Zu den unzweifelhaften Helden meiner Kindheit gehörte Lefty, jener geheimnisvolle Verkäufer aus der Sesamstraße, der in der deutschen Fassung auch Schlemiehl heißt. Unvergessen die Szene, wie er dem seinerzeit nicht minder verehrten Ernie ein unsichtbares Eis verkaufen möchte. Natürlich ist das alles ganz geheim, und Lefty möchte kein großes Aufsehen um das unsichtbare Eis machen. Ernie aber, der ob der Kenntnis um dieses Geheimnis vor Glück platzen könnte, schreit es immer wieder hinaus: EIN UNSICHTBARES EIS!? – Genau … haucht Lefty, und mahnt Ernie zum Stillschweigen.
Diese Szene will mir einfach nicht aus dem Kopf gehen, wenn man sich manche zeitgenössische Entwicklung ansieht. Da wird ein Fall eines Bundestagsabgeordneten bekannt, der sich offenkundig moralisch zweifelhafte Fotos über das Internet besorgt hat. Mal ist von Kinderpornographie die Rede, mal von Fotos, die zwar legal aber doch sittlich fragwürdig seien. Da der Politiker angesichts der fortgeschrittenen Verhandlungen zur Bildung einer großen Koalition vor einem möglichen Karrieresprung stand und als Staatsekretär in Frage kam, informierte der Innenminister den nicht zu seiner Partei gehörenden Parteivorsitzenden des potentiellen Koalitionspartners, um größeren Schaden abzuwenden. Eine Dilemmasituation, wie sie nur die griechische Tragödie kennt: Sagst du nichts, handelst du rechtlich einwandfrei – aber du wirst einen möglichen Schaden nicht verhindern können. Sagst du etwas, brichst du dein Dienstgeheimnis. Der Innenminister wählte – moralisch verständlich – den ersten Weg, bat sich aber aus, die Angelegenheit vertraulich zu behandeln.
Auf welchen Wegen auch immer: Das Geheimnis bliebt nicht das, was es sein sollte. Allzu viele wussten schließlich davon und irgendwie verlor nicht nur das Geheimnis seinen Charakter. Wo zu viele Ernies sind, da wir eine Geheimnis seines innersten Wesens beraubt und hört auf, Geheimnis zu sein. Schwatzhaft rühmen sich viele, eine Geheimnis zu kennen. Das Wissen um ein Geheimnis ist offenkundig so schön, dass einige schier vor Stolz zu platzen scheinen und der Welt mitteilen müssen, sie wüssten etwas Geheimes. … Genau! Geheim! Kannst Du schweigen? Ich nicht!
Und so fordert die Geschwätzigkeit mancher Politiker das Opfer eines Ministers, der versucht hatte, Schlimmeres zu verhüten und dafür Verantwortung übernahm. Das fordert Respekt.
Die Erniesierung hat aber auch die Kirche längst erreicht. Da wird bald ein neuer Erzbischof für das Erzbistum Köln gewählt. Die Wahl und die vorausliegenden Beratungen obliegen dem Kölner Domkapitel. Und wie immer sollen diese Beratungen geheim bleiben. Das ist auch gut und richtig so. Wer auch immer als Nachfolger des Hl. Maternus gewählt wird, wird ohne die Gerüchte, warum und wie es zu seiner Wahl kam, einen besseren Start haben.
Manche der rheinischen Frohnaturen können es aber nicht lassen. Es ist nichts dagegen zu haben, dass die Medien und Menschen in einer Art Bischofsbingo darüber zu schwatzen, wer es sein könnte. Die menschliche Lust am Klatsch und Tratsch wird das nicht verhindern. Und irgendwie ist es ja immer gut, wenn die Menschen etwas zu reden haben. Dann sind sie miteinander im Kontakt. Wenn aber Mitarbeiter aus dem Umfeld des Domkapitels glauben, scheinbar internes Wissen über die Beratungen in die Welt hinausposaunen zu müssen, dann wird auch Lefty nur noch mit dem Kopf schütteln und sein berühmtes „Pssssscht!“ rufen.
Man sollte die Leute warnen: Wie wird jemand, der schon so vor Freude, ein scheinbares Geheimnis zu kennen, das Wasser nicht halten kann, mit echten Geheimnissen, die ihm in der Seelsorge anvertraut werden, umgehen. Was für ein Schlamassel: Lefty hilf! Pscht!
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
[…] deshalb vor Verfolgung geschützt sind, weil sie das eigentliche Geheimnis gar nicht kannten. Die Erniesierung von Kirche und Politik selbst allerdings ist mächtig. Noch heute behaupten manche Journalisten standhaft, sie hätten […]