Es ist weit gekommen mit der Kirche. Was in einem kleinen Stall in Bethlehm begann, in Nazareth, diesem provinziellen Kaff im galiläischen Bergland, reifte und auf einem schädelgestaltigen Hügel vor den Toren Jerusalems zu scheitern drohte, hat schließlich doch eine globale Erfolgsgeschichte begründet. Die Ursache dafür ist ein Fortschritt. Weil der, der am Kreuz starb, als Auferstandener vom Grab fort schritt, blieb nichts, wie es war. Was Papst Benedikt in seinem zweiten Jesusbuch als „Mutationssprung“ bezeichnete, ist nichts anderes als der Prozess der Geschichte Gottes mit den Menschen, die eben nicht in der Erstarrung des Todes stehen bleibt, sondern auf das eigentliche Ziel – das Leben in der Fülle Gottes – hinführt. Dieser Prozess geschieht nicht um seiner selbst willen. Der Fortschritt aus dem Grab ist vor allem eine Botschaft. Es ist die Botschaft, dass nichts von Gott trennen kann: Selbst der Tod ist kein Hindernis auf dem Weg des Menschen zur Fülle des Lebens in der Herrlichkeit Gottes.
Eine Botschaft ist ein Ereignis. Sie ist ja nur dann Botschaft, wenn sie verkündet und gehört wird. Eine Botschaft, über die niemand spricht und die niemand hört, hört auf, Botschaft zu sein. Tradition – die Weitergabe der Botschaft – ist deshalb Wesen, Auftrag und Ziel der Kirche.
Die Gegenwart sieht anders aus. Eine zunehmende Konfuzianisierung greift um sich. Der Weg selbst wird zum Ziel erklärt. Der Prozess an sich erfährt eine Apotheose, die ihre Manifestation in Zukunftskonventen und Dialogprojekten findet. Der in diesen Prozessen zum Stuhlkreis verkommene Glaube findet seinen angemessenen Ausdruck in Konzeptpapieren, von denen bisher noch niemand vor Ehrfurcht erschaudernd von „Worten des ewigen Lebens“ gesprochen hat. An die Stelle von Kathedralen, den steingewordenen Zeugen eines Glaubens, für den Menschen Übermenschliches auf sich genommen haben, und denen man sich Generationen später nur mit Staunen wirklich nähern kann, tritt die triste Tiefe des Tagungsraumes. Statt des Verkünders zelebriert der Moderator. Und wo früher der gut gefüllte Kerzenständer von den Gebeten der Gläubigen ein ebenso stilles wie lebendig flackerndes Zeugnis ablegte, steht heute die Moderationswand bunt gefüllt und mit Punkten gewichtet mit den immer gleichen Verheißungen, deren Erfüllung für eine moderne Kirche unabdingbar erscheinen – angefangen von der Aufhebung des Zölibates über die Änderung der Zulassungsbedingungen zum Priesteramt bis hin zu dem Wunsch, die Kirche solle zu den Menschen gehen. Angesichts des Letzteren möchte man mit Mario Barth, dem großen berlinernden Alltagsphilosophen der Gegenwart ausrufen: Nicht quatschen, machen!
Statt aber den Auftrag der Kirche, die Botschaft des Evangeliums allen Geschöpfen in aller Welt zu verkünden (vgl. Markus 16,15), endlich zu erfüllen, werden immer neue Konvente und Dialogprozesse ins Leben gerufen. Pastoralkonzepte werden in zahlreichen Treffen und Beratungen erstellt, die lebenszeitvernichtend vorhersehbaren Inhalts sind: Die Liturgie soll lebendiger werden, die Jugendarbeit muss gefördert werden, die Katechese muss intensiver werden und die Kirche soll zu den Menschen gehen. Nur wie, ja wie das geschehen soll, das ist nie – oder nur selten zu lesen. Das sind keine Konzepte; das sind bestenfalls Absichtsbekundungen, deren Ausformulierung nicht nötig ist, weil sie schon in der Bibel selbst stehen.
Es nimmt nicht Wunder, dass nach 20 Jahren Prozesspastoral der eine oder andere müde wird. Denn wer einen Weg geht, der nicht zum Ziel führt, weil er selbst das Ziel ist, geht im Kreis. Wer nie ankommt, dem geht die Puste aus.
Aus dem ewigen Kreis der Prozesspastoral gibt es aber kein Entrinnen. So entwickelt sich eine kirchliche Wagenburgmentalität, die in den überdimensionalen Stuhlkreisen, wie etwa im Stadtdekanat Bonn oder im Bistum Essen, ihren symbolischen Ausdruck finden. Der Prozess selbst wird zum Ziel. „Prozessempathie“ nennt das der Mathematiker Gunter Dueck. Und so feiert man sich vor allem selbst in bunten Festen: Nach dem Prozess ist vor dem Prozess.
Die Prozessempathen sind verliebt in die Beratung an sich. Eine Umsetzung in der Realität des Alltags ist nicht erwünscht, denn die Prozesslobby lebt vom Prozess. Die auf eine moderne Kirche Hoffenden klammern sich an den Prozess, weil die kirchliche Realität der Gegenwart doch ganz anders ist. Die Prozessberater und -moderatoren leben davon. Sie halten deshalb die Hoffnung aufrecht – solange jemand zur Zahlung des Honorars bereit ist. Darin ist die Kirche nicht alleine. Der schon erwähnte Gunter Dueck weist in seinen Vorträgen immer wieder darauf hin, dass eine ganze Coaching-, Berater- und Moderatorenindustrie von der Hoffnung prozessempathischer Jünger lebt.
Wie der Kirchenzeitung für das Erzbistum Köln vom 16. August 2013 zu entnehmen ist, hat jetzt auch das Stadtdekanat Remscheid endlich einen „Zukunftskonvent“ ins Leben gerufen, bei dem
„die Verantwortlichen der Veranstaltung (…) Vertreter von Medien, Handel, Wirtschaft, Politik, Kultur, den Schulen, religiösen Gemeinschaften und anderen gesellschaftlichen Gruppen um eine Teilnahme gebeten“ hatten (Kirchenzeitung für das Erzbistum Köln, 16. August 2013, S. 44).
Der so erweiterte Stuhlkreis hat laut Kirchenzeitung Köln auch eine epochale Erkenntnis zutage gefördert. So wird der Moderator Valentin Dessoy mit den Worten zitiert:
„Die Kirche steht zwischen Abbruch und Aufbruch.“ (ebd.)
Das ist doch mal eine Erkenntnis, die durch die Feststellung erweitert wird, dass
„leerer werdende Kirchen und weniger Mitarbeiter (…) einer Sehnsucht nach Spiritualität, Werten und Halt im Leben gegenüber“ stünden (ebd.)
Woraus sich letztere Behauptung ergibt, wird – wie so häufig – nicht genannt. Das hat viel von Beschwörung, aber wenig von Begründung.
Die zahlreichen Ideen und Vorschläge, deren Epiphanie sich wahrscheinlich auf Moderationswänden ereignete, führten jedenfalls dazu, dass ein pastoraler Mitarbeiter aus Remscheid
„positiv erschlagen und ergriffen“ war. Alles werde nun ausgewertet und in die Gemeinden getragen. (ebd.)
Die überraschend vorhersehbare Schlussfolgerung des Remscheider Stadtdechanten lautet daher:
Ein noch langer Prozess habe begonnen. (ebd.)
Die Botschaft der modernen Propheten lautet: Ein Prozess ist uns erschienen, ein Prozess ist uns geschenkt. Wir haben endlich etwas zu tun. Wir sind empathisch, empathisch für den Prozess. Wann wir zu den Menschen gehen? Wenn der Prozess beendet ist. Wann das sein wird? Das wird man sehen. Es ist ja ein langer Prozess. Wir müssen uns jetzt erst einmal beraten.
In Wuppertal ist eine solche Beratung jüngst auf ein unerwartetes Hindernis gestoßen. Als man die ehren- und hauptamtlichen Katholiken zu einem zweiten „Wuppertaler Konvent“ einlud, folgten so wenige der Einladung, dass man ihn absagen musste. Das ist wahrscheinlich ein Zeichen tiefer Prozessmüdigkeit. Die alten Weggefährten brauchen offenkundig eine Rast. Vielleicht macht sich in Wuppertal aber auch langsam die Erkenntnis breit, dass der Weg doch nicht das Ziel ist.
Die Kirche ist der Weg und nicht das Ziel. Wer nur über den Weg berät, wird ihn nie gehen. Auf ihr Christen: Was sitzt ihr noch da und redet. Quatscht nicht, geht zu den Menschen. Verlasst das heimelige Gefühl der Gruppe. Brecht endlich auf und verkündet die Botschaft von dem, der aus dem Grab fortschritt.
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
Diesen Ausführungen kann ich nur uneingeschränkt zustimmen.
Ein sehr guter, hellsichtiger Kommentar, der auch die Situation in Österreich mit einschließt. Leider.
Dieser Kommentar lässt den Respekt vor denen vermissen, die sich in den hier kritisierten Prozessen um einen Wandel der Kirche bemühen und es dabei mit sehr vielen Meinungen, Zielen zu tun bekommen.
Diesen Menschen wird unterstellt das sich in ihrem tun nicht um den Auftrag der Kirchen bemühen.
Ein Prozess, der das Wissen und Erfahrungen viele Menschen mit einbeziehen will, ist nicht einfach und eine große Herausforderung. Wir haben diese Prozesse, weil all die einfachen Lösungen, wie sie auch von dem vorliegenden Kommentar vorgeschlagen werden, nicht funktionieren.
Wenn ich hier Lese:
„Die Kirche ist der Weg und nicht das Ziel. Wer nur über den Weg berät, wird ihn nie gehen. Auf ihr Christen: Was sitzt ihr noch da und redet. Quatscht nicht, geht zu den Menschen. Verlasst das heimelige Gefühl der Gruppe. Brecht endlich auf und verkündet die Botschaft von dem, der aus dem Grab fortschritt.“
Hier schreibt einer der sich Berufen fühlt zu führen und die Leute losschickt, nur wohin?
Ich verstehe den Auftrag nicht so, das ich das Gefühl habe ich weis jetzt was ich mit alle den Problemen machen soll denen ich tagtäglich begegne.
Lieber Herr Althoff,
vielen Dank für Ihren Kommentar. Wir haben uns ja schon bei Facebook ausgetauscht und eine interessante – und wie ich denke erhellende – Diskussion geführt. Leider gibt Facebook (noch) nicht die Möglichkeit, auf den dortigen Threat zu verlinken, daher hier noch eine kleine Replik, die das bei Facebook Geschriebene ergänzen und für die Leser dieses Weblogs kurz darstellen soll.
Tatsächlich handelt es sich bei meinem Beitrag um einen Kommentar, also eine Form, in der ich meine Meinung in pointierter Form darstelle. Ich wende mich nicht grundsätzlich gegen eine Prozess- und Dialogkultur, sondern gegen eine Kultur des „Prozesses an sich“. Ich frage mich, ob die zur Zeit vielfältig anzutreffenden Dialogprozesse überhaupt ein Ziel haben. Was etwa im Bistum Essen als Ziel des dortigen Dialogprozesses formuliert wird („Wir schlagen vor, eine Kirche sein zu wollen, die erfahren werden kann als: berührt, wach, vielfältig, lernend, gesendet, wirksam und nah.“ – Zukunftsbild/Quelle: http://stadtkirche-essen.kirche-vor-ort.de/12115.html) ist doch eigentlich die Grundlage allen kirchlichen Handelns. Von hier aus hätte man einen Dialog über das „Wie tun wir das im Bistum Essen“ (ergänzen könnten man „Köln“, „Bonn“, „München“ usw.) führen können. Stattdessen „schlägt man vor“, wie Kirche werden kann. Es tut mir leid: Das ist banal! Kirche muss so sein. Oder gibt es etwa eine nicht gesendet Kirche, eine Kirche, die den Menschen fern ist, eine schläfrige Kirche usw.? Das ergibt sich doch alles aus dem biblischen Grundauftrag der Kirche. Es stellt sich allerdings die immer neue Frage nach der Umsetzung von Ort zu Ort, Kultur zu Kultur und Zeit zu Zeit – die Frage nach der Inkulturation der alten Botschaft.
Hier setzt ja auch Ihr Kommentar an, wenn Sie fragen, wohin die Leute geschickt werden soll und wie man das machen soll. Genau das wäre das Thema der Dialogprozesse: Wo und wie soll das geschehen. Unfreiwillig bestätigen Sie so den Impetus meines Kommentars, denn diese Antworten bleiben die ganzen Dialogprozesse schuldig. Und selbst wenn sie die Antwort geben, bleibt immer noch die Frage, ob es auch gemacht wird. Es wird ja immer vorgeschlagen – aber wer lässt sich dann in die Pflicht nehmen. So bleibt es beim Dialog. Es wird geredet um des Redens willen. Diesen „Prozess an sich“ kritisiere ich und das bezeichne ich als „Prozessempathie“. Mario Barth zitierend habe ich hier auch von „Quatschen“ gesprochen – das ist sicher zugespitzt, fordert aber eben auch heraus. „Redet nicht, handelt“ hört sich gut an. „Quatscht nicht, macht!“ – und das zeigen die kritischen wie zustimmenden Reaktionen auf meinen Beitrag – motiviert da offenkundig mehr zur Stellungnahme. Und schon sind wir im Dialog über das „Wie“. Der betrifft nicht nur ihre Frage; diesen Dialog bin ich auch gerne bereit zu führen!
Um aber noch Ihre Frage hier zu beantworten (sie merken – das haben wir alles schon bei Facebook ausgetauscht; ich bitte daher um Nachsicht für die den Lesern unseres Weblogs geschuldeten Wiederholungen), wie das geschehen kann. Das ist m.E. gar nicht so schwer. Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wo da viele ein Problem sehen: Haben nicht immer schon Eltern und Großeltern ihren Kindern und Enkelkindern die alten Geschichten Gottes mit den Menschen – manchmal mit einfacher, aber packender Weise – erzählt? Warum geht das heute nicht mehr? Ist die Solidarität mit den Armen wirklich so schwer? Warum in die Ferne schweifen: am eigenen Arbeitsplatz kann man beginnen – ohne den Katholiken heraushängen lassen zu müssen? Ist es wirklich problematisch, Rede und Antwort über unseren Glauben zu stehen? Und wenn ja, warum? Was brauchen vielleicht Sie und andere, damit das gelingen kann? Darüber zu dialogisieren, da bin ich sofort dabei! – Und wenn ich das richtig sehe, sind wir mit diesem Dialog hier schon mitten drin.
Ich freue mich auf den weiteren Kontakt mit Ihnen.
Dr. W. Kleine
Zum Thema siehe auch: http://www.kath-2-30.de/2011/05/31/wortstaudaemme/