„Es sprach der Graf von Réaumur, ich hass‘ Euch wie die Schande –
Dient nur dem Celsio für und für – Ihr Apostatenbande!
Im Winkel König Fahrenheit hat still sein Mus gegessen:
„Ach, sie war doch schön die Zeit, da man nach mir gemessen.““
Mit diesen beiden Alternativen beschreibt Christian Morgenstern zwei Möglichkeiten, auf die Zumutung des eigenen Bedeutungsverlusts zu reagieren: mit Zorn und Hass wie Graf Réaumur, oder mit melancholischem Rückzug in den Winkel der Nostalgie. Beides Verhaltensweise, wie wir sie auch heute in unserer Kirche wahrnehmen können, manchmal sogar in beiden Varianten zugleich: Papst Benedikt hielt Marktl am Inn in den zwanziger Jahren für ein Abbild des Himmels und konnte sich zugleich nicht genug daran tun, gegen die moderne Welt zu wettern und sie als gottlos und moralvergessen zu charakterisieren. Und auch mit dieser Reaktion auf die moderne Welt wird uns etwas zugemutet. Die Kirche ist aber nun einmal dazu verdammt und begnadigt, sich zu wandeln (E. Salmann) und man kann unsere Zeit mit ihrem Verrinnen aller kirchlichen Bedeutung für unsere Gesellschaft durchaus als „Zumutung“ charakterisieren. Wie soll oder kann man denn sinnvoll reagieren auf diese Zumutung?
Zugemutet wird dem Gottesdienstbesucher auch heute ein Evangelium mit der Wundererzählung der Auferweckung des toten Jünglings von Naïn. Jesus heilt nicht nur, was man als aufgeklärter Zeitgenosse ja noch akzeptieren kann mit dem Verweis auf Spontanheilungen oder Verstärkung von Selbstheilungskräften; nein, er weckt Tote auf. Jesus trifft bei einer Beerdigung auf die Mutter, die schon ihren Mann verloren hat, und tröstet sie nicht, er spricht ihr nicht gut zu mit mehr oder weniger einfühlsamen Worten, nein, er weckt ihren toten Sohn wieder auf. Für die Menschen der Antike nichts so Ungewöhnliches wie für uns: schon in der ersten Lesung legitimiert sich der Prophet Elija mit der Wiedererweckung des toten Knaben, aber die Zumutung bleibt: Eingriff in die Naturgesetze? Hokuspokus? Oder eine Zumutung, die wir aushalten müssen, weil wir um den breiten Graben zwischen den Menschen der Zeit Jesu und uns wissen, aber auch wissen, dass dieser Wunderheiler aus Nazareth die uns Menschen zugewandte Seite Gottes ist.
Sicher ist eine Wertung solcher Zumutungen als Prüfungen eines skeptischen Gottes für seine Geschöpfe auf ihrem Weg zur Seligkeit – oder auch nicht – ein frommes Märchen, mit dem ein Schlechtes bonisiert werden soll, um es in ein stimmiges Gedankengebäude integrieren zu können. Nein, es ist schlecht, wenn der Tod zur Unzeit kommt, wenn ein Leid Unschuldige trifft und wenn man manchmal die Wände hochgehen möchte vor Unvernunft und menschlicher Mangelhaftigkeit in unserer Gesellschaft, in unserer Kirche und manchmal, bei klarem Wetter, sogar bei uns selbst. Aber das ist die conditio humana, in die wir, ohne gefragt zu sein, hineingestellt sind. Wir müssen es aushalten, wir müssen es hinnehmen und können doch den letzten Sinn nicht sehen, wenn eben keiner da ist, der uns das Liebste wieder auferweckt, wenn wir es gehen lassen mussten. Da bleibt nur der eine Trost, das da einer war, der obwohl er Gottes Sohn war, nicht daran festhielt, sondern den Menschen gleich war und Kunde brachte von der Barmherzigkeit Gottes, von seiner bedingungslosen Liebe, so sehr, dass die, die ihm begegneten, seine göttliche Vollmacht und Liebe nur durch Totenerweckungen beschreiben konnten, durch außerordentliche Wundertaten, die zeigten, was das für ein Mensch war und was für ein Gott.
Ich wünsche Ihnen in den Wochen des Jahreskreises zwischen den etwas nostalgischen Festen und Ereignissen wie Herz-Jesu-Freitag oder Eucharistischem Kongress, dass Ihnen auch als Zeitgenosse die Zumutungen des Lebens, die kleinen, wie die großen, nicht die Kraft rauben, Ihren Weg zu gehen in der Sicherheit, von ihm begleitet zu werden. Von ihm, der Tote erwecken kann und uns das ewige Leben schenken will.
Katharina Nowak
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