Es wird nicht still um diesen Papst aus Lateinamerika. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass die Medien von neuen ungeheuerlichen Selbstverständlichkeiten berichten. Und gerade das macht diesen Papst schon nach nur 100 Tagen zu einem Segen für die Kirche: Er fordert in Wort und Tat zum Selbstverständlichen auf. Weil das nur dann Sinn macht, wenn das bisher nicht geschah (und immer noch nicht geschieht!), wirft das einen beschämenden Blick auf das Innenleben der Kirche. Denn der Papst fordert das Selbstverständliche nicht als Erleichterung, sondern als Herausforderung!
Alleine das straft all diejenigen Lügen, die bisher behaupteten, der neue Papst sei eigentlich wie der Alte. Das Handeln dieses neuen Bischofs von Rom ist zumindest substantiell verschieden. Was die Lehre betrifft, kann man noch keine Aussagen machen, denn es liegen noch keine lehramtlichen Äußerungen vor. Regiert da bei denen, die wie die Unken rufen, vielleicht doch die Angst vor dem Selbstverständlichen? Sind wir Christen vielleicht doch einfach nur Menschen, die nicht allein aufgrund subjektiver Frömmigkeit schon von der Bürde des alltäglich Menschlichen enthoben sind? Der neue Bischof von Rom wird einer solchen Haltung jedenfalls nicht zustimmen können. Bevor mit den Menschen gebetet wird, muss man ihnen zu essen geben. Gratia supponit naturam. Wer des Menschen Los nicht ernst nimmt und sich zu Gott abwendet, hat die Fleischwerdung Gottes nicht verstanden. Er hat nicht verstanden, dass nur der Jesu Jünger sein kann, wer sich selbst verleugnet, täglich sein Kreuz auf sich nimmt und ihm nachfolgt (vgl. Lukas 9,23). Nicht umsonst mahnt Jesus deshalb am Schluss des Evangeliums, das am 12. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahrs C verkündet wird:
Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten. (Lukas 9,24)
Ein Satz, der häufig von den Kanzelrednern zitiert wird, um die Gläubigen zu einem christlichen Leben zu motivieren. Manch einer, der diesen Satz in den vollen Mund nimmt, glaubt aber schon dadurch gerettet zu sein, dass er ein zölibatäres Leben führt. Das ist zwar nicht selbstverständlich, möglicherweise aber genau deshalb auch ein Problem. Darauf macht jüngst der durch die Offenlegung des Missbrauchsskandals bekannt gewordene Jesuit Klaus Mertes aufmerksam:
„Priester haben (…) keine besondere Nähe zu Gott. Davon steht nichts im Evangelium, nichts in den Texten der Weiheliturgie. Sie strahlen auch keine besondere göttliche Energie aus. Wenn es überhaupt so etwas gibt wie Menschen, die eine besondere Nähe zu Gott haben, so ist das unabhängig von der Weihe. Franziskus von Assisi war kein Priester. Teresa von Avila auch nicht. Das Problem liegt in dem Wort ‚besonders‘.“ (Klaus Mertes, „Monströse Unkeuschheit“. Wie Priester zu Tätern wurden – eine Bilanz des Missbrauchs in der katholischen Kirche, veröffentlicht am 16.6.2013 unter http://www.zeit.de/2013/24/mertes-priester-missbrauch/komplettansicht)
Manch ein Priester hat darauf schon abwehrend reagiert und möchte sich seine Nähe zu Gott nicht abstreiten lassen. Das tut Klaus Mertes auch gar nicht. Er sagt nur das Selbstverständliche: Priester sind keine besseren Menschen. Gott ist allen gleich nah. Gott kennt keinen Stand.
Nun wurde von Papst Franziskus eine neue Erinnerung an das Normale für notwendig erachtet. Bei dem Empfang der Apostolischen Nuntien aus aller Welt sah er sich am 21.6.2013 offenbar zu dem Hinweis genötigt, ihm nur gute Hirten vorzuschlagen. Offenbar war das bisher wohl nicht so, sonst macht der Hinweis keinen Sinn. Der römische Bischof betont in seiner Rede dabei die entscheidenden Kriterien:
Si sanctus est oret pro nobis, si doctus est doceat nos, si prudens est regat nos – wenn er heilig ist, bete er für uns, wenn er gelehrt ist, lehre er uns, wenn er wohl bedacht ist, regiere er uns. Bei der delikaten Aufgabe, die Untersuchungen zu den Bischofsernennungen anzustellen, seid darauf bedacht, dass die Kandidaten Pastoren nahe bei ihren Gläubigen sind: das ist das erste Kriterium. Hirten nah beim Volk. Aber, der ist doch ein großer Theologe, ein schlauer Kopf… Na, dann soll er doch auf die Universität gehen, da wird er sicher viel Gutes tun! Aber Hirten? Die brauchen wir. (Quelle: Homepage von Radio Vatikan – http://de.radiovaticana.va/news/2013/06/21/papst_franziskus_an_vatikanbotschafter:_%E2%80%9Eschlagt_gute_hirten_vor%E2%80%9C/ted-703536)
Es ist nicht das erste Mal, dass sich der Papst gegen ein offenkundig weit verbreitetes Karrierestreben äußert. Da hilft es auch nicht, wenn manch ein Kleriker von Dienst redet, aber Herrschaft meint. Die zur Schau gestellte Demut geht nur allzu oft einher mit subtiler Machtausübung. Wie anders ist es zu erklären, dass am Anfang der 1990er Jahre während einer Werkwoche, an der angehende Pastoral- und Gemeindereferenten gemeinsam mit Priesteramtskandidaten teilnahmen, von letzteren im Rahmen einer kontroversen Diskussion das ultimative Schlussargument lautet: Wartet ab, bis wir die Chefs sind! Manch einer von ihnen hat es tatsächlich in einflussreiche Positionen gebracht. Für wen halten sie sich wohl?
Dem Ideal der Nachfolge Jesu entspricht dieser Dünkel der sich auserwählt Wähnenden jedenfalls nicht. Das Evangelium vom 12. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahrs C weist einen anderen Weg. Nach der im Lukasevangelium berichteten Speisung der Fünftausend (Lukas 9,10-17), die doch ein triumphaler Erfolg gewesen ist, fragt Jesus seine Jünger:
Für wen halten mich die Leute? (Lukas 9,18)
Die Antwort ist nicht überraschend, denn wer so außergewöhnliche Fähigkeiten hat, wird gefeiert. Prominente Namen werden genannt: Johannes, der Täufer, Elija oder die Propheten (vgl. Lukas 9,19). Jesus fragt die Jünger direkt:
Ihr aber, für wen haltet ihr mich? (Lukas 9,20)
Die Antwort des Petrus ist eigentlich nicht zu überbieten:
Für den Messias Gottes. (Lukas 9,20)
Und Jesus verbietet ihnen, es weiterzusagen (Lukas 9,21).
Das würde heute anders laufen. Die Kirche ist bunt, wie das von Violett ins Purpur changierende Farbenspiel zeigt. Wenn jemand in der kirchlichen Karriereleiter eine Stufe emporsteigt, werden Pressekonferenzen und Sektempfänge abgehalten. Die Zeitungen sollen es künden und der Rundfunk in den Äther senden: Habemus promoveatum!
Tatsächlich: Die Nachfolge Jesu kann schwer sein. Denn wer emporsteigt, entfernt sich von dem, der hinabgestiegen ist. Welch eine Last!
Dr. Werner Kleine, PR
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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