Das bisherige Jahr war für die katholische Kirche sehr ereignisreich. Die Aufkündigung der Zusammenarbeit der deutschen Bischöfe mit dem Kriminologischen Institut Niedersachsen bezüglich des Forschungsprojektes zu den Missbrauchsfällen und dem Köln Klinikskandal war Anlass für eine tiefgreifende Kritik am Vorgehen der Kirche. Der am 11. Februar 2013 angekündigte und am 28. Februar 2013 um 20 Uhr wirksam gewordene Rücktritt Papst Benedikts XVI hat ebenfalls zu einer intensiven Diskussion geführt. Nun steht das Konklave an, das am kommenden Dienstag, dem 12. März 2013, beginnen soll. Mit Spannung erwartet nicht nur die katholische Öffentlichkeit, wen die am Konklave teilnehmenden Kardinäle zum neuen Nachfolger auf dem Stuhl Petri wählen werden.
Kaum eine Zeit wie diese hat in der jüngeren Vergangenheit die Notwendigkeit eines Umdenkens der Kirche vor Augen geführt. Das Zweite Vatikanische Konzil lehrt, dass Kirche und Welt nicht voneinander getrennt betrachtet werden können:
Alles, was wir über die Würde der menschlichen Person, die menschliche Gemeinschaft und über den letzten Sinn des menschlichen Schaffens gesagt haben, bildet das Fundament für die Beziehung zwischen Kirche und Welt wie auch die Grundlage ihres gegenseitigen Dialogs. (Pastorale Konstitution „Gaudium et spes“ über die Kirche in der Welt von heute, 40)
Der gegenseitige Dialog, auf den das Konzil Kirche und Welt verpflichtet hat Folgen. Er kann nicht starr und einseitig geführt werden. Weil sich die Welt verändert, wird sich auch der Dialog der Kirche mit der Welt verändern. Weil sich der Dialog verändert, muss und wird sich auch die Kirche verändern müssen, weil sie sonst der Welt gegenüber sprachunfähig wird. Sprache schafft Bewusstsein. Sprache besteht aus mehr als Worten. Auch Symbole und Symbolhandlungen sind sprachliche Mitteilungen. Gerade in seiner symbolischen Dimension hat der Rücktritt von Papst Benedikt XVI Maßstäbe gesetzt, hinter die auch sein Nachfolger nicht mehr zurückkehren kann, ohne das der Dialog mit der Welt beschädigt würde. Nicht umsonst wird die Zahl derer, die – angefangen vom Berliner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki bis hin zu dem Münsteraner Theologen Prof. Dr. Dr. Klaus Müller, der in einer Predigt in der Münsteraner Dominikanerkirche feststellt:
Das Petrusamt ist seit dem 28. Februar für immer entmystifiziert und desakralisiert. Gott sei Dank. So wird es frei für seine wahren Aufgaben.
(Einen Überblick über die zahlreichen Reaktionen zum Rücktritt von Papst Benedikt XVI gibt es in einem Dossier des Münsteraner Forums für Theologie und Kirche [MFThK])
Auch wenn die eingangs erwähnten Ereignisse, die in Deutschland zu einer erheblichen Kritik an der Kirche geführt haben, sich nicht von weltweiter Bedeutung sind, so spiegeln sie doch ein Unbehaben und auch ein Unvermögen wider, mit dem die Kirche der Welt begegnet. Dieses Unvermögen ist auch an anderer Stelle in der Kirche zu finden. Erinnert sei nur an die Vatileaks-Affäre oder an die zaudernde Herangehensweise zur Aufklärung von Missbrauchsfällen in anderen Ländern und Nationen, auf die jetzt ein Brief der Opferorganisation SNAP aufmerksam macht, der
eine Liste von einigen als „dreckiges Dutzend“ beschimpften Kardinälen veröffentlicht, die wegen angeblicher Verharmlosung des Skandals nicht wählbar seien. (Quelle: katholisch.de)
Wenn man diesen gegenwärtigen Befund ernst nimmt, dann droht nicht nur eine Entfremdung der Kirche von der Welt, der Riss ist bereits Wirklichkeit. Der neue Pontifex muss also tatsächlich seinem Namen Ehre machen und neue Brücken zwischen Kirche und Welt bauen. Es gilt, die Ohren und Herzen wieder zu öffnen, die sich wegen des Fehlverhaltens vieler in der Kirche verschlossen haben.
Vielleicht ist es kein Zufall, dass die Wahl des neuen Papstes in die österliche Bußzeit fällt. Die österliche Bußzeit ist weniger eine Zeit des Fastens und Verzichts, sondern eine Zeit der Umkehr und der Metanoia, dass heißt wörtlich: des Umdenkens. Ja, die Kirche muss umdenken. Dazu gehört vielleicht auch, den wahren Kern der frohen Botschaft von mancher katholischen Überwucherung freizulegen. Nicht alles, was als genuin katholisch gilt, ist auch ursprünglich. Der Ballast, der sich über Jahre, Jahrezehnte und Jahrhunderte angesammelt hat, droht das Feuer des Evangeliums zu ersticken. Noch ist Glut unter der Asche. Sauerstoff, frische Luft ist nötig. Es braucht wieder eine Papst, der die Fenster aufreißt und ein Wehen zulässt.
Das Evangelium des vierten Fastensonntags im Lesejahr C hält diesbezüglich eine Verheißung, aber auch eine Mahnung bereit. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn (manche sprechen auch vom Gleichnis vom barmherzigen Vater) erzählt ja nicht nur von der Umkehr des Sohnes, der das Erbteil seines Vaters verprasst hat. Dabei wird erzählt, dass dieser Sohn die Notwendigkeit der Umkehr erst erkennt, weil er physisch am Ende und dem Hungertod nahe ist. Ohne diesen physischen Mangel wäre er wohl nicht auf die Idee gekommen, umzukehren. Der Umkehr geht der konkrete Schmerz voraus – ein Schmerz, den auch jeder Katholik verspürt, der an der gegenwärtigen kirchlichen Unfähigkeit zum Dialog mit der Welt leidet. Wer jetzt der Augen verschließt, wird Hungers sterben. „Kehrt um, und glaubt an das Evangelium“ (Markus 1,15) – an das Evangelium, das Paulus in der 2. Lesung des vierten Fastensonntags im Lesejahr C auf den Punkt bringt:
Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden. (2 Korinther 5,21)
Hinter diesen rätselhaften Worten verbirgt sich die Gewissheit, dass Gott sich in Jesus total mit dem menschlichen Sein identifiziert hat. Diese Totalidentifikation gilt jedem Menschen, so dass Jesus den Sündertod am Kreuz stirbt. Er bleibt nicht im Tod, sondern ersteht von den Toten auf. Aus der Identifikation Jesu mit dem Menschen im irdischen Tod erwächst jetzt die Gewissheit, dass diese Identifikation auch in der Auferstehung gilt.
Der fast verlorene Sohn hat es begriffen: Wer immer umdenkt und sich dem Vater zuwendet, wird nicht zurückgewiesen werden. Die Liebe Gottes ist bedingungslos!
Aber da ist noch der ältere Sohn, der neidisch auf die Freude des Vaters über den umgekehrten jüngeren Bruder schaut. Sein Neid hindert ihn daran, am Fest der Freude teilzunehmen. Er ist ernstlich in Gefahr, selbst verloren zu gehen. Kann er auch er umdenken und umkehren?
Das Evangelium lässt diese Frage offen. Genauso offen ist gegenwärtig die Frage, wohin die Kirche gehen wird. Ein neuer Papst ist nicht alles. Durch einen neuen Papst kann aber alles anders werden. Die alten Pfade sind unpassierbar geworden. Der neue Pontifex muss ein Pfadfinder sein. Manch ein katholischer Pionier ist bereits jetzt schon in der Kirche vor Ort unterwegs, neue Wege zur Welt und zu den Menschen zu suchen und zu finden:
Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden. (2 Korinther 5,17)
Es geht!
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Woche,
Ihr
Dr. Werner Kleine, PR
Katholische Citykirche Wuppertal
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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