Das „Projekt Weltethos“ des Schweizer Theologen und Philosophen Hans Küng stand am 10. Juli 2009 im Mittelpunkt der von WDR 5 ausgetrahlten Sendung „Das philosophische Radio“. Hans Küng ist einer der profiliertesten Theologen der Neuzeit. In der Zeit des zweiten Vatikanischen Konzils war er Konzilsberater. Seine Kritik an der Enzyklika „Humanae vitae“ und die damit verbundene Anfrage an die päpstliche Unfehlbarkeit, die ihren Niederschlag schließlich in der Schrift „Unfehlbar?. Eine Anfrage“ 1970 fand, führten zu langwierigen Konflikten, die in letzer Konsequenz 1979 zum Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis (dem nihil obstat). In der Folge arbeitete Hans Küng als akultätsunabhängiger Professor für Ökumenische Theologie an der Univeristät Tübingen.
Hans Küng ist Initator des Stiftung Weltethos, die auf die programmatische Schrfit „Projekt Weltethos“ zurückgeht, die er 1990 vorgelegt hat. Das „Projekt Weltethos“ beruht auf vier Grundprinzipien:
- Keine neue Weltordnung ohne ein Weltethos
Ethos meint im Unterschied zu „Ethik“ nicht ein wissenschatliches System, sondern die innere Grundhaltung, mit der man dem Anderen gegenübertritt. Aus Sicht Küngs sind die großen ethischen Maßstäbe in allen religiösen Traditionen identisch sind. Gerade hierin sieht er die die Religionen als „Moralagenturen“ gefordert. - Die Grundforderung: Jeder Mensch muss menschlich behandelt werden
Auch die sog. „Goldene Regel“ – Was du wilsst, dass man dir tut, tue auch anderen – findet sich in allen großen Sinnsystemen der Menschheit wieder. Eine friedliche Welt muss diese Regel fundamental respektieren. - Vier unverrückbare Weisungen
Nach Küng bemühen sich in allen Regionen und Religionen die meisten Menschen um ein Leben, dass von Einsatz für Mitmenschen und Mitwelt geprägt ist. Demzufolge findet er in allen religiösen Sinnsystemen vier unverrückbare Weisen, die abstrahiert folgende Formulierungen finden:- Verpflichtung auf eine Kultur der Gewaltlosigkeit und der ehrfurcht vor allem Leben
- Verpflichtung auf eine Kultur der Solidarität und eine gerechte Wirtschaftsordnung
- Verpflichtung auf eine Kultur der Tolereanz und ein leben in Wahrhaftigkeit
- Verpflichtung auf eine Kultur der Gleichberechtigung und die Partnerschaft von Mann und Frau
- Wandel des Bewusstseins
Für Hans Küng ist es unerlässlich, zu den vielen umstrittenen ethischen Einzelfragen (von der Bio- und Sexualethik über die Medien und Wissenschaftethik bis zur Wirtschaft- und Staatsethik) bei allen Schwierigkeiten einen universalen Konsens zu finden. Hier soll die „Stiftung Weltethos“, die vom Council des Parlaments der Weltreligionen, das vom 28. August bis zum 4. September 1993 in Chicago tagte, begründet wrude, einen entscheidenden Beitrag leisten.
Der WDR5-Beitrag in der Sendung „Das philosphische Radio“ beleuchtet das „Projekt Weltethos“ in seinen verschiedenen Facetten aus der Perspektive des Initiators und gedanklichen Urhebers Hans Küng. Es wird deutlich, dass die Religionen auch und gerade heute einen entscheidenden Beitrag für das Zusammen- und Überleben der Menschheit beitragen. Die allenthalben von neo-atheistischen Strömungen behauptete These, es ginge auch ohne Gott, greift da zu kurz. Den Religionen eignet gerade im Gottesbezug eine moralische Kompetenz, die der bloße Humanismus nicht zu leisten imstande ist, da ihm der Fixpunkt, auf den sich die Moral bezieht, fehlt.
Hier sind aber gleichzeitig auch kritische Anfragen an das „Projekt Weltethos“ zu richten. So reicht es nicht aus, in den Religionen bloße Moralagenturen zu sehen, die aufgrund des Gottesbezugs das ethische Handeln absichern. Vielmehr ergibt sich Religion aus dem grundlegenden und existentiellen Transzendenzbedürfnis des Menschen.
Freilich sehen die Antworten der verschiedenen Religionen, die sich aus diesem Bedürfnis und den existentiellen Grundfragen nach dem Woher und Wohin ergeben, je anders aus. Gerade darin liegt ihre Unterscheidbarkeit. Hans Küng ist unbedingt darin Recht zu geben, wenn er einen Dialog der Religionen fordert; die Aufhebung kultureller Grenzen und die Globalisierung führen sogar zu einer Unausweichlichkeit dieses Dialogs in der gegenwärtigen Weltsituation, die eine strikte Abschottung nicht mehr erlaubt. Vielmehr „prallen“ die verschiedenen kulturellen und religiösen Kontexte nicht selten sogar in den Familien aufeinander. Die daraus von Küng gefolgerte „religiöse Zweistaatlichkeit“ erscheint mir allerdings nicht unproblematisch, da bei aller notwendigen Toleranz und Dialogbereitschaft die Religionen doch nicht gleich-gültig sind: Allah ist eben nicht der dreifaltige Gott, den die Christen verehren.
Jede Religion verfolgt dabei ihren eigenen Wahrheitsanspruch, von dem sie behauptet, er sei der Königsweg. Die Unterschiede einfach zu nivellieren würde auch die Infragestellung der religiösen Identiäten, damit aber auch der Religion selbst bedeuten. Auf diese Weise würde sich das „Projekt Weltethos“ aber seiner eigenen Grundlagen berauben.
Der Wahrheitsanspruch der einzelnen Religionen ist legitim – und das nicht nur auf der subjektiven Ebene des einzelnen Glaubenden. Freilich muss der Einzelne begreifen, dass er für sich nur ein Stück der Wahrheit an sich erfassen kann. Gerade deshalb braucht der Einzelne die Glaubensgemeinschaft, um in der Selbstrelativierung dem Relativismus zu entgehen.
Im notwendigen interreligiösen Dialog kann es aber um des gegenseitigen Respekts willen nicht bloß um einen Austausch von Meinungen gehen. Das Bestreben, den anderen zu überzeugen, zeugt von gegenseitiger Achtung, auch wenn das Überzeugtwerden in der Zustimmung des Herzens, wie sie Papst Paul VI in seiner Enzyklika „Evangelii nuntiandi“ von 1975 vorstellt, eine Frage der inneren Freiheit bleiben muss.
Was wir brauchen ist also ein konstruktiver und profilierter Dialog der Religionen auf der Suche nach der Wahrheit. Dabei darf mit Worten gestritten werden. Die Achtung vor dem Anderen verbietet jede Form von Gewalt. Wenn das „Projekt Weltethos“ diesen Dialog vorantreibt, ist viel gewonnen.
Das meint Ihr Dr. Werner Kleine.
Die Internetseite der Stiftung Weltethos
Informationen zu Prof. Hans Küng auf Wikipedia
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
[…] Der Katholizismus als Weltkulturerbe und Entschleunigungsprogramm. In manchen konservativen katholischen Internetforen wurde schon reichlich Beifall insbesondere für den Satz Rüdiger Safranskis, wenn es die katholische Kirche nicht gäbe, müsse man sie erfinden, gespendet. Aber ist den Applaudierenden überhaupt klar, welche Implikationen dieser Satz in sich birgt. Reicht es tatsächlich, in der katholischen Kirche lediglich eine gesellschaftlich notwendige “Moralagentur” zu sehen, um einen Begriff zu Hans Küng geprägten Begriff zu verwenden? (>> siehe hierzu den Kath 2:30-Artikel: Religionen als Moralagenturen?) […]