Inklusion bedeutet zuerst Einschluss und nicht Ermöglichung
Die Macht der Sprache wird häufig unterschätzt. Worte sind mehr als bloße Verständigungsmittel. Worte wirken. Sprache schafft Bewusstsein.
Die moderne Neigung zu einer politisch korrekten Sprache treibt dabei nicht selten eigenartige Blüten. Vor allem wenn es um behinderte Mitmenschen geht, bleibt den Nichtbehinderten das Wort im Halse stecken. Stumm und einer die Dinge einfach benennenden Sprache beraubt, behindern sie den Dialog. Verkrampft um Normalität bemüht wird der Behinderte so zu einem „Menschen mit Handicap“. Nicht nur, dass die meisten Behinderten keine Golfspieler sind; hier wird eine Lebensrealität oft dermaßen verharmlost, als handle es sich bei der Behinderung um eine Verstauchung, die das persönliche Fitnesstraining beeinträchtigen würde.
Jetzt gibt es ein neues wirkmächtiges Wort, mit dem Behinderte endlich ihr Glück erlangen sollen: die Inklusion. Diesen Begriff verwendet die 2008 in Kraft getretene und 2009 von der BRD unterzeichnete UN-Behindertenrechtskonvention, mit der Menschen mit Behinderung eine gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden soll. Das eigentlich Selbstverständliche wird nun endlich einklagbar. Das ist für jeden Behinderten, der diesen Weg gehen möchte, ein Segen. Eine Gesellschaft, die Behinderte bisher behinderte, wird sich nun umstellen müssen.
Und die Gesellschaft macht ernst. So hat die Stadt Köln unlängst einen Inklusionsplan für die Kölner Schulen vorgelegt, in dem „inklusive Bildungslandschaften“ entwickelt werden. Was sich nach Erholung anhört und in der Phantasie des Hörers geradezu paradisische Bilder hervorruft, kann den einzelnen Behinderten allerdings schneller seiner Selbstbestimmung berauben, als es den Landschaftsarchitekten inkludierter Parkanlagen lieb ist. So heißt es in den Zielformulierungen der erwähnten Schrift: „Der Begriff der Inklusion wird grundsätzlich in einem alle Kinder umfassenden Sinne verstanden: nicht ausschließlich das gemeinsame Lernen von Menschen mit und ohne Behinderungen bzw. sonderpädagogischem Förderbedarf, sondern die Entwicklung individualisierten Lernens aller Schülerinnen und Schüler – also auch unter Berücksichtigung von Hochbegabung, Gender, Migrationshintergrund etc. – sind in den Blick zu nehmen.“
Wer diesen Wortdschungel lichtet, kommt auf eine einfache Formel: Eine Schule für alle! Hier werden alle zum Glück gezwungen. Die Inklusion ist nicht mehr bloß ein Recht, sie wird zur Pflicht – auch für die Behinderten. Ein zur Pflicht gewordenes Recht tötet die Freiheit.
Es bleibt zu hoffen, dass eine solch verstandene Inklusion eine Illusion bleibt. Behinderte sollen endlich ein einklagbares Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erhalten, dass sie nicht ihres Rechtes auf individuelle Selbstgestaltung ihres Lebens beraubt. Schon jetzt werden manche Einrichtungen für Behinderte als „Separatistenvereine“ gebrandmarkt. Dabei brauchen gerade viele geistig Behinderte einen Schutzraum, in dem sie sich ohne die Überforderungen der Gesellschaft entfalten können. Zum Glück der Inklusion gezwungen verlieren Behinderte das Recht auf die Entscheidung, sich Freunde und Lebensweise selbst aussuchen zu dürfen. Eine so verstandene Inklusion führt nicht zu Entfaltung und Ermöglichung, sondern zur Unfreiheit. Es wäre wie bei einer Bernsteininklusion: Wunderschön anzuschauen – bloß: das im Bernstein eingeschlossene Lebewesen ist tot!
Dr. Werner Kleine
Dieser Beitrag wurde in der Kirchenzeitung für das Erzbistum Köln vom 26. Oktober 2012 erstveröffentlicht.
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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