Theologen nennen einen Text sperrig, wenn man zu einem zeitkonformen Verständnis einige Klimmzüge machen muss. Ganz besonders sperrig ist die Offenbarung des Johannes, aus der die zweite Lesung des heutigen Sonntags stammt. In dieser Sammlung von apokalyptischen Visionen, die vor dem Hintergrund der frühen Christenverfolgung eine Deutung der realen historischen Bedrängnisse im Licht der Heilsgeschichte bieten wollen, gehört der heutige Text zu den besonders tröstlichen, in dem allerdings dies sonderbare Bild vom Lamm, das die Herde weidet und zu den Quellen des Lebens führen wird, im Mittelpunkt steht.
Hat Johannes denn da nicht den Bock zum Gärtner gemacht, wenn plötzlich ein Lamm als Hirte tätig ist? Im Evangelium des Sonntags – aufgegriffen im Halleluja-Vers – ruft der Herr den Seinen zu: „Ich bin der gute Hirt, Ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich.“ In einem unerhörten Zugriff bindet Johannes diese beiden Bilder zusammen: den Herrn als Hirten und zugleich als das Lamm, Sinnbild der Unschuld und des Opfers. Aber wie oft, wenn paradoxe Bilder gebraucht werden, wird etwas Neues, etwas Unerhörtes sichtbar: Es stehen aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen unzählbar viele vor Gott und alle Not und alles Leid hat ein Ende. Dies geschieht, weil eben dieses Lamm, diese liebende Zuwendung ohne jeden Zwang die Führung übernommen hat, weil der Hirte nicht mit Hirtenhund und Zaun, mit Druck und Verbot den Weg führt, sondern durch Einladung und Liebe, durch Zuwendung und in völliger Freiheit. Wenn dies unser Modell, vielleicht zunächst mal für unsere Kirche, für unsere Gemeinden, wäre, nicht auszudenken, was sich da tun könnte in unserer Wahrnehmung durch die Welt. Könnte es sein, dass all die Hinweise und Gesten, mit denen unser neuer römischer Bischof die Kirche leiten will, etwas näher an diesem Modell orientiert sind, als bisher? Was könnte daraus entstehen, wenn einer nicht versuchte, schon einmal mit eisernem Zepter zu regieren, sondern diesen Weg der Liebe, Zuwendung und Demut ginge. Hilflos und auf unsere Mitwirkung angewiesen, wie das wehrlose Lamm, und doch überwältigend über unseren Kleinmut und unsere Verzagtheit.
Möglich, dass wir damit heute schon einmal Anlass haben, über diese eigenwilligen Begriffsverwirrungen nachzudenken, wenn unsere Pfarrer als Hirten angesprochen werden, als „Pastöre“ und deren Vorgesetzte gar als Oberhirten bis zum Heiligen Vater, der im Hochgebet Gott selbst meint, sonst aber der geläufige Titel des römischen Bischofs ist. Der Hamburger Weihbischof Jaschke sprach davon, er müsse immer lachen, wenn ihn jemand mit Exzellenz oder Hochwürdigsten Herrn anspreche. Möglich, dass wir überhaupt zu wenig gelacht haben in den letzten Jahren in unserer Kirche.
Ich wünsche Ihnen von Herzen einen gesegneten Sonntag und eine fröhliche und erfreuliche Woche,
Katharina Nowak
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