Schon vor gut zwanzig Jahren mahnte der österreichische Theologe Paul Zulehner, die Kirchen müssten mystisch und prophetisch, gerade deshalb aber auch politisch sein. Erst in dieser dreifachen Dimension erfülle die Kirche ihren Auftrag. Und tatsächlich heißt es im Johannesevangelium im großen Abschiedsgebet Jesu:
„Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst. Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin.Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist Wahrheit. Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt.“ (Joh 17,15-18)
Die Kirche und damit auch jeder Christ, lebt in der Spannung von Mystik und Politik. Auf der einen Seite strebt sie nach der Erkenntnis der Wahrheit Gottes; andererseits bliebe diese wert- und folgenlos, wenn sie nicht Konsequenzen für das diesseitige Leben hätte. Die prophetische Dimension bringt diese Spannung auf den Punkt. Die Propheten und die Prophetinnen, von denen die Heilige Schrift erzählt, leben diese Spannung. Ihre mystische Erfahrung wird zu realer politischer Botschaft. Amos, Hosea, aber auch Jesaja wären ohne politischen Anspruch zahnlose Tiger. Das viel beschriebene Prophetenschicksal hat gerade in der politischen Dimension ihrer Worte und Taten seine Ursache. Nicht zuletzt zeugen auch Leben, Wirken und Reden des Jesus von Nazareth von einer politischen Wirkung. Nur so ist die Reaktion der damals Verantwortlichen und letztlich sein Tod am Kreuz historisch erklärbar.
Kirche ist also ohne politische Dimension nicht denkbar. Die Kirche kann sich nicht von dieser Welt verabschieden. Gerade deshalb schreckt die Einschätzung des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Bundestags-Fraktion im Deutschen Bundestag, Wolfgang Bosbach, auf. In der Kirchenzeitung Köln in ihrer Ausgabe vom 21. August 2009 wird er mit folgenden Worten zitiert:
„Von Jahr zu Jahr verlieren die beiden großen christlichen Kirchen Einfluss bei politischen Entscheidungen.“ Man werde „oft komisch angeschaut“, wenn es um die Frage gehe „Was sagen die Kirchen dazu?“. Als Beispiel moniert er das Ausbleiben einer gesellschaftlichen Debatte um den Schutz der ungeborenen Kinder. Hier sieht er dringenden Handlungsbedarf.
Papst Benedikt XVI beginnt seine Sozialenzyklika nicht umsonst mit den Worten „Caritas in veritate“/“Die Liebe in der Wahrheit“. Um der Wahrheit willen darf die Kirche nicht schweigen!
Vielleicht wurde in den letzten Jahren zuviel die Innerlichkeit des religiösen Lebens gesucht. Meditation und Besinnung sind wichtig, um die Wahrheit zu finden. Sie dürfen aber nicht zum Selbstzweck individualreligiöser Wellness werden. Die reine Mystik droht ohne politischen Rückbezug ihre prophetische Verheißung zu verlieren, so wie eine Politik ohne Wahrheitsliebe zum Pragmatismus des Machbaren ohne Rücksicht auf Verluste zu werden droht.
Aber es gibt noch etwas anderes, was bedenklich erscheint. Der Verweis des Religiösen in das Privatleben hat auch viele Christen befallen. Es gibt nicht wenige, die sonntags treu zur Kirche und ihrer Tradition stehen, im Alltagsleben aber die kirchliche Botschaft als nicht lebbar zurückweisen oder von der Kirche Anpassung an den Zeitgeist fordern.
Sicher ist es richtig, dass die alte Botschaft, die die Kirche zu verkünden hat, immer wieder neu zur Sprache gebracht werden muss. Aber es bleibt doch das alte Wort Gottes, seine Verheißung, die damals, wie heute und morgen gilt! Die Kirche ist nicht berechtigt, diese Botschaft zu ändern!
Was heute fehlt, sind mutige Männer und Frauen, Geweihte und Ungeweihte, die diese Botschaft offen zur Sprache bringen – im Zuspruch, manchmal aber eben auch im Widerspruch; mit Klarheit und Standfestigkeit, immer aber auch mit Respekt vor dem Anderen. Das Vorbild der Propheten zeigt zwar, dass das nicht immer einfach sein wird. Aber es gilt auch das Wort des Apostels Paulus: „Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns.“ (Röm 8,31). Also Christen, auf und mischt euch ein: Um der Wahrheit willen, dürfen wir nicht schweigen!
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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