Dies Domini – 6. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A
Der Fels erodiert zu Sandkörnern. Diesen Eindruck kann man bekommen, wenn man die Diskussionen verfolgt, die sich nicht erst seit der Veröffentlichung der Ergebnisse, die sich aus den Antworten auf Fragen des Vorbereitungsdokumentes zu dritten außerordentlichen Versammlung der Bischofsynode zu den pastoralen Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung ergeben haben. Die Medien sind immer noch voll von den Meldungen, dass das Kirchenvolk offenkundig die offizielle Lehre der Kirche in den Fragen von Ehe, Familie und Sexualmoral nicht teilt. Dass dieser Bruch schon seit der Enzyklika „Humanae vitae“ (1968) von Papst Paul VI faktisch existiert, ist eigentlich kein Geheimnis gewesen. Umso überraschender ist die Überraschung, die jetzt allenthalben herrscht. Allzu viele scheinen in der katholischen Heimlichkeit die Augen vor der unheimlichen Wirklichkeit verschlossen zu haben.
Nun tritt aber nicht nur der Bruch zwischen amtlicher Lehre und der Realität der Lebenswirklichkeit der Glaubenden offen zutage. Auch der lange Zeit monolithisch erscheinende Block des Episkopates offenbart Risse, wie sie sonst nur im Gebirge sichtbar werden, wo das Auftauen des ewigen Eises Gerölllawinen und Felsstürze auslöst. Selbst die mächtigsten Gebirge sind dynamischen Veränderungen unterworfen. Auch ein Fels ist nicht für die Ewigkeit gemacht.
Die gegenwärtige Diskussion in Deutschland wurde vor allem durch eine Stellungnahme des Trierer Bischofs Stephan Ackermann ausgelöst, die in der Allgemeinen Zeitung (Rhein Main Presse) veröffentlicht wurde. In dem Bericht, der am 6. Februar 2014 veröffentlicht wurde, stellt Bischof Ackermann fest:
„Wir müssen das Verantwortungsbewusstsein der Menschen stärken, ihre Gewissensentscheidung dann aber auch respektieren“, so Ackermann. So sei es nicht mehr zeitgemäß, eine neue Ehe nach einer Scheidung als dauernde Todsünde anzusehen und Wiederverheirateten keine Möglichkeit zu eröffnen, jemals wieder zu den Sakramenten zugelassen zu werden. „Wir werden da Vorschläge machen“, so der Bischof. Auch sei es nicht haltbar, jede Art von vorehelichem Sex als schwere Sünde zu bewerten. „Wir können die katholische Lehre nicht völlig verändern, aber Kriterien erarbeiten, anhand derer wir sagen: In diesem und diesem konkreten Fall ist es verantwortbar. Es geht nicht an, dass es nur das Ideal auf der einen und die Verurteilung auf der anderen Seite gibt.“
Zum Thema Familienplanung und Verhütung erklärte der Bischof: „Die Unterscheidung nach natürlicher und künstlicher Verhütung ist auch irgendwie künstlich. Ich fürchte, das versteht niemand mehr.“ (Quelle: Allgemeine Zeitung)
Es hat nicht lange gedauert, bis sich andere Bischöfe zu Wort meldeten, die Bischof Ackermann in die Schranken wiesen. Wohl nicht zufällig über das tendenziöse Internetportal „Kath.net“ äußerten sich die Bischöfe Konrad Zdarsa (Augsburg), Heinz Josef Algermissen (Fulda) und Wolfgang Ipolt (Görlitz) sowie – wohl im Auftrag ihrer Bischöfe – die Pressesprecher der Bistümer Eichstätt und Regensburg und gingen auf Distanz zur Stellungnahme Ackermanns. Was den vielen nicht nur in der katholischen Kirche schon lange kein Geheimnis mehr war, ist nun offenbar geworden: Der Bruch der episkopalen Geschlossenheit, zu der vor allem traditionsverhaftete Bischöfe immer wieder aufrufen, wenn einer der ihren in den Fokus der Kritik gerät, bleibt nun auch der Öffentlichkeit nicht mehr verborgen. Die Art und Weise, in der die Hirten in dieser Frage wie Wölfe übereinander herfallen, rief nun den Magdeburger Bischof Gerhard Feige auf den Plan, der monierte, es
sei nicht angebracht, wenn Bischöfe sich über die Medien vorführten. (Quelle: Domradio)
Wenig überraschend kommt es außerdem zu den üblichen Solidarisierungen. Das linkskatholische Lager stärkt Bischof Ackermann, das rechtskatholische Lager jubelt über die Kritik an ihm. Letztere gipfelten jüngst in einem offenen Brief, den Victoria Fender als Mitarbeiterin auf dem Portal Kath.net veröffentlichte. Victoria Fender geht in ihrem Schreiben eine bei traditionalistisch gesinnten Katholiken beliebte Wette auf die Zukunft ein:
Natürlich ist es nicht einfach. Jede normale gesunde Frau begehrt ihren (zukünftigen) Ehemann. Und umgekehrt wahrscheinlich auch… Doch mit der Enthaltsamkeit vor der Ehe beweist man sich einiges – beispielsweise, dass man treu sein kann. Dass man nicht blind den Trieben erlegen ist sondern die Bauchgefühle zuerst wahrnehmen, dann beurteilen und dann steuern kann. Wenn mein Mann mir jetzt widerstehen kann, dann wird er das auch später, bei Versuchungen von außen können. Das gibt mir Sicherheit. (Quelle: Kath.net)
Was hier als Schlussfolgerung vorgestellt wird, ist nicht mehr als eine Hoffnung, deren Erfüllung der Autorin zu wünschen ist. Aber kann sie sich denn jetzt schon sicher sein, dass ihr Mann seinen Trieben nicht jetzt schon blind an anderer Stelle erliegt? Und kann sie sich sicher sein, dass er es nie tun wird? Manch einer, der sich in jungen Jahren forsch-idealistisch gegen die Sünde gestemmt hat, ist nach kurzer Zeit vom Leben eingeholt worden. Demut sieht jedenfalls anders aus.
Stattdessen versucht sie in naiver Dreistigkeit ihren Adressaten vorzuführen:
Ihr Statement „Wir müssen das Verantwortungsbewusstsein der Menschen stärken, ihre Gewissensentscheidung dann aber auch respektieren“, verwirrt mich zutiefst: gilt das auch für Pädophile? Für Sadomasochisten? Zoophile? Exhibitionisten?? (Quelle: Kath.net)
Dass Ackermann von Verantwortung in Korrelation zum Gewissen spricht, übersieht sie ebenso geflissentlich wie die Tatsache, dass auch der Katholische Katechismus der Kirche immer wieder wie das Wort Gottes selbst ins Feld geführt wird, wobei sie gar nicht auf die Idee kommt, dass auch der Katechismus wie das Wort Gottes der Deutung bedarf. Nur so kann sie auf die Idee kommen, dass etwas schön sei, weil der Katechismus sagt, es sei schön:
Ich lese im Katechismus (2369) von der Schönheit der ehelichen Fruchtbarkeit: „Wenn die beiden wesentlichen Gesichtspunkte der liebenden Vereinigung und der Fortpflanzung beachtet werden, behält der Verkehr in der Ehe voll und ganz die Bedeutung gegenseitiger und wahrer Liebe und seine Hinordnung auf die erhabene Aufgabe der Elternschaft, zu der der Mensch berufen ist“. Außerdem verflacht Sexualität, wenn die Dimension der Fruchtbarkeit vollständig ausgeklammert wird. Wir sind eine Einheit aus Leib und Seele/Geist, deswegen müssen immer beide Aspekte zusammen kommen und zum Leib gehört die Fruchtbarkeit. Wieso sagten sie das nicht? (Quelle: Kath.net)
Dass Sexualität eine conditio humana ist, die eben nicht nur mit Fruchtbarkeit zu tun hat, sondern sehr viel mit der Partnerschaft an sich, menschlicher Kommunikation und Vergewisserung, in der sich, wie Martin Buber feststellt, Gottes Liebe als ausgewählte Form erotischer Attraktion erweist, blendet Victoria Fender völlig aus. Auch hier erliegt die Autorin leider der Versuchung, über etwas zu reden, was sie selbst – wie sie selbst stolz feststellt – noch gar nicht kennt. Und so trifft auch auf sie die Feststellung des amerikanischen Psychologen Abrahahm Maslow zu:
Viele, die versuchen, im Auftrag der Kirche anderen Gipfelerfahrungen näher zu bringen, haben selbst keine Gipfelerfahrung gemacht.
Statt also nur tote Buchstaben zu zitieren, wäre es hilfreich, darüber zu reden, wie das gelingen kann – nicht in einer erhofften Theorie, sondern aus der Erfahrung gelebter Wirklichkeit. So heißt es in der ersten Lesung vom 6. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A:
Die Augen Gottes schauen auf das Tun des Menschen, er kennt alle seine Taten. (Jesus Sirach 15,19)
Es kommt also auf die Taten an. Freilich heißt es wenige Verse vorher:
Gott gab den Menschen seine Gebote und Vorschriften. Wenn du willst, kannst du das Gebot halten; Gottes Willen zu tun ist Treue. Feuer und Wasser sind vor dich hingestellt; streck deine Hände aus nach dem, was dir gefällt. Der Mensch hat Leben und Tod vor sich; was er begehrt, wird ihm zuteil. (Jesus Sirach 15,15-17)
Die Gebote und Vorschriften Gottes sind wie Wegweiser, an denen sich der Mensch orientieren kann. Der Wille des Menschen spielt aber eine zentrale Rolle. In der Erfüllung der Gebote erweist sich der Mensch als treu. Und doch enthält der Text eine eigentümlich Offenheit: Der Mensch kann zwischen Feuer und Wasser wählen. Beides ist notwendig, beides kann zugleich lebensgefährlich werden. Es wird deutlich: Die einfache unreflektierte Erfüllung der Gebote und Vorschriften Gottes alleine macht noch nicht selig. Es stellt sich immer die Frage zwischen Tod und Leben.
Im Evangelium vom 6. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A verschärft Jesus selbst diese kritische Sicht noch. Er betont, dass er nicht gekommen ist, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben, sondern sie zu erfüllen (Matthäus 5,17). Dann betont er jedoch, dass die Gerechtigkeit sich nicht allein aus der Erfüllung von in Buchstaben geschriebenen Worten ergibt. Immer wieder führt er aus, dass schon die gelebte Handlung zum Bruch des göttlichen Gebotes führt. So heißt es etwa:
Ich aber sage euch: Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen. (Matthäus 5,28)
oder:
Ich aber sage euch: Wer seine Frau entlässt, obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt, liefert sie dem Ehebruch aus; und wer eine Frau heiratet, die aus der Ehe entlassen worden ist, begeht Ehebruch. (Matthäus 5,32)
Der Ehebruch – und damit eine tiefe Verletzung des göttlichen Gebotes – ist also schon im lüsternen Ansehen einer Frau – und man darf sicher heute ergänzen auch eines Mannes.
Wenn man das Wort Jesu oberflächlich ernst nimmt, führt es alle zur Verurteilung. Wer kann angesichts dieser Forderungen schon bestehen? Gerade gegen diese Sündenangst verkündet und handelt Jesus aber mit seiner ganzen Existenz an. Seine Rede ist deshalb weniger eine Handlungsanweisung; vielmehr führt er geradezu zynisch das nutzlose Bemühen derer vor Augen, die aus der bloßen Beachtung von Regeln und Normen ihre Heilsgewissheit ziehen. Nein, sagt Jesus, so einfach ist es nicht. Ihr könnt gar nicht anders als sündigen. Solange ihr euch nur um euer Heil kümmert, werdet ihr fehl gehen.
Gerade deshalb wendet sich Jesus den Gefallenen und am Rand stehenden zu. Leben in der Gemeinschaft Gottes soll wieder möglich werden. Und so verurteilt er eben nicht. Die Gescheiterten sollen wieder aufrechten Hauptes gehen. Hat Bischof Ackermann etwas anderes gesagt?
Übrigens heißt es im Evangelium auch:
Ihr habt gehört. dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst keinen Meineid schwören, und: Du sollst halten, was du dem Herrn geschworen hast. Ich aber sage euch: Schwört überhaupt nicht. (Matthäus 5,33.34a)
Da besteht ja selbst für manchen Bischof, der an der Sitzplatzorganisation interkontinentaler Fluglinien gescheitert ist, noch Hoffnung. Gut, dass wenigstens Gott die, die über das Leben gestolpert sind, nicht auch noch fallen lässt. Das Leben ist ein gewundener Weg, den man nur in Verantwortung und dem Hören auf das eigenen Gewissen gehen kann. Wer so den Weg des Lebens geht, braucht sich nicht fürchten, auch wenn der Weg uneben wird. Gott ist, ihm sei Dank!, gnädiger als manche der scheinbar Frommen.
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
Sehr guter Kommentar. Danke.
Anhand der Äußerungen mancher Bischöfe wird mir immer klarer, wieweit sich diese katholische Kirche vom konkreten Leben der Menschen, die ihr angehören, entfernt hat.
Sigrid Fink
Befürwortet jemand die gängige katholische Lehre, gilt er als weltfremd (unlebbar). Lebt er sie und gibt Zeugnis, ist er nicht demütig.
Nie aber wird das Geheimnis mit Gott diskutiert: ich finde den Artikel von Dr. Kleine wunderschön, wir alle scheitern. Aber viele versuchen die Lehre zu leben. Vielen gelingt es, und sie sündigen auf andere Weise…
Christen aber sind wir auch in der Nachfolge, im Kreuz tragen (aus Liebe zu unserem Herrn), im verspottet werden, wenn wir als Jungfrau in die Ehe gehen oder unserer Frau treu bleiben, wenn sie mit ihrem Freund lebt (wie in meinem Fall). Ihr seid meine Freunde, wenn ihr den Willen meines Vaters tut.
DANN aber ERST erschließt sich das göttliche Geheimnis (kleine Kinder, die glücklich sind, dass der Vater keine neue Beziehung hereinbringt, Einsamkeit, die zu einer tiefen Gottesliebe führt, Zeit und Ausschließlichkeit für die Kinder, die Freude bereitet und viel kompensiert, was sie erleiden, eine innere Verbundenheit, innere Versöhnung mit und Gebet für die getrennte Ehefrau, genährt von einer Sehnsucht, die nicht durch die neue Liebe verdrängt wird, das Vorleben einer Treue für die Kinder („Du wirst nicht ausgetauscht und ersetzt, wenn Du nicht entsprichst. Liebe ohne Bedingungen, die daher nie einen Grund hat, zu enden“, so dass Kinder sich vielleicht einst getrauen, eine Bindung einzugehen ; der Wert des Versprechens, noch dazu im Angesicht des Herrn…
Unmöglich? Weltfremd? Ja, vielleicht…
Und ist es unmöglich, aus Respekt zu sagen, die neue Beziehung ist mir wichtiger als das (Ehe)Sakrament, vielleicht aber auch als die weinende Frau, die verschreckten Kinder, ungerechte Zahlungen (ohne Gegenleistung), kurz: ich war nicht gut und bin glücklich über einen barmherzigen, liebenden Gott, auch ohne (Altar)Sakrament…
Wie immer man dazu steht, zum Guru, der auf einem Bein im Schnee steht, werden die Menschen pilgern, sie werden ihn nicht als sexlos unnatürlich bezeichnen, eine Kirche aber ohne Heiligkeit (heroisches Leben im Alltag) ist nicht nur zum Sterben verurteilt, sondern hat auch wenig zu geben. Immer im Bewusstsein, dass nicht der Gläubige „sich heiligt“, sondern Gott es ist, der den hinaufhebt, der sich danach sehnt und darum bittet. Es geht also nicht ums Gesetz, sondern um Liebe. Weltfremd?
Tatsächlich, zumindest nicht von dieser Welt.
Für Gott ist nichts unmöglich…