheit, die Mütter und Väter, Omas und Opas mit ihnen gesungen haben, als an die binomischen Formeln, chinesichen Vokabeln und Sätze des Pythagoras. Ob da die Politiker der Gegenwart – egal welcher Couleur – immer die richtige Blickrichtung haben?
Das fragt sich
Dr. Werner Kleine
Zum Thema „Politik und Kinder“ haben wir hier auf Kath 2:30 zwei weitere Beiträge veröffentlicht: Oele Schmidt setzt sich in seiner Reportage „Wenig Zeit für Kindheit“ mit der Situation indigener Kinderarbeiter in Mexiko auseinander. Zum gleichen Thema gibt es außerdem vom selben Autor eine Bildstrecke.