Das Wesen der Gemeinschaft der Jesusjünger, die man auch die Kirche nennt, besteht in der Verkündigung. Wo die Kirche aufhört, zu verkünden, gerät ihre innere Mitte aus dem Blick. Erst, wenn die Kirche die Botschaft des Jesus von Nazareth in die Welt trägt, erfüllt sie den ureigenen Grund ihres Daseins. Nicht umsonst stellt die am 5. Juli 2013 veröffentlichte „Vierhändeenzyklika“ „Lumen fidei“ fest:
„Der Glaube ist keine Privatsache, keine individualistische Auffassung, keine subjektive Meinung, sondern er geht aus einem Hören hervor und ist dazu bestimmt, sich auszudrücken und Verkündigung zu werden.“ (Lumen fidei, Nr. 22)
Es ist eine bemerkenswerte Enzyklika. Bemerkenswert deshalb, weil sie von Papst Benedikt XVI begonnen und von Papst Franziskus fortgeführt und vollendet wurde. Bemerkenswert weiterhin, weil Benedikt XVI durch seinen Rücktritt einer Veröffentlichung des von ihm entworfenen Lehrschreibens zuvorgekommen ist (was den Rücktritt im Nachhinein erneut außergewöhnlich erscheinen lässt). In gewisser Weise kommt der Pontifikat Bendikts XVI jetzt erst endgültig zum Abschluss. Das Lehrschreiben ist an sich damit ein Zeichen für die Verkündigung, die immer in der Spannung von Kontinuität und neuer Akzentsetzung steht:
„Er [Benedikt XVI] hatte eine erste Fassung einer Enzyklika über den Glauben schon nahezu fertig gestellt. Dafür bin ich ihm zutiefst dankbar. In der Brüderlichkeit in Christus übernehme ich seine wertvolle Arbeit und ergänze den Text durch einige weitere Beiträge. Der Nachfolger Petri ist ja gestern, heute und morgen immer aufgerufen, ‚die Brüder zu stärken‘ in jenem unermesslichen Gut des Glaubens, das Gott jedem Menschen als Licht für seinen Weg schenkt.“ (Lumen fidei, Nr. 7)
Eine Enzyklika, verfasst von zwei Päpsten, das könnte und sollte stilprägend werden. Es entspricht einer biblischen Tradition, die im Hintergrund des Evangeliums vom 14. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres C steht. Lukas berichtet dort von der Aussendung der Zweiundsiebzig. Sie sollen die Botschaft vom nahen Reich Gottes in Wort und Tat – gewissermaßen wie er selbst – verkünden. Sie sollen Kranke heilen und das Wort Gottes ausrufen.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eine Bitte Jesu:
Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden. (Lukas 10,2)
Diese Bitte wird für gewöhnlich als Zitat um das Gebet für Priesterberufungen herangezogen. Tatsächlich aber ist die Bitte bei Lukas wesentlich weiter gefasst. Verkündigung in Wort und Tat ist keine Angelegenheit für ontologisch modulierte Nachfolger Jesu. Verkündigung ist eine Aufgabe für Jedermann. Nicht umsonst beschränkt sich der Auftrag im Lukasevangelium auch nicht auf den Zwölferkreis. Die Ausweitung auf die Zweiundsiebzig zeigt an, dass hier jede Jüngerin und jeder Jünger angesprochen ist.
Tatsächlich steht im Hintergrund der lukanischen Tradition die in der frühen Kirche real gelebt Praxis der Wandermissionare. Diese Praxis scheint noch in den Weisungen Jesu auf:
Geht! Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe! Grüßt niemand unterwegs! (Lukas 10,3f)
Wer damals zu Fuß über Land zog, befand sich immer in der Gefahr, überfallen zu werden. Deshalb schickt Jesus sie zu Zweit los (Lukas 10,1). Deshalb sollen Sie nichts mitnehmen. Wer nichts hat und arm aussieht, signalisiert: Bei mir ist nichts zu holen. Der weltliche Schutz wird aber auch zur Botschaft. Denn wer so unterwegs ist, ist auf Unterstützung angewiesen. Er kann sich nicht lange da aufhalten, wo er nicht willkommen ist. Es drängt ihn weiter. Dort, wo er Aufnahme findet, findet er dann auch einen entsprechend bereiten Boden, der die Saat der Verkündigung aufnehmen und zu einer neuen Blüte bringen kann.
Die Kirche hat dieses frühkirchliche Prinzip im Laufe der Jahrhunderte vergessen. Gerade heute wird eher nach Effizienzkriterien gesucht. Sinus-Milieu-Studien werden herangezogen. Freilich gewinnt man den Eindruck, dass hier pastorale Planung um ihrer selbst betrieben wird. Im Sinne Jesu wäre es sinnvoller, diesen Vorratsbeutel der Konzepte zu entleeren und sich ohne Last auf den Weg zu machen. Verkündigung ist einfach. Dort, wo die Botschaft aufgenommen wird, soll sie ausgesät werden. Dort, wo nichts zu holen ist, soll der Verkünder einfach weiterziehen. Manch einer, der sich traut, wird ebenso überrascht sein über seine Fähigkeiten wie die Zweiundsiebzig (vgl. Lukas 10,17).
Vielleicht ist das der schwierige Punkt an dem Evangelium. Die modernen Jesusjünger haben sich an ihre gemütlichen Pfarrheime gewöhnt. Die Kirchenbank ist sicher. In einem warmen Tempel lässt es sich gut aushalten. Ob man hier aber den Auftrag Jesu erfüllt, bleibt fraglich. Denn Jesus schickt seine Jünger paarweise voraus. Er wird ihnen also folgen. Er ist selbst unterwegs in die Städte und Ortschaften.
Wer es freilich wagt, das Heim für Christen zu verlassen, der wird die Erfahrung der frühchristlichen Wandermissionare auch heute noch machen. Es gibt Orte, an denen sind die Verkünderinnen und Verkünder immer noch nicht willkommen. Und diese Orte scheinen zahlreich zu sein. Dann sollen die modernen Jüngerinnen und Jünger Jesu sich nicht lange mit Lamentieren und Verteidigen aufhalten. Sie sollen weiterziehen und fruchtbaren Boden suchen. Und der findet sich meistens gerade da, wo ihn niemand vermutet.
Diese Erfahrung mache ich immer wieder. Im Rahmen meiner citypastoralen Tätigkeit arbeite ich häufig mit Menschen zusammen, die nicht in der Tradition der Kirche stehen. Menschen, die mit Ernst und Leidenschaft ihrer Profession nachgehen. Mit Künstlern, Journalisten und vielen anderen entsteht auf diese Weise eine intensive Kommunikation, die nicht nur meinen Horizont erweitert, sondern eben auch den der anderen. Manch ein beschuhter Beamter der Kirche stellt gelegentlich die Frage, ob man denn nicht besser Leute aus den eigenen Reihen nehmen solle. Dann würde freilich nie ereignen, was ich kürzlich wieder erleben konnte (und schon häufiger erlebt habe): Durch die gemeinsame Arbeit an einem Projekt und nach vielen Gesprächen sah sich eine Künstlerin genötigt, sich eine Bibel zu kaufen. Sie hatte sich außerdem als Gasthörerin an einer theologischen Hochschule eingeschrieben und begann die Hl. Messe zu besuchen. Anfangs, um mehr über die christliche Botschaft zu erfahren, die sie künstlerisch darstellen sollte. Jetzt konnte ich erleben, wie sie selbst einer größeren Menge von Zuhörern empfahl, eben jene Messe zu besuchen, deren Zelebrant so außergewöhnlich predigen würde.
Das Wort Gottes wächst wieder. Es wächst wie Unkraut im Asphalt der Straße. Man muss sich nur auf den Weg machen und es verkünden, im Wort und in der Tat. In der Tat, das ist keine Sache alleine für die Diener des Altares, sondern vor allem für die, die sich in der Welt auskennen. Selbst zu zweit würden sie sich sonst verirren.
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
In der Geschichte der Kirche wurden Frauen mächtig dazu benutzt, das Evangelium zu verbreiten und Gemeinden zu gründen. Jüngere Beispiele hierfür sind Kathryn Kuhlman, Maria Woodworth-Etter oder Aimee Semple McPherson. Gott hat ihren Dienst zweifellos unterstützt, obgleich sie Frauen waren. Dies beweist, daβ Frauen leitende Positionen in der Gemeinde bekleiden können.