Wikipedia ist ja möglicherweise eine schlimme Abirrung der menschlichen Wissenskultur, dennoch ist es manchmal hilfreich, zunächst dort nachzusehen, was andernorts vielleicht schwerer zu erreichen ist. Zur Barmherzigkeit heißt es dort:
„Nach der Lehre der römisch-katholischen Kirche empfangen die Gläubigen die Werke der Barmherzigkeit durch den Heiligen Geist.“ Das wird sicher auch eher anspruchsloser theologischer Lektüre nicht gerecht, aber es zeigt den Zusammenhang auf, in dem der Heilige Geist, dessen Fest wir heute und morgen feiern, mit einem Zentralbegriff des Christentums, der Barmherzigkeit steht.“
Franziskus, der in manchem Zeichen revolutionäre neue Bischof von Rom, hat in seinem ersten Angelusgebet auf ein neues Buch von Kardinal Kaspar (W. Kasper, Barmherzigkeit. Grundbegriff des Evangelium – Schlüssel des christlichen Lebens, Freiburg i.Br. 2012) hingewiesen, das ganz dieser Barmherzigkeit gewidmet ist und dabei bedauert, wie sehr dieses Thema von der Theologie sträflich vernachlässigt wird. Mit elegantem Florett wird dabei neben anderen prominenten Theologen auch der Präfekt der Glaubenskongegration erlegt, dessen Darlegung zu diesem Thema schlicht mit „Fehlanzeige“ charakterisiert wird (Anm. I, 36).Dabei wird man allerdings dem Kardinal niemand gram sein können, da er sich auch selbst aus der Kritik nicht ausnimmt. Und wenn man mit Eugen Biser „die kristallene Mitte des Evangeliums Jesu und … Identifikationskern seiner Stiftung“ in der „Proklamation des bedingungslos liebenden Vatergottes“ (E. Biser, Einweisung ins Christentum, S. 236) sieht, so muss man dieser Einschätzung Kardinal Kaspers völlig zustimmen: Die Barmherzigkeit Gottes und mit ihr die uns aufgetragene Barmherzigkeit der Zuwendung zu unseren Mitmenschen ist der Kern dessen, was das Evangelium den Menschen des 21. Jahrhunderts sagen kann und sagen muss.
Barmherzigkeit ist nämlich, nach Kasper, nicht eine Ausprägung und Verwirklichung Gottes neben anderen, sondern geradezu der Spiegel des inneren trinitarischen Wesens Gottes. Deshalb kann er sagen, dass „die am Kreuz endgültig und unüberbietbar offenbar gewordene innere Wirklichkeit Gottes als sich selbst entäußernde und sich selbst mitteilende Liebe“ nicht in sich bleibt, sondern uns konkret im Heiligen Geist zuteil wird (W. Kasper, Barmherzigkeit, S. 99). Barmherzigkeit, also die Zuneigung und Zuwendung zum andern, wie sie uns gelegentlich im Heiligen Geist und seinem Wirken an uns erfahrbar werden mag, diese bedingungslose Liebe , die eben nicht zwingt, sondern einlädt, vielleicht auch drängt, aber niemals unseren Willen zerbrechen will, sie zu bezeugen müsste uns das Herzensanliegen sein, damit Kirche für unsere Zeitgenossen eine Bedeutung haben kann, wieder von Belang werden kann.
Wenn dann allerdings einige meinen, es sei an der Zeit, doch auch die Hölle nicht zu vernachlässigen und in der Predigt die Möglichkeit der ewigen Verdammnis aufzuzeigen, wie man gelegentlich wieder hören kann, dann haben sie womöglich die noch hohen Gottesdienstbesucherzahlen in anderen Ländern vor Augen, in denen die Höllenpredigt die Notwendigkeit eines Lebens nach den kirchlichen Geboten betont. Zugleich verfehlen sie aber den leuchtenden Kern des bedingungslos liebenden Vaters, der im Kreuz seines Sohnes lieber den Tod auf sich nimmt als den Sünder zu zwingen. Und welcher Zwang wäre deutlicher als die Drohung mit ewiger Verdammnis?
Pfingsten schließt den Osterfestkreis und betont damit den engen Zusammenhang zwischen Kreuz, Auferstehung und dem Leben des Heiligen Geistes bei uns. Ich wünsche Ihnen die Erfahrung der unbeirrbaren Liebe eines Menschen und vor allem unseres Gottes, dieses Ursprungs aller Barmherzigkeit.
Ihre Katharina Nowak
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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